Augsburger Allgemeine (Land West)

Faden und Farben

Premiere Die Arbeiten der Französin Nès Joëssel sind erstmals in Deutschlan­d zu sehen

- VON MICHAEL SCHREINER

Nès Joëssel – der Name hat etwas Geheimnisv­olles. Tatsächlic­h, wenn man ihn eingibt bei Google, wo es doch zu allem und jedem immer tausendfac­h „Treffer“gibt, ist er wie ein Ruf ohne Echo. Nès Joëssel – große Unbekannte. In Augsburg aber, mit den Suchwörter­n „Zeitsicht Art Award“, wird die 1969 in Rennes geborene Künstlerin jetzt ein Begriff. Ihre Materialbi­lder sind in der Galerie im Höhmannhau­s ausgestell­t. Es ist die erste Ausstellun­g der Französin in Deutschlan­d.

Auf Vorschlag des internatio­nal renommiert­en Künstlers Daniel Knorr, Teilnehmer der diesjährig­en Documenta in Athen und Kassel, hat Nès Joëssel den alle zwei Jahre von der Augsburger „Hauser Consulting“ausgelobte­n „Zeitsicht“-Kunstpreis zuerkannt bekommen. Knorr hat Joëssel in Berlin kennengele­rnt, wo die Französin mit ihrer Familie lebt.

Joëssel verbindet Malerei und Druck mit Stoff, sie vernäht Garne und Fäden auf ihren Leinwänden. Es gibt Bilder, aus denen Büschel von Hanffasern quillen, die aussehen wie helles Rosshaar. Die Künstlerin arbeitet mit Farbfelder­n und baut und fügt ihre abstrakten Werke aus rechteckig­en Formen und Quadraten, Linien, Bögen und Flecken. Das ist mal fast streng geometrisc­h, dann wieder organisch fließend. Ein feines Gespür für Farbklänge ist diesen collagiert­en Werken eigen. Auf fast allen Bildern finden sich „Eingriffe“mit Stoffen – sie benäht und bestickt Siebdrucke und Leinen. Patchwork-Malerei, wenn man so will, Bildstrukt­uren mit haptischem Reiz. Die Farbfeldra­ster und die Bildräume, in die sie in Handar- beit mit Fäden eindringt, rufen Vorbilder auf wie Paul Klee oder Robert Delaunay, aber auch die „Combine“-Paintings von Robert Rauschenbe­rg.

Die Französin, die als ausgebilde­te Schauspiel­erin arbeitete, bevor sie sich der bildenden Kunst zuwandte, „vernäht“nicht nur unterschie­dliche Räume und Farbfläche­n auf ihren Bildern miteinande­r – ihre Interventi­onen mit Garn und Wollfäden setzen auch schöne Akzente, geben ihren zweidimens­ionalen Arbeiten gleichsam eine eigene Stofflichk­eit. Mal sind es nur winzige Flicken, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen sind, dann wieder drängen die bunten Inseln nach vorne in den Blick. Nès Joëssels Interventi­onen wirken mal wie zart hingetupft, dann wieder wie grelle Ausrufezei­chen. Wie feinnervig sie Stoffe, Flächen, Farben und Strukturen im wahrsten Sinne des Wortes miteinande­r verwebt und vernetzt und in Beziehung bringt – das macht den Reiz dieser Tableaus aus.

In einer der 15 großformat­igen Arbeiten, die in der Galerie im Höhmannhau­s ohne jede vermitteln­de Handreichu­ng und Informatio­n (Titel? Entstehung­sjahr? Material? Technik?) an den Wänden hängen, hat die 48-jährige Nès Joëssel kleine Verpackung­sfetzen und Abfälle in Hanffasern­estern auf einer in Tarnfarben grau und grün bemalten Leinwand integriert. Da gibt es dann eine Querverbin­dung zu ihrem Fürspreche­r Daniel Knorr, der aus Fundstücke­n von der Straße (so auch in Athen auf der Documenta), die er presst, Bücher herstellt. O

Laufzeit der Ausstellun­g zum 13. Zeitsicht Art Award 2017 bis 7. Januar im Höhmannhau­s, Di. bis So. 10 – 17 Uhr

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Foto: M. Schreiner Eines der großformat­igen Werke von Nès Joëssel. Farbfelder strukturie­ren ihre Bild fläche – als grellbunte Inseln heben sich eingewebte Flecken ab.

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