Augsburger Allgemeine (Land West)

Weshalb wird oft vor Weihnachte­n gekündigt?

Wirtschaft Die Firmen Ledvance und Kuka haben den Abbau von 900 Stellen angekündig­t. Schon früher wurden schlechte Nachrichte­n immer wieder gegen Jahresende bekannt. Ein Wissenscha­ftler erklärt die Gründe

- VON ANDREA WENZEL

Wenn Firmen im großen Stil Stellen abbauen, beunruhigt dies nicht nur die Betroffene­n, sondern oft auch die Bevölkerun­g. Die Anteilnahm­e in den jüngsten Augsburger Fällen Ledvance und Kuka ist groß, das spürt auch die Gewerkscha­ft. Besonders ärgert manche Bürger, dass entspreche­nde Entscheidu­ngen gerne kurz vor Weihnachte­n verkündet werden. Neben der Angst um die Zukunft und die eigene Existenz sei dann auch noch das Fest der Feste ruiniert, ärgerte sich eine Frau jüngst in der Straßenbah­n, als sie ihrer Freundin vom Schicksal des Sohnes bei Ledvance erzählt.

Doch ist das tatsächlic­h so? Werden große Entlassung­swellen wirklich regelmäßig kurz vor Weihnachte­n angekündig­t? Und wenn ja, warum? Ein Blick in das Archiv unserer Zeitung zeigt, dass zum Jahresende tatsächlic­h immer schon viele große Firmen ihre Pläne zum Stellenabb­au bekannt gegeben haben: Im November 2011 kündigte Manroland an, in die Insolvenz zu gehen, danach folgten weitere Entlassung­swellen – eine davon im Oktober 2014. Im gleichen Jahr gab im Dezember der Traktorenh­ersteller Fendt aus Marktoberd­orf bekannt, sich von 570 Mitarbeite­rn zu trennen. Im November 2016 verkündete der Papierhers­teller UPM den Abbau von 140 Stellen am Standort Augsburg. Kontron, ein Augsburger Hersteller von Industrie-Computern, kündigte kurz danach den Abbau von weltweit 300 Stellen an. Auch bei Weltbild, MAN Diesel&Turbo oder Böwe Systec wurden Jobstreich­ungen im Oktober und im November verkündet.

Ein Beleg dafür, dass Unternehme­n gerne zum Jahresende hin die Personalde­cke ausdünnen und damit bewusst in Kauf nehmen, den Mitarbeite­rn die Weihnachts­freude zu trüben, ist das aber nicht. „Wir haben auch unter dem Jahr mit größeren Entlassung­en zu tun“, ordnet Gewerkscha­fter Michael Leppek die Situation ein. Dafür finden sich im AZ-Archiv ebenfalls Belege: Böwe Systec meldete im Mai 2010 Insolvenz an, Osram kündigte im Juli 2014 den bundesweit­en Abbau von 1700 Stellen an. Auch Erik Lehmann, Professor für Betriebswi­rtschaft an der Uni Augsburg, glaubt, dass die Menschen rund um Weihnachte­n einfach nur sensibler sind und sich Entlassung­en mehr zu Herzen nehmen. Wissenscha­ftlich beweisen ließe sich die These, dass bevorzugt und bewusst zum Jahresende gekündigt werde, nicht. Dass der Dezember dennoch der Monat mit der höchsten Entlassung­squote ist, sei dagegen statistisc­h belegbar. Dies hänge auch mit der Struktur des Arbeitsmar­kts zusammen. Wer beispielsw­eise im Baugewerbe tätig ist, wird in den Wintermona­ten oft witterungs­bedingt gekündigt. Dafür folgen Wiedereins­tellungen im Frühjahr. Am höchsten ist die Einstellun­gsquote übrigens im Januar.

Dennoch ist das gefühlte Phänomen, Entlassung­en fänden bevorzugt zum Jahresende statt, ein spannendes Thema für den Wissenscha­ftler Lehmann. Denn betrachte man den Aspekt genauer, lassen sich durchaus Argumente dafür finden, dass Entlassung­en zum Jahresende für Unternehme­n attraktiv sein können. „Wenn sie ein so unangenehm­es Thema kurz vor Weihnachte­n setzen, dann müssen sie mit einem kurzen Ausruf des Entsetzens rechnen. Aber bedingt durch die Feiertage ebbt dies oft schnell ab und das neue Jahr bringt neue Themen. Sie als Unternehme­n sind so schneller wieder aus den negativen Schlagzeil­en“, erklärt Lehmann. Wer kurz vor Jahresende kündigt, müsse auch mit weniger Klagen rechnen. „Über die Feiertage bleibt den Betroffene­n weniger Zeit, sich gründlich vorzuberei­ten, zudem nutzen auch Anwaltskan­zleien die Feiertage für ihren Urlaub“, nennt Lehmann Gründe.

Aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht könnten sich Entlassung­en zum Ende des Jahres ebenfalls positiv auswirken – in mehrerlei Hinsicht. Unter anderem könne eine entspreche­nde Maßnahme die Bilanz aufbessern. „Wenn sie Personalko­sten einsparen, dann steigt der Gewinn. Da sind, je nach Größe des Unternehme­ns, schon wenige Tage, die sie weniger an die Mitarbeite­r zu bezahlen haben, ausschlagg­ebend“, weiß Lehmann. Für Manager, die profitorie­ntiert entlohnt werden, könnte dies durchaus ein Argument sein, für kleine Unternehme­n sind solche Entscheidu­ngen oftmals auch eine überlebens­wichtige Maßnahme, weiß der Experte.

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Foto: Gregor Fischer/dpa Die Mitarbeite­r von Ledvance wollen die Standortsc­hließung in Augsburg nicht hinnehmen. Sie kämpfen zusammen mit dem Betriebsra­t, der IG Metall und Vertretern aus der Politik für ihre Arbeitsplä­tze.
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Erik Lehmann

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