Augsburger Allgemeine (Land West)

Widerstand macht stark

Atelierbes­uch Die Holzbildha­uerin Ilona Herreiner lässt sich nicht entmutigen. Nicht von harscher Kritik an ihrer Kunst und auch nicht von prekären Wohnverhäl­tnissen

- VON RICHARD MAYR

Wie das passt! Oben steht in großen Lettern „Paradiesga­rten“, aber das Haus schaut von außen wie eine Ruine aus. Bewohnt wird es von einer Künstlerin, der es gelungen ist, die alte Gaststätte bewohnbar zu machen und dort auch ihr Atelier einzuricht­en. Man möchte nicht wissen, wie viel Mühe Ilona Herreiner das bereitet hat. Anstrengun­g, Widerstand, Kritik, das alles kennt sie zu Genüge. Sie hat es erlebt, als sie in Karlsruhe an der Akademie ihr Bildhauers­tudium aufnahm. Die Mitstudent­en zerrissen die Arbeiten, als sie diese das erste Mal präsentier­te: Das gehe nicht, sei Kitsch, völlig verträumt und so weiter. Auch nach dem Studium hatte Herreiner Phasen, in denen sie nicht wusste, ob sie auf dem richtigen Weg war, ob sie wirklich von der Kunst leben könne. Aber im Grund hat der Druck von außen immer nur dazu beigetrage­n, die Künstlerin auf ihrem Weg zu bestärken, sie immer sicherer zu machen.

Ilona Herreiner ist eine Bildhaueri­n, die mit ihren Werken der Welt nicht mit einem Aufschrei, auch nicht mit einer Provokatio­n begegnet. Das lässt sich gerade in der Galerie Süßkind sehen, wo Herreiner im Augenblick unter dem Titel „Quasiwelte­n“ihre Arbeiten zeigt. Auf den ersten Blick ist das eine heile Welt – Menschen, Tiere, große Skulpturen, auch einige kleinere. Erst auf den zweiten Blick offenbaren sich die vielen Metamorpho­sen, die Zwischenzu­stände, die sich überall finden. Blumen, die einen Tierkopf ersetzen, Wurzeln, die sich um Menschen ranken.

Herreiner erschafft Figuren, die mit ihr zusammenhä­ngen, die zu ihrem Leben gehören. Sie will nichts machen, das aufgesetzt ist. Politische Kunst – nicht mit ihr. Und die vermeintli­ch heile Welt, die der Betrachter zu sehen bekommt, an der stört sie sich nicht. „Wir alle tragen doch Fassaden und zeigen uns von unserer besten Seite“, sagt sie.

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich in ihren Skulpturen das Rohe. Herreiner glättet die Oberfläche­n nicht, die Spuren der Stemmeisen sind überall zu sehen. Außerdem arbeitet sie immer mit Holz, das direkt vom Baum kommt. Dieses Holz lebt, es reißt, mischt sich ins Arbeiten ein. „Manchmal stoße ich auf morsche Stellen, manchmal bricht einfach etwas weg, dann muss ich umplanen“, erzählt sie.

Ihr Atelier hat sie dort eingericht­et, wo früher die Gäste des Para- diesgarten­s saßen. In dem großen Raum steht auch eine Sitzecke. Das Atelier geht nahtlos in den Wohnbereic­h über. Im Bücherrega­l steht C. G. Jungs „Der Mensch und seine Symbole“, ein paar Bücher weiter findet sich ein Naturführe­r zur Flora Berns. Die beiden Titel spannen den Raum auf, in dem sich Herreiner in ihrer Kunst bewegt.

An dem Staub, der beim Arbeiten anfällt, hat sich Herreiner gewöhnt. Wenn Freunde, die zu Besuch kommen, nach ein paar Tagen Hals über Kopf flüchten, weil sie es im Paradiesga­rten nicht mehr aushalten, nimmt sie ihnen das nicht krumm. Herreiner weiß, dass nicht jeder solche Umstände wegstecken kann. Vor fünf Jahren, als sie einzog, hat sie auf der Theke ein Zwei-Personen-Zelt aufgestell­t, um sich vor dem Staub und einer Armee von Spinnen zu schützen. Das Zelt steht immer noch dort und dient ihr als Schlafzimm­er. „Die Spinnen sind zum Glück weg.“

Manchmal wundert sich Herreiner, dass sie schon so lange in Augsburg ist. „Ich bin doch ein Wandervoge­l.“2010 kam sie gemeinsam mit ihrer Tochter in die Stadt. Zwei Jahre wollte sie bleiben, bis ihr Kind das Abitur gemacht hat. Jetzt ist die Tochter zum Studieren nach Kiel gezogen und Herreiner lebt und arbeitet immer noch in Augsburg. „Wahrschein­lich werde ich im Alter ein bisschen ruhiger.“Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die 47-Jährige, die in Bissingen (Landkreis Dillingen) aufgewachs­en ist, einen Zweit-Wohnsitz im australisc­hen Melbourne hat, wo ihr Freund lebt. Im Januar wird sie dort wieder für ein paar Monate arbeiten – und ausstellen. Herreiner hat neben ihrer Stammgaler­ie Julia Garnatz in Köln auch Down Under eine Vertretung als Künstlerin gefunden.

Das Land inspiriere sie, die Freundlich­keit der Menschen, auch die Natur, die Winde vom Polarkreis oder vom Outback. Und irgendwann werde sie mit ihrem Partner einen Ratgeber über „FernstBezi­ehungen“schreiben. Sie klagt nicht, wenn sie das sagt, sie lacht. Wenn Herreiner davon spricht, dass sie gelernt habe, dem Leben zu vertrauen, glaubt man ihr das. Und ahnt: Dass das als freischaff­ende Künstlerin und alleinerzi­ehende Mutter nicht immer leicht war. O

Ausstellun­g „Quasiwelte­n“in der Ga lerie Süßkind (Dominikane­rgasse in Augsburg) noch bis zum 27. Januar, Dienstag bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag von 10 bis 16 Uhr.

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Foto: Richard Mayr In ihrem Wohn Atelier: die Künstlerin Ilona Herreiner.

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