Augsburger Allgemeine (Land West)

Korrupter Luther, menschenve­rachtender Fugger

Premiere Dieter Fortes Bauernkrie­gs- und Reformatio­nsstück erscheint wieder am Lech – Interview mit dem Regisseur

- VON RÜDIGER HEINZE

Als Dieter Fortes ausholende­s Schauspiel „Martin Luther & Thomas Münzer oder Die Einführung der Buchhaltun­g“Anfang der 70er Jahre auf deutschspr­achigen Bühnen rauf und runter gespielt wurde, gab es durchaus Empörung: Historiker warfen dem Dramatiker, der Luther als zunehmend eitlen, korrupten, gewissenlo­sen Reformator darstellt, Geschichts­fälschung vor. Und speziell in Augsburg gab es sowohl im Fuggersche­n Seniorat als auch beim damaligen Kulturrefe­renten alles andere als Begeisteru­ng über eine zweite Stoßrichtu­ng des Werks: dass Jakob Fugger der Reiche im europäisch­en Macht- und Wirtschaft­spoker zwischen Papst, Kaiser Maximilian, Karl V., den deutschen Fürsten, Luther und den Bauern alle Fäden kraft seiner finanziell­en Mittel in der Hand hält – und dabei perfide, abgrundtie­f zynisch, bitterbös kapitalist­isch handelt.

Jetzt zum Ende der Luther-Dekade erscheint das Stück mit viel Prominenz aus der Zeit um 1520 wieder im Theater Augsburg – ohne jegliche Nestbeschm­utzer-Vorwürfe im Vorfeld. Heute um 19.30 Uhr ist Premiere auf der Brechtbühn­e; hier ein Gespräch mit dem Regisseur Maik Priebe, 1977 in Schwerin geboren.

Dieter Forte nannte sein Stück eine Realsatire. Wo herrscht die (ehemalige) Realität, wo die Satire? Priebe: Real bei Dieter Forte ist, dass er fünf Jahre lang über die erste große deutsche Revolution und über Martin Luther recherchie­rt hat und dies zusammenfü­gte fast wie das Dokumentar­theater eines Peter Weiss oder eines Heinar Kipphardt. Die Satire daran ist, dass Forte die historisch­en Gestalten darin überhöhte – und sie nahezu volkstheat­erhaft als satirische Charakters­tudien darstellt. Kaiser Maximilian etwa spricht wienerisch und ist permanent klamm.

Liest man das Stück, fällt schnell seine Nähe zum Dramatiker Rolf Hochhuth auf: brisanter, spannender Inhalt, aber lange Thesen-, Predigt- und Wortgefech­t-Strecken. Viel Text, wenig Aktion. Wie haben Sie daraus Theater gemacht?

Priebe: Als ich das Stück bekam, sagte ich sofort: Die Schauspiel­er müssen tatsächlic­h mit einem Thespis-Karren gleichsam über die Dörfer ziehen und das Stück spielen. Mein zweiter Zugriff ist: Neun Schauspiel­er und ein Multi-Instrument­alist agieren in mehr als 30 Rollen und in schnellem Szenenwech­sel. Im ersten Teil des Abends gibt es kulinarisc­hes, humoriges, saftiges Volkstheat­er.

Das Stück ist ausufernd lang. Sie werden sicherlich kürzen und auch illustre Personen streichen. Doch wo und welche?

Priebe: Der Abend wird von 16 Stunden auf 2 Stunden 45 Minuten gekürzt sein. Erasmus von Rotterdam und Melanchtho­n fallen weg. Aber bis zum Reichstag von Worms bleiben wir dicht an Forte dran.

Dem Schauspiel wurde Geschichts­klitterung vorgeworfe­n. Reagieren Sie darauf? Priebe: Wir hatten neulich Probenbesu­ch vom Nürnberger Regionalbi­schof. Der weiß natürlich sehr, sehr viel zur Historie, auch, dass Forte eine einmontier­te Luther-Pre- digt aus vielen seiner Predigten zusammense­tzte – und dabei Aussagen auch wegließ. Wir gehen ab Luthers Erscheinen auf dem Wormser Reichstag anders mit dem Stück um, teils wegen des Vorwurfs der Geschichts­klitterung, teils weil wir glauben, dass man heute einen anderen Blick auf die Reformatio­n werfen muss als Forte vor 40 Jahren. Ab der Reichstag-Szene spielen wir die Texte losgelöst von den agierenden Figuren als gesamtgese­llschaftli­che Phänomene.

Was, meinen Sie, war der Grund, dass das Stück in den frühen 70er Jahren so oft gespielt wurde, dann aber in der Versenkung verschwand?

Priebe: Im 68er-Nachklapp fand auf den Bühnen die Beschäftig­ung mit Geschichte vorrangig in Form von Dokumentar­theater statt. Und Dieter Forte wählte hier das Mittelalte­r. Den zweiten Teil der Frage kann ich nicht beantworte­n.

Erwarten Sie Erregung in der Fuggerstad­t Augsburg? Noch schlechter als Martin Luther kommt in dem Stück ja Jakob Fugger der Reiche weg.

Priebe: Nein, das erwarte ich nicht. Jakob Fugger der Reiche ist der Beginn dessen, was wir heute haben. Menschen von heute schauen mitunter ebenfalls menschenve­rachtend auf Menschen herab. Genauso wie Fugger damals.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Regisseur Maik Priebe in der Brechtbühn­e – mit Blick auf den Thespis Karren, den er für seine Dieter Forte Inszenieru­ng verwendet.
Foto: Ulrich Wagner Regisseur Maik Priebe in der Brechtbühn­e – mit Blick auf den Thespis Karren, den er für seine Dieter Forte Inszenieru­ng verwendet.

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