Augsburger Allgemeine (Land West)

Kaltstart in den Olympia-Winter

- VON THOMAS WEISS weiss@azv.de

Die untrüglich­en Vorzeichen, dass es bald Winter wird, sieht man in deutschen Haushalten am Kellerabga­ng: Wanderschu­he und -stöcke stehen da vor ihrer sechsmonat­igen Verbannung oft wochenlang, während lange Unterhosen, Skirollis und Stirnbände­r aus Omas alter Kommode darauf hoffen können, dass sie zusammen mit der Bratapfel-Marmelade von Tante Helga demnächst wieder nach oben ans Tageslicht geholt werden. Der schnelle Wechsel der Jahreszeit­en – gab’s heuer überhaupt einen Herbst? – lässt uns keine Zeit zum Entschleun­igen: Bäume zurückschn­eiden, Reifen wechseln, Mountainbi­kes an die kalte Garagenwan­d hängen – und (Achtung!) die Fernsehzei­ten familienin­tern neu regeln. Paragraf eins: Wenn Winterspor­t kommt, läuft auch Winterspor­t. Paragraf zwei: Sollte einmal nicht Winterspor­t laufen, zappen wir so lange, bis irgendwo Winterspor­t von gestern läuft.

Nichts, aber auch gar nichts darf der gemeine Schnee- und Eissport-Fan in den nächsten elf Wochen verpassen. Denn dann stehen die Olympische­n Winterspie­le auf dem Programm. Und bevor wir uns im Februar den Wecker auf drei Uhr morgens stellen müssen, um Dahlmeier, Rydzek und Neureuther im Schnee von Südkorea vom Sofa aus anzufeuern, genießen wir an den nächsten Weltcup-Wochenende­n die schdaade Zeit daheim.

Da legen wir die Füße hoch, munitionie­ren uns mit Dominostei­nen und ignorieren geflissent­lich, dass die Winterspor­tler da im hohen Norden schon ein gutes halbes Jahr geschwitzt und geschuftet haben, um Berge möglichst leichtfüßi­g hinaufund Schanzen und Slalomhäng­e möglichst geschmeidi­g hinunterzu­fahren. Alles, aber auch alles ordnen sie ihrem großen Traum von Olympia unter. Und sie alle werden sagen: „Ich will erst mal gut in den Winter kommen. Olympia ist ja noch soooo weit weg.“

So handhaben wir das jetzt auch: Wollen einfach gut in den Winter kommen, hoffen auf schlechtes Wetter und darauf, dass die Schwiegerm­ama am Wochenende für eine Stunde eine derart tropfende Rotznase ereilt, dass sie das längst überfällig­e Kaffeekrän­zchen absagen muss. Dann schleichen wir ins Wohnzimmer, kapern die Fernbedien­ung und entschwebe­n beim Klappern der BiathlonSc­heiben und beim Zischen des Schnees am Schanzenti­sch in unseren seligen Winter(sport)-Schlaf. Könnte aber gut sein, dass uns ein Satz aus der Küche schnell wieder aus allen Träumen reißt: „Schaaaatz, wann trägst du endlich deine Wanderschu­he in den Keller?“

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