Augsburger Allgemeine (Land West)
Zwei Engel erzählen
Als das Engelesspiel 1977 Premiere hatte, waren sie dabei: Zwei Augsburgerinnen berichten von Aufregung, gefährlichem Wind und dem überwältigenden Blick vom Rathausbalkon
Engel sind auch nur Menschen. Zumindest diese, die alljährlich zu Christkindlesmarkt-Zeiten die Besucher mit ihrem Spiel am Rathaus erfreuen. Das bekannte Augsburger Engelesspiel wird in diesem Jahr schon 40 Jahre alt. Zwei Augsburgerinnen erzählen, wie sie 1977 als eine der ersten Engel auf dem Balkon standen.
„Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie die Aufführung werden sollte. Ich sah mich schon an einem Seil über den Christkindlesmarkt schweben. Das war unheimlich“, erinnert sich Johanna Kottermaier. Sogar ihre Mutter hätte damals um sie Angst gehabt. Vor 40 Jahren war Kottermaier 19 Jahre alt und Elisabeth Volz-Goller 20. Die Idee für das Engelesspiel an den Fenstern des Rathauses war gerade neu geboren. Initiiert hatte es Fritz Kleiber. Der damalige Tourismusdirektor und ehemalige Vorsitzende der AltAugsburg-Gesellschaft wollte an der Rathaus-Fassade einen lebendigen Adventskalender schaffen, in dem Engel zu sehen sind. Auf der Suche nach himmlischen Wesen kontaktierte er eine damalige Augsburger Ballettschule. Kottermaier und Volz-Goller nahmen zu der Zeit dort Ballettunterricht, wie auch einige andere Mädchen und junge Frauen. „Gefragt, ob wir Lust haben, mitzumachen, wurden wir damals nicht.“Streng sei die Ballettlehrerin gewesen, auch was die Anforderungen an die Engel betraf, erinnern sich beide Frauen heute.
Nagellack, jeglicher Schmuck, Schminke – das alles war für die Engel vor 40 Jahren tabu. Dass man zu den Auftritten da zu sein hatte, ohne Diskussion, war ein ungeschriebenes Gesetz. Das bekam Volz-Goller zu spüren. Als sie im Jahr darauf zur Adventszeit Urlaub gebucht hatte, war sie ab da raus aus dem Engelesspiel. Kottermaier hingegen wirkte 30 Jahre lang als Himmelswesen mit. „Für mich hatte es einfach immer dazugehört. Ich habe mir immer die Zeit genommen. Die Engel heute sehen das vielleicht anders.“
Juliana Kraus, die einst selber ein Engel war und die das Schauspiel seit Kleibers Tod organisiert, kann das nur bestätigen: „Heute bekomme ich von einer Teilnehmerin schon mal zu hören, dass sie nicht kommen kann, weil sie sich für eine Party vorbereiten muss.“Längst gebe es für die 23 Engel Mehrfachbesetzungen, auch um Ausfälle zu vermeiden. Dabei wird darauf geachtet, dass alle aus Augsburg kommen. „Nicht dass ein Engel bei der Anfahrt mal im Stau stecken bleibt“, sagt Organisatorin Kraus. Aber wie aufregend war es nun, auf dem Balkon und an den Fenstern des Rathauses zu stehen?
„Wir trugen einen Bauchgurt und wurden schon damals von der Bergwacht gesichert. Aber ich zitterte trotzdem“, verrät Kottermaier. Einfach war das Engelsdasein da hoch oben über der Besucherschar nämlich nicht. Mal war es glatt wegen Schnee, die Scheinwerfer leuchteten ins Gesicht und hin und wieder pfiff der Wind arg. „Es gab schwierige Situationen mit starkem Wind. Wir mussten aus Sicherheitsgründen sogar mal die Flügel weglassen. Sonst wären wir wahrscheinlich abgehoben“, berichtet Kottermaier. Als Engel müsse man sich durchaus konzentrieren, vor allem wenn man auch noch ein Instrument in den Händen hält. Und schwindelfrei sollte man am besten sein.
Am schwierigsten, da sind sich beide Frauen einig, war der Moment, als sie langsam und würdevoll rückwärts ins Rathaus zurück schreiten mussten – und dabei nicht über das eigene Gewand stolpern durften. Einen bestimmten Augenblick empfand Kottermaier, die bei der Firma Renk arbeitet, als „immer überwältigend“: „Wenn die Musik anging und Oh Tochter Zion von Händel ertönte. Das war dann wie eine andere Welt da oben“, schwärmt die 59-Jährige heute noch.
Viel hat sich den Erzählungen der beiden „Ehemaligen“zufolge beim Engelesspiel im Laufe der Zeit nicht geändert. Die Darbietungen wurden etwas länger, ein paar Instrumente, wie die Harfe, kamen hinzu. Zeigten sich die Engel anfangs noch mit ihren echten Haaren, bekamen sie bald Perücken. Maskenbildner kamen hinzu. Früher aber war mehr Disziplin gefordert. Kottermaier erinnert sich etwa, dass sie nie nach unten in das Publikum sehen durfte. Mittlerweile ist diese strenge Regel etwas gelockert. Die ganz kleinen Engel werden dazu sogar angehalten, sagt Juliana Kraus.
Denn die kleinsten Engel an den Fenstern seien gerade mal fünf Jahre alt. „Sie sollen sich unter den Zuschauern jemanden gezielt suchen und ihn ansehen. Dann schlafen sie nämlich nicht ein und das Publikum sieht nicht nur ihre Lockenperücken, wie es schon passiert ist“, erklärt die Organisatorin lachend. Engel sind halt auch nur Menschen. In diesem Jahr gibt es zum 40. Jubiläum zwei Besonderheiten.
Unter den großen Engeln wird erstmals ein männlicher Engel sein. „Er bekommt die Orgel, denn er darf herausstechen“, findet Kraus. Außerdem singen die Augsburger Domsingknaben zur Eröffnung des Christkindlesmarktes. Sie machen zudem neue Aufnahmen für den Gesang der Engel, der immer vom Tonband kommt. Johanna Kottermaier wird dann als Ex-Engel wieder im Publikum stehen, wie immer zur Christkindlesmarktzeit. Nie lässt sie sich das Spektakel entgehen. „Ich beobachte gerne die Reaktionen der Menschen. Es ist auch einfach nach wie vor faszinierend.“