Augsburger Allgemeine (Land West)
„Das wird der reine Horror für uns alle“
Interview Star-Autor T.C. Boyle sieht die Zukunft düster. Deshalb wünscht er seinen Kindern vor allem eines
Mr. Boyle, Ihr jüngster auf Deutsch erschienener Roman, „Die Terranauten“, spielt auf ein Experiment an, das Anfang der 90er Jahre in den USA stattgefunden hat. Damals lebten acht Menschen unter einer Glaskuppel in einer künstlichen Biosphäre. Angeblich diente das dem wissenschaftlichen Fortschritt.
T.C.Boyle: Nicht nur angeblich: Die Bewohner der „Biosphäre 2“haben damals durchaus versucht, Wissenschaft zu betreiben. Allerdings war es keine aufrichtige Wissenschaft. Denn aufrichtige Wissenschaft würde bedeuten: Wir haben eine Theorie, also lasst sie uns überprüfen! Doch sie hatten keine Theorie. Sie wollten einfach nur ausprobieren, ob sie eine zweite Biosphäre erschaffen können, die unabhängig von unserer ersten funktioniert.
Sie konnten es nicht.
Boyle: Nein. Eine Teilnehmerin musste wegen eines Unfalls schon nach zwölf Tagen die Glaskuppel verlassen. Wie sollte also so eine künstliche Welt etwa auf dem Mars funktionieren? Da gibt es keine Krankenhäuser!
In Ihrem Roman können wir nicht nur beobachten, wie unmöglich es scheint, eine solche zweite Biosphäre zu kreieren. Wir sehen auch, wie egoistisch und planlos wir uns in einer solche Biosphäre verhalten würden. Sind wir Menschen vielleicht einfach zu dumm, um dauerhaft zu überleben?
Boyle: Ich möchte dem nicht widersprechen. Als Roman-Autor wundere ich mich vor allem darüber, wie leichtfertig viele Menschen glauben, ein solches Leben unter einer Glaskuppel führen zu können. Dabei wissen wir doch von Wissenschaftlern, die mehrere Monate auf Forschungsstationen in der Antarktis verbracht haben, welch enorme psychische Belastung so etwas mit sich bringt! In dem Zusammenhang fällt mir übrigens etwas Lustiges ein.
Nämlich?
Boyle: Als das Buch in Amerika erschienen ist, fragten mich viele Journalisten: „Herr Boyle, haben wir Sie richtig verstanden, dass Sie auch gerne mal unter so einer Glaskuppel leben würden?“Die waren überrascht, als ich antwortete, dass das mein absoluter Albtraum wäre! Wo leben Sie denn tatsächlich?
Boyle: Ich brauche so viel Berührung mit der Natur wie nur möglich. Jede freie Minute verbringe ich in den kalifornischen Bergen. Dort steht auch mein Haus, in dem ich täglich arbeite. Nach der Arbeit geht es immer in die Einsamkeit des Waldes. Dann lese ich ein Buch, lege mich in die Sonne oder wandere. Aber ich spreche mit keiner Menschenseele.
Dabei gelten Sie doch als ausgesprochen kontaktfreudiger Autor!
Boyle: Ja, das ist meine andere Seite. Ich mag Menschen, aber ich brauche auch die tiefe Beziehung zur Natur. Ich erzähle Ihnen dazu mal was!
Nur zu!
Boyle: Als meine Kinder noch kleiner waren und zur Schule gingen, war ich tagsüber oft ganz alleine zu Hause. Entweder schrieb ich oder ich lief durch die Wälder, es war herrlich. Einmal im Mai gab es einen Feiertag, und ich nörgelte schon morgens vor mich hin: Jetzt kommen wahrscheinlich wieder alle möglichen Leute zum Ausflug in die Berge! Trotzdem wollte ich es mir nicht nehmen lassen, zu einem meiner Lieblings-Wasserfälle zu wandern. Auf dem Weg dorthin musste ich ein Stück auf einer Straße entlanggehen. Da hörte ich plötzlich von unten ein Auto kommen. Raten Sie mal, was ich tat!
Sie drehten sich um?
Boyle: Ich stürzte mich wie von Sinnen ins Gebüsch! So ergeht es mir, wenn mich so etwas Fremdes wie ein Auto in meiner Einsamkeit da oben stört!
In Ihren Romanen gibt es keine Büsche, in denen Menschen Schutz finden könnten. Die Aussichten sind oft düster.
Boyle: Ich bin in der Tat der Meinung, dass die Zukunft für unsere Spezies schlecht aussieht. Dabei denke ich an die globale Erwärmung, aber auch an die Flüchtlingskrise, die durch diese Erwärmung ja wesentlich verursacht wird. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist Bangladesch überflutet. Wohin sollen all die dort wohnenden Men- schen gehen? Das wird der reinste Horror für uns alle!
Wie wollen Sie Ihren Kindern bei so deprimierenden Prognosen noch Zuversicht und Lebensmut vermitteln?
Boyle: Meine Kinder haben das ungeheure Privileg, in einer westlichen demokratischen Gesellschaft aufzuwachsen, sie dürfen sich frei äußern, haben genügend zu essen, saubere Luft und sauberes Wasser. Mir als Vater bleibt nichts, als ihnen für die Zukunft viel Glück zu wünschen. Aber ganz ehrlich: Gut sieht das nicht aus.
Warum genau schreiben Sie immer wieder über diese schlechten Aussichten: Weil man im Untergangs-Szenario den Menschen besser kennenlernt? Oder weil Sie hoffen, mit Ihren Romanen etwas verändern zu können?
Boyle: Ich hätte zwar nichts dagegen, wenn Letzteres zutreffen sollte. Allerdings treibt mich nichts von alledem wirklich an. Ich bin Künstler, und als solcher gelingt mir tiefes Nachdenken überhaupt nur über die Kunst. Als ich an meinen Roman