Augsburger Allgemeine (Land West)
Eine Darstellerin für große Rollen
Serie (12) Natalie Hünig ist eine Darstellerin für große Rollen. Bevor sie zu Augsburg „Ja“sagte, ging sie lange in sich
Der Intendantenwechsel am Theater Augsburg hat nicht nur an der Spitze des Hauses, sondern auch im Ensemble für Wechsel gesorgt. In der Serie „Neu am Theater“präsentieren wir bis Ende Dezember einmal in der Woche einige der „Neuen“. Diesmal die Schauspielerin Natalie Hünig. Eine Schauspielerin durch und durch. So erlebte das Augsburger Publikum Natalie Hünig als Ermittlerin im ersten Tatort-Krimi und auch in Dieter Fortes „Martin Luther & Thomas Münzer“. Wenn sie als Miltitz sächselt, sieht man die Komödiantin in ihr, schaut man im Theater Konstanz auf die alten Spielpläne, wo Hünig zuletzt drei Spielzeiten lang engagiert war, sieht man, dass sie dort zuletzt die Staatsanwältin in Ferdinand von Schirachs „Terror“und Shen Te/Shui Ta in Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“gespielt hat. Sie war die Darstellerin für die großen, tragenden Frauenrollen. Das kann sie also auch, wie zudem die Auswahl an Lieblingsrollen unterstreicht, die von ihr im Online-Auftritt des Theater Augsburgs zu finden ist: Ibsens Nora, die Marquise der Merteuil in Heiner Müllers „Quartett“und Amanda in Tennessee Williams „Glasmenagerie“.
Die 43-Jährige ist ein wichtiger Bestandteil des neuen Schauspielensembles. Welche Schwierigkeiten ihr dieses Augsburger Angebot erst einmal bereitete, das lässt sich nur erahnen, wenn man sich mit ihr unterhält. Eigentlich müsste sie gerade Text lernen – „Ich weiß gerade nicht, wann ich das machen soll“– am 13. Januar ist sie in der deutschsprachigen Erstaufführung von Hanoch Levins „Das Kind träumt“zu sehen. Und zwischen den Proben, dem Lernen und den Aufführungen gibt es auch noch die Familie, für die sie da sein muss: ihre beiden Töchter im Alter von 8 und 14 Jahren.
Genau da fangen die Schwierigkeiten mit dem Augsburger Angebot an. Denn so selbstverständlich für Hünig als Schauspielerin ist, nach ein paar Jahren an einem anderen Theater ein neues Engagement einzugehen, so schwer fällt ihr das als Mutter. Denn für die Töchter heißt das, Abschied von der Schule und den Freunden und Freundinnen zu nehmen und an einem neuen Ort von vorne anzufangen. „Die Entscheidung fiel mir schwer“, sagt sie. Noch dazu kam das Angebot André Bückers unerwartet. Ursprünglich hatte Hünig vor, länger in Konstanz zu bleiben.
Hünig bat sich also Bedenkzeit aus, in der Bücker nie Druck ausübte, kein Ultimatum stellte, sie in Ruhe das Für und Wider abwägen ließ. Es gab „Fürs“. Die Zusam- menarbeit mit Bücker, zum Beispiel. Augsburg hieß auch, die räumliche Distanz zu ihrem Mann Ralph Jung zu überwinden, der am Theater Erlangen als Schauspieler engagiert ist. Von Augsburg aus sind alle schneller in Erlangen und umgekehrt. „Außerdem wohnt meine beste Freundin in Augsburg“, sagt Hünig. In ihrer Schulzeit in Kempten haben sich Hünig und Anne Schuester angefreundet – und heute sind die Kinder untereinander auch befreundet. Die Töchter kamen also nicht in eine völlig fremde Stadt.
Wenn Hünig nun auf der Bühne steht, kann es vorkommen, dass Ralph Jung und eine der Töchter im Publikum sitzen. Sie sind angekomes men in Augsburg und der Start verlief reibungslos. Wenn sich alles eingespielt habe, möchte Hünig wieder nebenher für den Rundfunk als Sprecherin arbeiten, in Hörspielen Rollen übernehmen und gerne auch drehen. Das Angebot für eine große Serien-Rolle musste sie allerdings gerade erst ausschlagen, die dreimonatigen Dreharbeiten waren zu Beginn ihrer Augsburger Engagements angesetzt. Da wollte Hünig nicht. „In erster Linie bin ich Theaterschauspielerin“, sagt sie. Film und Fernsehen kommen hinzu. Viele Jahre habe es außerdem gedauert, bis ihr das Drehen Spaß gemacht habe, bis sie sich hinterher nicht immerfort gedacht habe, dass es noch besser gegangen wäre. Erst mit der Mini-Serie „Sedwitz“, die 2015 von der ARD ausgestrahlt wurde, habe sich das geändert. In der deutschdeutschen Grenzkomödie, die im Jahr 1988 spielt, hört man sie übrigens auch sächseln.
Das sei ihr in den Jahren in Leipzig in Fleisch und Blut übergegangen, erzählt sie. Aus Leipzig stammt ihr Mann, dort leben die Schwiegereltern, dort hat auch sie eine Zeit gelebt. Im Dialekt-Repertoire hat sie aber noch ein bisschen mehr. „Mir fällt das leicht“, sagt sie, ob Berlinerisch, Oberbayerisch, Schwäbisch – und natürlich Allgäuerisch. Aber da braucht sie immer ein bisschen Zeit, um reinzukommen.