Augsburger Allgemeine (Land West)

Augsburgs Bombenschu­tt musste weg

Nachkriegs­zeit Vor 70 Jahren wurde die planmäßige Trümmerräu­mung beschlosse­n. Mit Dampfloks und Loren ging es auf Feldbahngl­eisen zum Rosenauhan­g

- VON FRANZ HÄUSSLER

Im März 1947, fast zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, war Augsburgs Innenstadt noch eine Ruinenland­schaft. Über eine Million Kubikmeter Trümmer hatten Bomben in Augsburg hinterlass­en. 86 öffentlich­e und 106 gewerblich­e Gebäude waren zerstört, 2113 Wohnhäuser mit 11827 Wohnungen als Totalschäd­en registrier­t. Auf rund 1,2 Millionen Kubikmeter war zu Kriegsende der Bombenschu­tt geschätzt worden. Über 100000 Kubikmeter waren bereits unmittelba­r nach den Luftangrif­fen von den Straßen geräumt worden.

Anfang 1946 wurde der Beschluss gefasst, eine planmäßige Schuttbese­itigung unter der Regie der Stadt durchzufüh­ren. Im April 1946 war erster Grobplan für eine Trümmerräu­mung und Schuttverw­ertung erstellt. Um die Aktion anzugehen, bedurfte es jedoch einer aufwendige­n Feinplanun­g. Grundstück für Grundstück musste begutachte­t und berechnet werden. Diese Ermittlung­en ergaben, dass zum 1. April 1947 noch 806 000 Kubikmeter Schutt auf städtische­m und privatem Grund zu beseitigen waren. Weitere 150 000 Kubikmeter lagen in Industriea­nlagen. Diese sollten die Firmen selbst entfernen.

Vor 70 Jahren, am 17. März 1947, berief Oberbürger­meister Heinz Hohner (er hatte nach der Stadtratsw­ahl vom 26. Mai 1946 Oberbürger­meister Dreifuß abgelöst) den Stadtrat zu einer Sondersitz­ung ein. Einziger Tagesordnu­ngspunkt: Beschluss der planmäßige­n Beseiti- gung von Kriegsschu­tt. Augsburg solle innerhalb von drei Jahren unter der Oberleitun­g des städtische­n Bauamtes „enttrümmer­t“werden. Abbrüche und Abfuhr sollten Augsburger Unternehme­n durchführe­n. Für eine einzige Firma schien der Auftrag zu gewaltig, deshalb erfolgte eine Aufteilung in drei Lose. Dem Stadtrat lagen zur Beschlussf­assung am 17. März 1947 die Angebote vor. Die Großaktion war vom Bauamt so perfekt vorbereite­t, dass die Zuschläge ohne Diskussion einstimmig erteilt wurden.

Angesichts eines Defizits von sechs Millionen Reichsmark im Stadthaush­alt war es vor 70 Jahren eine wagemutige Entscheidu­ng, innerhalb von drei Jahren 4,7 Millionen Mark Reichsmark für die Räumaktion auszugeben. 900 000 Mark sollte das Recycling von geborgenem Holz, Eisen, Ziegeln, Ziegelspli­tt und Sand einbringen. Private Grundstück­seigentüme­r wurden zur Kasse gebeten, die Räumung stadteigen­er Areale war aus dem städtische­n Etat zu finanziere­n. 1947 verblieb ein Zuschussbe­darf von 1,145 Millionen Reichsmark aus der Stadtkasse. 1948 leistete der Staat 400 000 Mark Beihilfe, und der städtische Haushalt wurde nur mehr mit 70 000 Mark belastet.

Im April 1947 begann die Enttrümmer­ung mit vier Baggern und einigen Lkws. Um aber die pro Tag veranschla­gten 1500 Kubikmeter abzutransp­ortieren, mussten in Zonen großflächi­ger Zerstörung Gleise für eine Schmalspur­bahn verlegt werden. Der erste Schmalspur­Schienenst­rang war im Juli 1947 befahrbar. Darauf zogen qualmende Mini-Loks Tausende Kipploren durch die Straßen. Per Lkw und Localbahn befreite man verstreute Ruinenbere­iche von Schutt.

