Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Kirchensteuer – ein Grund für den Austritt
Mit einem leisen Ächzen öffnet sich das schwere Kirchenportal. Ein junges Paar, er mit Rucksack, sie mit Kamera, schleicht hinein, stellt sich an die hintere Wand des Gotteshauses und bestaunt kurz die imposante Deckenmalerei. Ganz leise, um die Gottesdienstbesucher hier in der in der italienischen Stadt Lucca nicht zu stören. Und während der Pfarrer vorne seine Predigt für eine Handvoll älterer Damen hält, die in den vorderen Kirchenbänken sitzen, schleicht das Paar wieder hinaus.
Es ist eine Szene, die stellvertretend für die heutige Zeit stehen kann: betagte Gläubige als einzige Besucher in Gottesdiensten, leere Bankreihen und junge Menschen, die, wenn überhaupt, noch als Touristen eine Kirche betreten – oder wie jetzt wieder an Weihnachten, wenn man’s mal feierlich möchte.
Die Rolle, die Religion im Leben der Menschen spielt, nimmt ab. Das legen Studien nahe, das zeigt sich in persönlichen Gesprächen und öffentlichen Diskussionen. Und auch die Zahl der Kirchenaustritte spricht dafür: Die katholische und die evangelische Kirche verlieren jedes Jahr hunderttausende Mitglieder. 2016 waren es bei 31000 Neueintritten mehr als 350000: 160000 Katholiken und 190000 Protestanten kehrten der Kirche den Rücken – das sind im Vergleich zu Vorjahren noch verhältnismäßig geringe Werte. Die Zahl der Taufen liegt bei beiden Kirchen deutlich unter der Zahl der verstorbenen Mitglieder.
Bereits jetzt ist die Gruppe derjenigen, die als Religionszugehörigkeit „konfessionslos“angeben, mit mehr als 36 Prozent die größte in unserer Gesellschaft. Katholiken stellen mit einem Anteil von circa 28 Prozent und Protestanten mit 26 Prozent gemeinsam momentan noch die Mehrheit. Muslime machen etwas mehr als fünf Prozent aus.
„Ich rechne in zwölf bis 15 Jahren damit, dass Konfessionslose die 50 Prozent-Marke überschreiten“, sagt David Farago. Der 36-jährige Schreinermeister hat 2011 die Augsburger Regionalgruppe der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung gegründet, die deutschlandweit mit 40 solcher Regionalgruppen vertreten ist. Die säkulare Stiftung geht von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse aus – allerdings ohne Religion, ohne Kirchen. Der Grundgedanke: Die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind mit religiös geprägten Vorstellungen der Vergangenheit nicht mehr zu meistern.
Wie also wird unsere Gesellschaft aussehen, wenn der Großteil nicht mehr Kirchenmitglied ist, sondern konfessionslos lebt? Wenn er nicht mehr an Gott, sondern nur noch an den Menschen glaubt? Was wird sich, was müsste sich ändern? Sind wir darauf vorbereitet?
„Die Politik kann sich dann nicht mehr darauf berufen, dass die Mehrheit der Wähler religiös ist“, sagt Farago. Themen wie Sterbehilfe werden immer noch pro-religiös diskutiert, kritisiert er, obwohl zwei Drittel der Bevölkerung diese befürworten. Farago ist sicher: „Es wird sich politisch etwas bewegen.“
Dieser Ansicht ist auch Elmar Nass. Der 51-jährige katholische Priester und Professor für Wirtschaftsund Sozialethik an der Hochschule Fürth forscht zur Relevanz der Kirche in der heutigen Gesellschaft. Er sagt: „Wir sehen jetzt schon, dass der politische Einfluss der Kirche sinkt. In Zukunft werden Dinge wie kirchliche Privilegien diskutiert werden, die Kirchensteuer und die verfassungsmäßigen Rechte des Religionsunterrichts.“ zunehmend. Und kirchliche Vertreter, je nachdem wie sie auftreten, werden auch eher als museale Figuren wahrgenommen, für die viele kein Verständnis mehr haben.“Eines bedauert er besonders: „Das Sprechen von und über Gott wird abnehmen.“
Die Kirche, die unsere Gesellschaft, unseren Alltag jahrhundertelang geprägt hat, verblasst in ihrer Bedeutung. Bereits heute haben 86 Prozent der jungen Europäer kein oder sehr wenig Vertrauen in religiöse Institutionen. Das zeigt die europaweite Studie „Generation