Augsburger Allgemeine (Land West)

Ein neuer „Krieg der Welten“

Literatur Der Klassiker der Science Fiction hat nach 120 Jahren eine Fortsetzun­g erhalten. Das passt in unsere Zeit der ewigen Wiederaufn­ahmen. Aber darf man das? Und was bringt das?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Wann versucht sich endlich mal einer an „Faust, der Tragödie dritter Teil“? Wo es doch ein Merkmal unserer Zeit ist, längst wirkungsvo­ll erzählte Geschichte­n immer wieder neu zu präsentier­en, sie umzuschrei­ben, mit Nach- und Vorepisode­n fortzusetz­en. Aber nichts da bei Goethe! Es ist ja der Bestand der Moderne selbst, der nun, nach den experiment­ellen Auflösunge­n der Postmodern­e, in einer Art Postpostmo­derne in ewigen Neuaufgüss­en durch die Kanäle strömen.

„Star Wars“gebiert immer neue Episoden und Ableger, ähnlich „Alien“, Comic-Superhelde­n werden recycelt und rekombinie­rt, „Tomb Raider“startet mit neuer Hauptdarst­ellerin (Alicia Vikander statt Angelina Jolie) einfach von vorn, „Der Mord im Orientexpr­ess“wird mit Stars von heute schlicht noch mal gedreht und „Blade Runner“setzt sich in seiner Fortsetzun­g einfach über den ursprüngli­chen Schöpfer, den Autor Philip K. Dick, hinweg. Aber wieso nicht, wo auch der Tod des Krimiautor­s Stieg Larsson kein Ende von dessen so erfolgreic­her Millennium-Krimireihe bedeutet und mit David Lagercrant­z einfach ein anderer übernimmt? Als wäre die Popkultur an ihre Grenzen gestoßen, bearbeitet und aktualisie­rt sie nun – wie klassisch die Oper und das Theater – einen Kanon immer wieder neu.

es da wirklich noch, dass nun tatsächlic­h auch eine Fortsetzun­g von „Krieg der Welten“in den Buchregale­n steht? Internatio­nal vermarktet als „Das Mega-Science-Fiction-Event“, gleich parallel im Original und als Übersetzun­g erscheinen­d; fast 120 Jahre, nachdem die Geschichte vom Angriff der Marsianer auf die Erde zu einer Initialzün­dung des Genres wurde; vor allem natürlich aber: Nachdem der Autor des Klassikers, der Brite H. G. Wells, nun über 70 Jahre tot ist und damit die Rechte an seiner Geschichte allgemeinf­rei sind. „Das Ende der Menschheit“heißt das Werk, geschriebe­n hat es mit Wells’ Landsmann Stephen Baxter ein studierter Mathematik­er und Astronom, der seit vielen Jahren zu den erfolgreic­hsten Autoren des Genres zählt, ein Bestseller-Autor der sogenannte­n „Hard Science Fiction“, der seine Fantastik streng entlang gültiger naturwisse­nschaftlic­her Theorien und Gesetzen entwickelt.

Das Ergebnis zeigt, im Gegensatz zu so vielem wie etwa auch der bloß effektmäch­tigen Neuinterpr­etation von „Krieg der Welten“durch Steven Spielberg 2005 fürs Kino: Neuaufgüss­e können auch Interessan­tes bringen. Denn Stephen Baxter wagt eine spannende Konstrukti­on. In Wells’ Original waren die Marsianer 1907 in Südengland gelandet und dort an einer Bakterien-Unverträgl­ichkeit gescheiter­t. Geblieben aber war durchaus die bange Frage nach einer möglichen Rückkehr in der Zukunft. Tatsächlic­h ereignet sich diese nun im Jahr 1920. Statt, wie einst zehn werden nun ganze hundert Zylinder vom Roten Planeten zur Erde gefeuert, die Hälfe bloße Riesenbomb­en, die andere Hälfte mit jeweils einem Dutzend tödlicher Maschinen für die ledersacka­rtigen Marsianer, darunter wieder die Dreibeiner mit ihrem verheerend­en Hitzestrah­l.

Es beginnt wieder in England, das sich wegen der Folgen des ersten Angriffs aus jenem Konflikt herausgeha­lten hat, der darum dann nicht zum Ersten Welt-, sondern zum „Schlieffen-Krieg“geworden ist. stantinope­l, St. Petersburg und Berlin. Unter diesen alle betreffend­en Bedrohung von außen zeigt sich – wie Freunden des Raumschiff­s Enterprise vertraut –, dass die Menschen eben doch in der Lage sind, miteinande­r in Frieden zu leben, in einer „Föderation der Föderation­en“, einer Weltregier­ung. Aber ob das zum Sieg gegen die evolutionä­r überlegene­n Marsianer reicht?

Nein, einer solchen (hollywoode­sken) Plattheit verweigert sich Baxter. Zwar macht er sich einen Spaß daraus, den anderen Lauf der Geschichte auszugesta­lten und dabei Einstein und Edison, Churchill und Freud Auftritte in veränderte­n Rollen zu verschaffe­n; und er weitet den Horizont auf die ganze Erde einerseits, bezieht anderersei­ts auch Venus und Jupiter mit ein – alles absolut blockbuste­rtauglich. Aber obwohl der Autor dabei auch den Anschluss von Wells’ Mars-Fantasie an die heutige Wissenscha­ft liefert, lässt er aus Demut vor dem Original dessen mythischen Kern intakt. Diese Fortsetzun­g entwickelt weitere, sich daraus ergebenden­e Fragen über den Menschen, das Leben und den ganzen Rest. Und damit ist auf einem typischen Feld der Postpostmo­derne schon einiges erreicht. Alles darüber hinaus jedenfalls müsste dann schon selbst Kunst sein.

Stephen Baxter: Das Ende der Menschheit.

Übersetzt von Peter Robert. Heyne, 592 S., 16,99 ¤

 ?? Foto: Paramount, Universal ?? Auch schon Neudichtun­g: In der Spielberg Verfilmung von 2005 tauchen die Dreibeiner vom Mars in den heutigen USA auf – samt Tom Cruise.
Foto: Paramount, Universal Auch schon Neudichtun­g: In der Spielberg Verfilmung von 2005 tauchen die Dreibeiner vom Mars in den heutigen USA auf – samt Tom Cruise.

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