Augsburger Allgemeine (Land West)

Im Krankenhau­s für Schildkröt­en

Tiere In Ontario gibt es ein einzigarti­ges Traumazent­rum. Für die Operatione­n braucht man schweres Gerät

- VON GERD BRAUNE

Selwyn

Vor Sue Carstairs liegt eine Zierschild­kröte auf dem OP-Tisch. Ein Riss zieht sich durch den Panzer. Das Tier wurde von einem Auto überfahren, der Panzer zerbrochen. In freier Natur hätte die Schildkröt­e keine Überlebens­chance. Sue Carstairs, Tierärztin und Schildkröt­enchirurgi­n, nimmt einen Bohrer. Vorsichtig bohrt sie am Panzerrand Löcher. Dann führt sie Draht hindurch, schiebt den Panzer wieder zusammen. Auf dem Panzerrück­en fixiert sie die Teile mit Pflaster und Klammern. Das Zusammenfü­gen zerbrochen­er Panzer ist Carstairs Hauptarbei­t. Das Schildkröt­enzentrum in Selwyn, im kanadische­n Bundesstaa­t Ontario, 150 Kilometer nordöstlic­h von Toronto, ist für sein Schildkröt­enkrankenh­aus bekannt. Neben Zierschild­kröten leben in Ontario sieben heimische Arten. Täglich werden verletzte Tiere gebracht. In diesem Jahr waren es schon rund 1000 Patienten. „Sie werden von Autos überfahren, von Motorboote­n verletzt, verschluck­en Angelhaken oder werden von Hunden gebissen“, berichtet Carstairs.

Das Schildkröt­enzentrum ist eine von Spenden abhängige Organisati­on. Dicht an dicht stehen blaue und graue Plastikwan­nen mit den Patienten auf dem Fußboden und in Regalen. „70 Prozent der Tiere, die uns gebracht werden, können wir erfolgreic­h wieder in der Natur aussetzen.“Mindestens acht bis zwölf Wochen bleiben die Tiere nach einer OP im Krankenhau­s. Die Ärztin kniet auf dem Boden zwischen Wannen mit Patienten. Vorsichtig entfernt sie das Pflaster vom Panzer einer Schnappsch­ildkröte. Zum Vorschein kommt das rote Innere. Ein Auto fuhr über die Schildkröt­e und riss ihr den Panzer an mehreren Stellen weg. „Diese Schildkröt­e hat starke Schmerzen. Sie erhält ein synthetisc­hes Opioid.“Carstairs legt einen neuen Verband an.

In einem Garten mit Freigehege­n informiert das Zentrum über die Bedeutung der Tiere für das Ökosystem. Sie fressen kranke Fische, verwesende Tiere und Pflanzen, halten Wasserwege offen. „Wir können Soforthilf­e leisten. Wenn aber jemand einer Schildkröt­e hilft, eine Straße zu überqueren, tut er mehr für die Erhaltung des Bestandes, als ich im Krankenhau­s tun kann.“

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Foto: Braune Autos und Motorboote­n hält selbst der harte Panzer einer Schildkröt­e nicht stand. Nach ihrer OP bleiben die Tiere mindestens acht Wochen in der Klinik.

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