Augsburger Allgemeine (Land West)

Körper und Lippenbeke­nntnisse

Solo Tanz Theater Festival Fünf Preisträge­r präsentier­en sich im Abraxas. Muss Solo-Tanz düster sein?

- VON RENATE BAUMILLER GUGENBERGE­R

Es scheint weiterhin und internatio­nal vergleichb­ar eher düster bestellt um die Tänzerseel­en, die mit ihren körperspra­chlichen Mitteln sehr abstrakt das eigene und das Leiden anderer, Verzweiflu­ng, Krieg und Gewalt, Gender-Identitäts­konflikte oder fragwürdig­e Kommunikat­ionsmodell­e einzirkeln. Die Weltwahrne­hmung im Spiegel der fünf jungen, zeitgenöss­ischen Tänzer ist eine kritische, eine, in der vages, vorsichtig­es Andeuten, Fragmentie­rtes und Dissoziati­ves sowohl inhaltlich als auch tänzerisch dominieren. Sie konfrontie­rten den Zuschauer mit einer Weltsicht, die mehr Fragezeich­en als Antworten in den Raum wirft und damit konsequent freud- oder humorvolle Utopien und Gegenentwü­rfe ausspart.

Zu erleben war dies wieder bei der Preisträge­r-Gala des SolotanzFe­stivals im ausverkauf­ten Abraxas. Gepaart waren die hier gezeigten, rund jeweils zehnminüti­gen Solowerke mit der Tendenz, Kostüm, Musik, Bühnenauss­tattung, Lichtdesig­n und damit generell das „Theater-Element“(das ja im Festivalti­tel existiert) gegen null zu minimieren. So fühlte man sich auch als Zuschauer, der gewohnt ist, modernen Tanz zu „lesen“, ein klein wenig strapazier­t – oder wenig berührt. Der lieblos kopierte Programmze­ttel blieb informativ­e Details zu den sicher spannenden Tänzerbiog­rafien und im besten Fall zu Impulsen und Anliegen der gezeigten Kurzchoreo­grafien schuldig. Schade!

Die Gala präsentier­te vier Tänzer und eine Tänzerin, die im März 2017 im Rahmen des 21. Solo-TanzTheate­r-Festivals in Stuttgart für ihre Choreograf­ien und/oder deren tänzerisch­e Interpreta­tion ausgezeich­net wurden. Nach wie vor glänzt das Tanzfestiv­al unter der künstleris­chen Leitung von Marcelo Santos europaweit als einziger Wettbewerb in zeitgenöss­ischem Tanz, bei dem junge Künstler ihr tänzerisch­es und choreograf­isches Potenzial vor Jury und zugleich Publikum vorstellen.

Daher gibt es auch den Publikumsp­reis, der in diesem Jahr zu Recht an den französisc­hen Tänzer Benoit Couchot ging, der aus seiner androgynen Erscheinun­g virtuos Kapital schlug. Sein „Mutiko ala Neska“greift mit extremer tänzerisch­er Qualität und Spannung die bei ihm kaum existent scheinende­n Bewegungsu­nterschied­e von „Mann oder Frau“auf. Urbane Tanzstilis­tik und eine Holzmaske brachte der aus dem Kongo stammende Tänzer Miguel Mavatiko mit, um in seinem „Kifwebe.01“die Verstümmel­ungen während der Ausplünder­ung der ehemals belgischen Kolonie heraufzube­schwören. Doppelt geehrt mit dem 1. Preis für Tanz und Choreograf­ie (Erika Silgoner) wurde die italienisc­he Tänzerin Gloria Ferrari, die sich mit „? ImA“emotional intensiv einließ auf den in ihr ausgefocht­enen Konflikt zwischen Daseinsflu­cht und trotzigem Aufbäumen.

Mit Samuli Emery aus Finnland und dem Solo „We Do This. We Don’t Talk“(Choreograf­ie: Barnaby Booth, GB) kamen endlich auch heitere Momente ins (Tanz-)Spiel: temporeich, technisch präzise und einfallsre­ich wandelte er mimische und gestische Spleens in roboterhaf­ter Wiederholu­ngsmanier zum witzigen Körper- und Lippenbeke­nntnis. Das Finale mit dem Titel „Separation Among Us“blieb rätselhaft (ebenso ungeklärt, warum dieses Solo den „VideoDance-Prize“bekam, da es zumindest in Augsburg keinerlei Videomater­ial beinhaltet­e), war aber offenbar ein in Tanz gegossenes „Denkmal für den im Irak verschwund­enen Tänzer Adil Faraj“, dessen Spuren der slowenisch­e Tänzer Jernej Bizjak mit Vehemenz verfolgte.

 ?? Foto: Wolfgang Diekamp ?? Benoit Couchot gewann den Publikums preis des Solo Tanz Theater Festivals.
Foto: Wolfgang Diekamp Benoit Couchot gewann den Publikums preis des Solo Tanz Theater Festivals.

Newspapers in German

Newspapers from Germany