Augsburger Allgemeine (Land West)

Was ein Skelett aus Augsburg verrät

Fund In Madagaskar wütet die Pest. In Europa ist die größte Epidemie schon 670 Jahre her. Jeder dritte Europäer starb damals. An alten Knochen entdeckten Forscher jetzt Bahnbreche­ndes

- VON ELMAR STÖTTNER

Augsburg

Seit Monaten breitet sich die Pest wieder unter den Menschen in Madagaskar aus. Die Krankheit ist ein ständiger Begleiter in dem afrikanisc­hen Staat. Jedes Jahr sterben rund 400 Menschen – mehr als die Hälfte aller Pesttoten im vergangene­n Jahr. Jetzt haben Experten für Menschheit­sgeschicht­e herausgefu­nden, dass die Pest wohl auch in Europa schon weit früher wütete als angenommen.

Das Pestbakter­ium ist offenbar bereits vor 4800 Jahren nach Europa eingeschle­ppt worden – wahrschein­lich mit einer Einwanderu­ngswelle von Nomaden aus dem europäisch-asiatische­n Steppengür­tel: Das belegen spektakulä­re Forschungs­ergebnisse eines Teams um den Bioinforma­tiker Alexander Herbig vom Max-Planck-Institut für Menschheit­sgeschicht­e in Jena.

Die Einwandere­r waren Angehörige der Jamnaja-Kultur aus den Ebenen nördlich des Kaspischen und des Schwarzen Meeres, die wohl auch die indoeuropä­ischen Sprachen mitbrachte­n, die den Kontinent seither prägen.

Die Forscher haben Erbgutprob­en aus Zähnen und Knochen von 500 Individuen analysiert und sind bei sechs Menschen, die zwischen 2800 und 1700 vor Christus gelebt haben, auf das vollständi­ge Erbgut der Pestbakter­ien gestoßen, die wissenscha­ftlich Yersinia pestis heißen. Darunter waren zwei Skelette aus Augsburg, die eine Gruppe von Archäologe­n um Philipp Stockhamme­r im Stadtteil Haunstette­n ausgegrabe­n hat.

Die Pest, der „Schwarze Tod“, hat unzählige Male unter den Völkern Europas und Asiens gewütet und den Lauf der Geschichte massiv verändert. Am bekanntest­en ist die Pestepidem­ie, die ab 1347 über Europa hereinbrac­h und von Italien bis Grönland ein Drittel der Menschen dahinrafft­e. Noch lange, bis ums Jahr 1770, traten quer durch Europa Pestepidem­ien auf.

Der Ursprung des Pestbakter­iums liegt in den Steppen Eurasiens. So nah wie die Wissenscha­ftler aus Jena ist aber noch niemand den Geheimniss­en des Ursprungs und der großflächi­gen Ausbreitun­g der Seuche gekommen: „Die Analyse von rekonstrui­erten Yersinia-pestis-Genomen, die in Bayern, Russland, Estland, Litauen und Kroatien gefunden worden sind, hat ergeben, dass alle eng miteinande­r verwandt sind“, erläutert Aida Andrades Valtueña, Doktorandi­n und Autorin der neuen Studie des Jenaer MaxPlanck-Instituts, die nun in der Fachzeitsc­hrift Current Biology veröffentl­icht wird.

Gut geschützt im Inneren von Zähnen ist die DNA der Pestbakter­ien über Jahrtausen­de erhalten geblieben. „Bei einer fortgeschr­ittenen Infektion mit der Pest kommt es zu einer hohen Konzentrat­ion von Pestbakter­ien im Blut des Opfers“, schildert Alexander Herbig: „In kräftig durchblute­ten Stellen des Körpers lagern sich Bakterien ab, von denen ein Mensch befallen war.“Die Archäogene­tiker des Max-Planck-Instituts für Menschheit­sgeschicht­e haben nun zunächst die Zahnkronen von den Wurzeln getrennt und sind mithilfe von kleinen Zahnarztbo­hrern an organische­s Material aus dem Inneren der Zähne gelangt. Aus diesem Material konnten sie die DNA der Yersinia-pestisBakt­erien extrahiere­n.

Dabei stellte sich heraus, dass die Pestbakter­ien aus der Jungsteinz­eit offenbar weniger krankheits­erregend und ansteckend waren als die hoch virulenten Yersinia-pestisForm­en späterer Epochen. „Den ältesten Pestbakter­ien fehlen die GenSequenz­en, die es Yersinia pestis ermögliche­n, im Magen von Flöhen zu überleben“, erklärt der Forscher. Die Pest hat sich bei den verheerend­sten Epidemien über die Flöhe von Ratten den Weg zum Menschen gebahnt.

Wie alle bahnbreche­nden wissenscha­ftlichen Entdeckung­en wirft auch die Analyse der Pestbakter­ien aus der Jungsteinz­eit und der Bronzezeit viele neue Fragen auf. Wie hat das Bakterium den Menschen erreicht? Im Verdacht stehen nach den Worten Herbigs in erster Linie wieder Ratten und andere Nager. Haben sie als Kulturfolg­er Siedlungen oder Menschen aufgesucht oder infizierte­n sich die Steppennom­aden über Jagdbeutet­iere?

Fest steht aus Sicht der Jenaer Archäogene­tiker, dass Mensch und Bakterium aus dem Steppengür­tel stammen. Für Johannes Krause, den Direktor der Abteilung Archäogene­tik am Max-Planck-Institut, stellt sich daher sogar die Frage, ob die Pestgefahr nicht ein Faktor war, der dazu beitrug, dass die Steppennom­aden nach Europa strömten: „Haben sie versucht, der Bedrohung zu entkommen? Und welches Resistenz-Niveau hatten die alteingese­ssenen Völker gegen die Krankheit aus der Steppe?“Um solche und weitere Fragen beantworte­n zu können, wollen die Jenaer Forscher Erbgut aus verschiede­nen Epochen und noch größeren geografisc­hen Einzugsber­eichen analysiere­n.

 ?? Fotos: Stöttner, Rijasolo, afp ?? Dieses Skelett gruben Archäologe­n im Augsburger Stadtteil Haunstette­n aus. Es zeigt: Die Pest kam weit früher in Europa an als gedacht. Derzeit kämpft Madagaskar mit einer Epidemie. Nur mit Schutzanzü­gen sind Helfer sicher.
Fotos: Stöttner, Rijasolo, afp Dieses Skelett gruben Archäologe­n im Augsburger Stadtteil Haunstette­n aus. Es zeigt: Die Pest kam weit früher in Europa an als gedacht. Derzeit kämpft Madagaskar mit einer Epidemie. Nur mit Schutzanzü­gen sind Helfer sicher.
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