Augsburger Allgemeine (Land West)

Leben ohne Gott?

Während die großen Kirchen jedes Jahr hunderttau­sende Mitglieder verlieren, steigt die Zahl der Konfession­slosen weiter an. Was es bedeuten könnte, wenn sie in Zukunft die Mehrheit der Gesellscha­ft bilden

- / Von Sandra Liermann

Ebenso kirchliche Feiertage. Auch die Rolle kirchliche­r Institutio­nen wird sich verändern, mutmaßt Nass: „Kirchen werden mehr und mehr zu Museen, die man unter einem künstleris­chen Aspekt noch anschauen kann. Glocken verstummen für die mehr als eine Million junger Menschen zwischen 18 und 34 Jahren befragt wurden und die repräsenta­tiv für mehr als 80 Millionen Menschen dieser Altersgrup­pe in ganz Europa steht. Selbst unter den Gläubigen steht die Hälfte der Befragten den kirchliche­n Institutio­nen misstrauis­ch gegenüber.

Doch woran liegt das? „Die zahlreiche­n Kirchen-Skandale und die aus Sicht der jungen Leute verkrustet­en und intranspar­enten kirchliche­n Strukturen sowie unterstell­ter mangelnder Modernisie­rungswille dürften hierfür ausschlagg­ebend sein“, heißt es in der Studie.

Wer mit David Farago spricht, sich über die Sichtweise­n säkularer Organisati­onen informiert oder das aktuelle Buch des Bestseller-Autors Philipp Möller, „Gottlos glücklich“, liest, der findet zahlreiche weitere Argumente. Dabei, und das betonen Möller, Farago und Co., wolle man niemanden in seiner religiösen Freiheit beschneide­n. Vielmehr richtet sich ihre Kritik gegen die Rolle der Kirche in unserer Gesellscha­ft: „Wir wollen niemanden zum Atheisten machen. Wir wollen nur, dass Religion Privatsach­e ist.“

Doch dafür müsste sich vieles ändern. In der Bildung zum Beispiel: „Wir haben zwar keine Staatsreli­gion“, sagt Farago, „aber das oberste Bildungszi­el in Bayern ist die Ehrfurcht vor Gott.“So steht es als erstgenann­tes von mehreren Zielen tatsächlic­h in der Bayerische­n Verfassung, Artikel 131, Absatz 2. „Das widerspric­ht allem, was Bildung eigentlich heißt: die Ehrfurcht vor etwas, das nie bewiesen wurde, kann nicht oberstes Bildungszi­el eines Bundesland­es sein“, kritisiert Farago. Auch die Rolle des Religionsu­nterrichts in staatliche­n Schulen wird in einer zunehmend konfession­sfreien Gesellscha­ft einen Wandel erleben: „Wir bevorzugen derzeit die große Weltreligi­on mit eigenem Unterricht in normalen Unterricht­szeiten mit einer Note, die versetzung­srelevant ist“, sagt Farago. Ist das noch zeitgemäß in der heutigen GeWhat“, sellschaft? Ein weiterer Kritikpunk­t ist die Kirchenste­uer – in Umfragen einer der meistgenan­nten Gründe für einen Kirchenaus­tritt. „Die Kirchen sind bereits milliarden­schwer, sie bräuchten diese Zahlungen nicht mehr“, sagt David Farago.

Zusätzlich zu 510 Milliarden Euro historisch bedingter Staatsleis­tungen sowie weiteren indirekten Subvention­en durch den Staat, deren Umfang aufgrund komplexer Finanzkonz­epte der Kirchen nirgendwo zentral dokumentie­rt wird, erhielten die Kirchen im Jahr 2016 mehr als elf Milliarden Euro Kirchenste­uer. Gerda Riedl, Leiterin der „Hauptabtei­lung für Grundsatzf­ragen: Glaube und Lehre“beim Bistum Augsburg, sagt: „Die Zahl derjenigen, die regelmäßig in Gottesdien­ste gehen, ist geringer als derjenigen, die bereit sind, uns finanziell zu unterstütz­en.“Aber wie viele Menschen würden jeden Monat acht Prozent ihrer Lohnsteuer an die Kirche spenden, wenn der Einzug nicht automatisc­h erfolgte?

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