Augsburger Allgemeine (Land West)
Wird ein Mord nach 24 Jahren aufgeklärt?
Justiz 1993 wurde die Prostituierte Angelika B. umgebracht, ihre Leiche fand ein Spaziergänger später in einem Graben. Seit der vorigen Woche sitzt ein Verdächtiger in Untersuchungshaft. Warum die Kripo ihn für den Täter hält
Angelika B. sollte von einem Taxi abgeholt werden, um 2 Uhr nachts. Damals, im September 1993, stand die Prostituierte regelmäßig an der südlichen Auffahrt der Hessenbachstraße zur Bürgermeister-Ackermann-Straße in Pfersee und wartete auf Freier. Ein Taxi kam per Dauerauftrag jede Nacht zu dieser Uhrzeit dorthin und fuhr die Frau nach Hause. Doch in dieser Nacht war Angelika B. nicht da. „Anschi“, wie sie im Milieu genannt wurde, kam auch nie mehr in der Wohnung an, die sie sich mit einer Kollegin teilte.
Am Mittag darauf – am Samstag, 25. September – meldete sie die Kollegin bei der Polizei als vermisst. Ungefähr zur gleichen Zeit machte ein 16-Jähriger im Landkreis Augsburg eine grausige Entdeckung. Der Jugendliche führte seinen Hund Gassi, im Ortsbereich von Gessertshausen, entlang der Bahnlinie Augsburg-Ulm. Der Hund zog in Richtung eines Straßengrabens, der dicht von Unkraut bewachsen war. Dort lag die Leiche einer Frau: Angelika B. Sie war bereits seit Stunden tot. Die Frau, eine dreifache Mutter, war umgebracht worden. Jemand hatte dabei unter anderem mit erheblicher Wucht auf die 36-Jährige eingeschlagen, wie die Polizei später berichtete. Am Ort, an dem die Leiche lag, machten die Ermittler damals einen seltsamen Fund: einen Möbelfuß aus Holz, etwa 20 Zentimeter lang. Eine mögliche Spur. Doch die Ermittler hatten damals keinen Erfolg. Das Gewaltverbrechen blieb all die Jahre ungeklärt.
Nun, etwas mehr als 24 Jahre später, hat die Kriminalpolizei einen Tatverdächtigen festgenommen. Es handelt sich dabei nach Informationen unserer Zeitung um einen 49-jährigen Mann aus Augsburg. Oberstaatsanwalt Matthias Nickolai bestätigt das auf Anfrage. Der Beschuldigte sei am Montag der vergangenen Woche festgenommen worden und sitze in Untersuchungshaft. Neue Spuren hätten den dringenden Verdacht begründet, dass der Mann die damals 36-jährige Prostituierte umgebracht habe.
Die Ermittlungen laufen wegen des dringenden Verdachtes des Mordes. Würden die Ermittler die Tat als Totschlag einstufen, wäre sie inzwischen auch verjährt; dies geschieht nach 20 Jahren, in besonders schweren Fällen wiederum erst nach 30 Jahren. Mord verjährt nicht. Aktuell ist eine Arbeitsgruppe bei der Augsburger Kriminalpolizei damit beschäftigt, im Umfeld des Verdächtigen zu ermitteln.
Nach Informationen unserer Zeitung soll es sich bei dem Beschuldigten um einen Mann handeln, der in den 1990er Jahren öfter zu Prostituierten in Augsburg gegangen ist, offenbar regelmäßig auch zu jenen, die zu der Zeit an der Ackermann-Straße auf dem Straßenstrich standen. Sein Verteidiger Klaus Rödl sagt, der Mann räume ein, dass er damals zu Prostituieren gegangen ist – dabei möglicherweise auch zu Angelika B. Er bestreite aber „vehement“, die Frau getötet zu haben.
Die Ermittler stützen ihren Verdacht offenbar auf mehrere DNASpuren, die damals an der Leiche der Prostituierten gesichert wurden. Das Erbgut des Verdächtigen hat die Polizei schon länger gespeichert, weil er in der Vergangenheit immer wieder durch Drogendelikte aufgefallen ist und deshalb auch mehrfach kürzere Haftstrafen absitzen musste. Weil die Methoden der DNAAnalyse in den vergangenen Jahren immer besser geworden sind, ist es nun offenbar gelungen, die Spuren von der Leiche dem heute 49-Jährigen zuzuordnen. Ob der seinerzeit gefundene Möbelfuß bei den aktuellen Ermittlungen eine Rolle spielte, ist bislang nicht bekannt.
Der Tatverdächtige arbeitete damals, als die Prostituierte ermordet wurde, in einem Kieswerk. In seinem Umfeld heißt es, er sei Ende der 1990er Jahre immer mehr in die Drogensucht abgerutscht. Seit Jahren war er arbeitslos. Nachbarn berichten, seine Wohnung habe verwahrlost gewirkt. In der Wohnung in Augsburg wurde der Mann nach Informationen unserer Redaktion auch festgenommen.
Sollte der Fall letztlich geklärt werden, wäre das eine spektakuläre Wendung. Damals war es trotz intensiver Ermittlungen nicht gelungen, den Täter zu finden. Die Beamten vernahmen eine Reihe von Freiern und setzten 5000 Mark für Hinweise aus, die zur Klärung des Falls führen könnten. Die Polizei sicherte auch Kunden der Prostituierten, die an der Hessenbachstraße standen, „absolute Vertraulichkeit“zu, sollten sie etwas zur Sache beitragen können. Es half alles nichts.