Augsburger Allgemeine (Land West)
Weshalb wird oft vor Weihnachten gekündigt?
Wirtschaft Die Firmen Ledvance und Kuka haben den Abbau von 900 Stellen angekündigt. Schon früher wurden schlechte Nachrichten immer wieder gegen Jahresende bekannt. Ein Wissenschaftler erklärt die Gründe
Wenn Firmen im großen Stil Stellen abbauen, beunruhigt dies nicht nur die Betroffenen, sondern oft auch die Bevölkerung. Die Anteilnahme in den jüngsten Augsburger Fällen Ledvance und Kuka ist groß, das spürt auch die Gewerkschaft. Besonders ärgert manche Bürger, dass entsprechende Entscheidungen gerne kurz vor Weihnachten verkündet werden. Neben der Angst um die Zukunft und die eigene Existenz sei dann auch noch das Fest der Feste ruiniert, ärgerte sich eine Frau jüngst in der Straßenbahn, als sie ihrer Freundin vom Schicksal des Sohnes bei Ledvance erzählt.
Doch ist das tatsächlich so? Werden große Entlassungswellen wirklich regelmäßig kurz vor Weihnachten angekündigt? Und wenn ja, warum? Ein Blick in das Archiv unserer Zeitung zeigt, dass zum Jahresende tatsächlich immer schon viele große Firmen ihre Pläne zum Stellenabbau bekannt gegeben haben: Im November 2011 kündigte Manroland an, in die Insolvenz zu gehen, danach folgten weitere Entlassungswellen – eine davon im Oktober 2014. Im gleichen Jahr gab im Dezember der Traktorenhersteller Fendt aus Marktoberdorf bekannt, sich von 570 Mitarbeitern zu trennen. Im November 2016 verkündete der Papierhersteller UPM den Abbau von 140 Stellen am Standort Augsburg. Kontron, ein Augsburger Hersteller von Industrie-Computern, kündigte kurz danach den Abbau von weltweit 300 Stellen an. Auch bei Weltbild, MAN Diesel&Turbo oder Böwe Systec wurden Jobstreichungen im Oktober und im November verkündet.
Ein Beleg dafür, dass Unternehmen gerne zum Jahresende hin die Personaldecke ausdünnen und damit bewusst in Kauf nehmen, den Mitarbeitern die Weihnachtsfreude zu trüben, ist das aber nicht. „Wir haben auch unter dem Jahr mit größeren Entlassungen zu tun“, ordnet Gewerkschafter Michael Leppek die Situation ein. Dafür finden sich im AZ-Archiv ebenfalls Belege: Böwe Systec meldete im Mai 2010 Insolvenz an, Osram kündigte im Juli 2014 den bundesweiten Abbau von 1700 Stellen an. Auch Erik Lehmann, Professor für Betriebswirtschaft an der Uni Augsburg, glaubt, dass die Menschen rund um Weihnachten einfach nur sensibler sind und sich Entlassungen mehr zu Herzen nehmen. Wissenschaftlich beweisen ließe sich die These, dass bevorzugt und bewusst zum Jahresende gekündigt werde, nicht. Dass der Dezember dennoch der Monat mit der höchsten Entlassungsquote ist, sei dagegen statistisch belegbar. Dies hänge auch mit der Struktur des Arbeitsmarkts zusammen. Wer beispielsweise im Baugewerbe tätig ist, wird in den Wintermonaten oft witterungsbedingt gekündigt. Dafür folgen Wiedereinstellungen im Frühjahr. Am höchsten ist die Einstellungsquote übrigens im Januar.
Dennoch ist das gefühlte Phänomen, Entlassungen fänden bevorzugt zum Jahresende statt, ein spannendes Thema für den Wissenschaftler Lehmann. Denn betrachte man den Aspekt genauer, lassen sich durchaus Argumente dafür finden, dass Entlassungen zum Jahresende für Unternehmen attraktiv sein können. „Wenn sie ein so unangenehmes Thema kurz vor Weihnachten setzen, dann müssen sie mit einem kurzen Ausruf des Entsetzens rechnen. Aber bedingt durch die Feiertage ebbt dies oft schnell ab und das neue Jahr bringt neue Themen. Sie als Unternehmen sind so schneller wieder aus den negativen Schlagzeilen“, erklärt Lehmann. Wer kurz vor Jahresende kündigt, müsse auch mit weniger Klagen rechnen. „Über die Feiertage bleibt den Betroffenen weniger Zeit, sich gründlich vorzubereiten, zudem nutzen auch Anwaltskanzleien die Feiertage für ihren Urlaub“, nennt Lehmann Gründe.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht könnten sich Entlassungen zum Ende des Jahres ebenfalls positiv auswirken – in mehrerlei Hinsicht. Unter anderem könne eine entsprechende Maßnahme die Bilanz aufbessern. „Wenn sie Personalkosten einsparen, dann steigt der Gewinn. Da sind, je nach Größe des Unternehmens, schon wenige Tage, die sie weniger an die Mitarbeiter zu bezahlen haben, ausschlaggebend“, weiß Lehmann. Für Manager, die profitorientiert entlohnt werden, könnte dies durchaus ein Argument sein, für kleine Unternehmen sind solche Entscheidungen oftmals auch eine überlebenswichtige Maßnahme, weiß der Experte.