Augsburger Allgemeine (Land West)
Körper und Lippenbekenntnisse
Solo Tanz Theater Festival Fünf Preisträger präsentieren sich im Abraxas. Muss Solo-Tanz düster sein?
Es scheint weiterhin und international vergleichbar eher düster bestellt um die Tänzerseelen, die mit ihren körpersprachlichen Mitteln sehr abstrakt das eigene und das Leiden anderer, Verzweiflung, Krieg und Gewalt, Gender-Identitätskonflikte oder fragwürdige Kommunikationsmodelle einzirkeln. Die Weltwahrnehmung im Spiegel der fünf jungen, zeitgenössischen Tänzer ist eine kritische, eine, in der vages, vorsichtiges Andeuten, Fragmentiertes und Dissoziatives sowohl inhaltlich als auch tänzerisch dominieren. Sie konfrontierten den Zuschauer mit einer Weltsicht, die mehr Fragezeichen als Antworten in den Raum wirft und damit konsequent freud- oder humorvolle Utopien und Gegenentwürfe ausspart.
Zu erleben war dies wieder bei der Preisträger-Gala des SolotanzFestivals im ausverkauften Abraxas. Gepaart waren die hier gezeigten, rund jeweils zehnminütigen Solowerke mit der Tendenz, Kostüm, Musik, Bühnenausstattung, Lichtdesign und damit generell das „Theater-Element“(das ja im Festivaltitel existiert) gegen null zu minimieren. So fühlte man sich auch als Zuschauer, der gewohnt ist, modernen Tanz zu „lesen“, ein klein wenig strapaziert – oder wenig berührt. Der lieblos kopierte Programmzettel blieb informative Details zu den sicher spannenden Tänzerbiografien und im besten Fall zu Impulsen und Anliegen der gezeigten Kurzchoreografien schuldig. Schade!
Die Gala präsentierte vier Tänzer und eine Tänzerin, die im März 2017 im Rahmen des 21. Solo-TanzTheater-Festivals in Stuttgart für ihre Choreografien und/oder deren tänzerische Interpretation ausgezeichnet wurden. Nach wie vor glänzt das Tanzfestival unter der künstlerischen Leitung von Marcelo Santos europaweit als einziger Wettbewerb in zeitgenössischem Tanz, bei dem junge Künstler ihr tänzerisches und choreografisches Potenzial vor Jury und zugleich Publikum vorstellen.
Daher gibt es auch den Publikumspreis, der in diesem Jahr zu Recht an den französischen Tänzer Benoit Couchot ging, der aus seiner androgynen Erscheinung virtuos Kapital schlug. Sein „Mutiko ala Neska“greift mit extremer tänzerischer Qualität und Spannung die bei ihm kaum existent scheinenden Bewegungsunterschiede von „Mann oder Frau“auf. Urbane Tanzstilistik und eine Holzmaske brachte der aus dem Kongo stammende Tänzer Miguel Mavatiko mit, um in seinem „Kifwebe.01“die Verstümmelungen während der Ausplünderung der ehemals belgischen Kolonie heraufzubeschwören. Doppelt geehrt mit dem 1. Preis für Tanz und Choreografie (Erika Silgoner) wurde die italienische Tänzerin Gloria Ferrari, die sich mit „? ImA“emotional intensiv einließ auf den in ihr ausgefochtenen Konflikt zwischen Daseinsflucht und trotzigem Aufbäumen.
Mit Samuli Emery aus Finnland und dem Solo „We Do This. We Don’t Talk“(Choreografie: Barnaby Booth, GB) kamen endlich auch heitere Momente ins (Tanz-)Spiel: temporeich, technisch präzise und einfallsreich wandelte er mimische und gestische Spleens in roboterhafter Wiederholungsmanier zum witzigen Körper- und Lippenbekenntnis. Das Finale mit dem Titel „Separation Among Us“blieb rätselhaft (ebenso ungeklärt, warum dieses Solo den „VideoDance-Prize“bekam, da es zumindest in Augsburg keinerlei Videomaterial beinhaltete), war aber offenbar ein in Tanz gegossenes „Denkmal für den im Irak verschwundenen Tänzer Adil Faraj“, dessen Spuren der slowenische Tänzer Jernej Bizjak mit Vehemenz verfolgte.