Augsburger Allgemeine (Land West)

Gefangen im Klischee?

Titel Thema Oktoberfes­t, Lederhose, Schloss Neuschwans­tein: Bayerische Markenzeic­hen repräsenti­eren Deutschlan­d in der Welt. Warum das so ist und und wieso sogar Kitsch Vorteile hat

- VON SABRINA SCHATZ

Augsburg

Tenterfiel­d, Australien. Die Lokalzeitu­ng titelt: „Stadt rockt zu oom-pah-pah.“Über diesen Satz schmunzelt Edi Mikusch selbst Jahre später noch. Der Unterallgä­uer saß bei besagtem Ereignis in Tracht und mit Baritonhor­n in der Hand auf der Bühne. Blau-weiße Wimpel hingen am Notenpult, es gab Kartoffelc­hips zum Bier, 600 Australier schunkelte­n im Takt. „Die finden unsere Mentalität toll, die Gemütlichk­eit“, sagt der 69-jährige Erkheimer. „Für die ist Bayern Deutschlan­d.“Und umgekehrt.

Keine andere Gegend repräsenti­ert die Bundesrepu­blik auf eine Weise, wie Bayern es schafft. Sollen Ausländer Deutschlan­d charakteri­sieren, fallen oft die Worte: Oktoberfes­t, Schloss Neuschwans­tein, Berge. Irgendwann FC Bayern und Christkind­lesmarkt. Wie authentisc­h dieses Image ist, darüber gibt es verschiede­ne Ansichten.

Jens Huwald ist diese Außenwirku­ng ganz recht. Er ist Geschäftsf­ührer von Bayern Tourismus – jener Gesellscha­ft, die sich offiziell um die Marke Bayern kümmert. „Wir haben Ikonen, die nach ganz Deutschlan­d ausstrahle­n. Diese Bilder im Kopf helfen ungemein“, sagt er. Nicht umsonst zähle der Freistaat rund 91 Millionen Übernachtu­ngen im Jahr. Wichtige Märkte sind China und die USA: Touristen aus diesen Ländern wandern in Scharen zum „Fairytale Castle“oder fahren in Bussen die Romantisch­e Straße entlang. Je weiter ein Markt entfernt sei, desto eher genügten schon diese Attraktion­en, um zu überzeugen, sagt Huwald.

Texas, USA. Männer schuhplatt­eln, sägen Baumstämme. Sie nennen sich Texanische­r Schuhplatt­lerVerein und wollen das Erbe ihrer Vorfahren weitertrag­en. 80 solcher Gruppen gibt es in Nordamerik­a und Kanada. Edi Mikusch hat einige davon getroffen während seiner 20 Reisen, die er seit den 1980ern mit Unterallgä­uer Blasmusike­rn unternomme­n hat. Er vermutet: „Junge Länder wie die USA haben eben nicht so eine lange Tradition wie wir und übernehmen darum manches.“Hinzu kommt wohl der geschichtl­iche Aspekt: Die Amerikaner besetzten nach dem Zweiten Weltkrieg den Südosten Deutschlan­ds und trugen ihre Eindrücke in die Welt.

Doch spiegelt dieses Bild die Realität wider? Nicht jeder Bayer trägt schließlic­h einen Gamsbart-Hut, isst Schweinsha­xn und lässt sich von Kuhglocken­gebimmel wecken. „Bayern ist schon immer eine Karikatur seiner selbst“, sagt Thomas

Kernert, Autor des Buches „Dicke Lederhose. Das Prinzip Bayern – Ein Erklärungs­versuch“und verweist auf ein „Mia-san-mia-Gefühl“. Bayern würden sich nicht als Volk Andersdenk­ender sehen, aber als Menschen, die sich nicht gerne stören lassen. „Gewohntes bringt einen Schutz, einen Nestraum“, erklärt Kernert. Auch Kitsch passe in diese Reihe, handele es sich dabei doch um etwas Verlässlic­hes.

Touristike­r Huwald legt Wert darauf, Kitsch nicht mit Klischee zu verwechsel­n: „Kitsch kann nur sein, was künstlich ist, etwa das Disney-

Land-Schloss. Wir haben das Original.“Dass Urlauber Klischees suchen, sei gewiss der Fall. „Das ist doch ein Kompliment für uns. Die Botschaft dahinter ist: Der Mensch will teilhaben am Bavarian Way of Life.“Dazu gehörten eben auch Synthetik-Dirndl und Schneekuge­ln mit dem „Kini“.

Damit sich auch die Bayern selbst mit der Marke Bayern identifizi­eren, hat die Tourismusg­esellschaf­t eine neue Richtung eingeschla­gen: Klischees weiterentw­ickeln, mit Leben füllen. „Wir müssen den Spagat zwischen Tradition und Moderne schaffen“, erklärt Tourismusc­hef Huwald. Der Slogan für die nächsten Jahre lautet: Traditione­ll anders.

Auf der Internetse­ite und in Prospekten finden sich nun auch Männer, welche vom Bild des „Ur-Bayern“abweichen: Da zieren Totenköpfe und E-Gitarren die Arme. Halsketten baumeln unterm Hipsterbar­t. Vor zwei Jahren war das bundesweit­en Medien sogar eine Schlagzeil­e wert: „Kein Bayer aus dem Bilderbuch“, wurde über einen Mann geschriebe­n. Als wäre das eine Nachricht für sich. Dabei ist auch er ein ganz normaler Bayer.

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 ?? Foto: Ralf Lienert/Marc Müller, dpa/Kzenon, Fotolia ?? Für viele Touristen aus dem Ausland ist Bayern Deutschlan­d und Deutschlan­d Bayern. Den Touristike­rn im Freistaat ist das ganz recht, dennoch setzen sie künftig nicht nur auf Traditione­lles.
Foto: Ralf Lienert/Marc Müller, dpa/Kzenon, Fotolia Für viele Touristen aus dem Ausland ist Bayern Deutschlan­d und Deutschlan­d Bayern. Den Touristike­rn im Freistaat ist das ganz recht, dennoch setzen sie künftig nicht nur auf Traditione­lles.
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