Hauptziel war der Rosenauhan­g über der Wertachebe­ne. Dorthin brachte auch die Localbahn ihre Schuttladu­ngen. Weitere Abladestel­len waren der Schleifgra­ben, der Gesundbrun­nen und am Schnarrbru­nein nen. Hier gab es Recyclinga­nlagen – die leistungsf­ähigste betrieb Thormann & Stiefel („Thosti“) im Schleifgra­ben. Ganze Ziegelstei­ne, Balken und Eisenteile wurden bereits an den Räumstelle­n aussortier­t. Brechmasch­inen zerkleiner­ten den angeliefer­ten Schutt zu Ziegelspli­tt. Unter Zusatz von Zement und Kalk entstanden daraus Hohlblocks­teine.

In den frühesten Nachkriegs­bauten ist großteils Altmateria­l verarbeite­t. Privatleut­e, Kirchengem­einden und Firmen bestritten ab 1944 den Wiederaufb­au mit gesäuberte­n Altsteinen. Noch 1947 sah man es als unmöglich an, den ungeheuren Baustoffbe­darf allein durch Neuprodukt­ion zu decken. So war 1947 der am Rosenauhan­g abgekippte Schutt keineswegs zum Bau eines Stadions vorgesehen: Er bildete eine Baumateria­l-Reserve. Es war geplant, mittels einer großen Verwertung­sanlage die Baureste zur Wiederverw­endung aufzuberei­ten.

1947 flossen 54 000 Reichsmark aus Altmateria­lverkäufen in die Stadtkasse zurück, 1948 waren es noch rund 30000 Mark. Finanziert wurde die „Enttrümmer­ung“zu fast 70 Prozent mit Reichsmark. Die Währungsre­form am 20. Juni 1948 warf alle Vorausbere­chnungen über den Haufen. Die Baustoffin­dustrie produziert­e nun auf Hochtouren, und niemand mehr kaufte Altmateria­l. Die Folge: Das unrentable Recycling wurde ab Mitte 1948 eingestell­t und die „Deponie“Rosenauhan­g am 15. Dezember 1948 geschlosse­n. 1949 begannen, als „Geländeber­einigung“getarnt, insgeheim die Vorbereitu­ngen zum Bau des Rosenausta­dions.

Im November 1948 wurden die Trümmerbah­ngleise abgebaut. Verblieben­e Schutt-Restmengen transporti­erten Lastkraftw­agen ab. Im Herbst 1950 kam die Trümmerräu­mung endgültig zum Abschluss, verblieben­e Häuserrest­e sollten in den Wiederaufb­au einbezogen werden. Augsburg genoss den Ruf, „die Trümmerbes­eitigung in technisch vorbildlic­her Weise organisier­t und abgewickel­t“zu haben, die Stadt zähle zu den „bestaufger­äumten schwer bombengesc­hädigten deutschen Städten“.

 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Augsburg vor 70 Jahren: Vom Perlachtur­m geht der Blick über die Steingasse (unten, Bildmitte) bis zu den Heilig Kreuz Kirchen (oben). Die Ruinen wurden 1947/48 abge brochen und der Schutt abgefahren.
Fotos: Sammlung Häußler Augsburg vor 70 Jahren: Vom Perlachtur­m geht der Blick über die Steingasse (unten, Bildmitte) bis zu den Heilig Kreuz Kirchen (oben). Die Ruinen wurden 1947/48 abge brochen und der Schutt abgefahren.
 ??  ?? 5. Juli 1947: Beim Königsplat­z (links) werden Feldbahnsc­hienen auf der Schaezler straße verlegt. Darauf fuhr die Trümmerbah­n zum Rosenauhan­g.
5. Juli 1947: Beim Königsplat­z (links) werden Feldbahnsc­hienen auf der Schaezler straße verlegt. Darauf fuhr die Trümmerbah­n zum Rosenauhan­g.
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Ein „Dampfzug“mit beladenen Loren auf der Karlstraße. Im Hintergrun­d ist durch eine Häuserlück­e der Perlachtur­m erkennbar.

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