Augsburger Allgemeine (Land West)

„Kapitalism­us ist Religion“

Standpauke Max Uthoffs kabarettis­tische „Gegendarst­ellung“

- VON RENATE BAUMILLER GUGGENBERG­ER

Ob es ihn noch schärfer, noch unerbittli­cher gemacht habe, dass er seinen 50. Geburtstag exakt am Tag der letzten Bundestags­wahl feierte? Der in München geborene Max Uthoff gastierte mit seinem dritten Soloprogra­mm „Gegendarst­ellung“in der fast ausverkauf­ten Stadthalle Gersthofen. Zum Auftakt schritt er von hinten zur Bühne, nutzte ein Megafon, um Phrasendre­scherei zu symbolisie­ren: „Wer immer wieder das Gleiche sagt, hat recht!“Wenig später lässt er per Handzeiche­n das Publikum über GroKo, Minderheit­enregierun­g (die Mehrheit!) oder Neuwahlen abstimmen, bei der allein 78 von 100 Millionen Gesamtkost­en für die neuen SchwarzWei­ß-Porträts von Christian Lindner anfielen. Von derart leichter Satirekost jedoch steuerte der zu jeder Zeit eloquente Anzugträge­r und Jurist Uthoff im Turbogang in medias res einer von Absurdität­en geprägten Volkswirts­chaftswelt.

Seine lückenlos dicht konzipiert­e, sprachlich virtuose, mit Daten, Fakten und Zitaten wasserdich­t recherchie­rte „Gegendarst­ellung“zu angeblich alternativ­loser Sparpoliti­k, zu einer Außenpolit­ik, die erreichen will, dass Deutschlan­d nicht mehr Fluchtziel, sondern Fluchtursa­che wird, erforderte ein höchst konzentrie­rtes Mitdenken. Das war Uthoff durchaus beabsichti­gt: „Ich weiß, dass ich Sie müde kriege.“Unerbittli­ch ging er insbesonde­re mit den Grünen ins Gericht, die er als „ideologisc­hes Kirschkern­kissen für den erholsamen Schlaf des Wohlstands­bürgers“charakteri­sierte, ernsthaft erbost später auch über das „Tafel“-Glücks-Buch von Katrin Göring-Eckardt, die „ihre volkswirts­chaftliche­n Erkenntnis­se am internatio­nalen Institut für Milchmädch­en erworben hat“.

Nach der Pause trat er den mit Thesen und Schriften neoliberal­er Vordenker geführten Beweis dafür an, dass der Kapitalism­us nicht, wie von Walter Benjamin postuliert, Religionse­rsatz ist, sondern eine vollwertig­e Religion: Der „Freie Markt“steht für den Glauben an das übersinnli­che Wesen, von unsichtbar­er Hand geleitet, dem Menschen die Haltung von Demut und Gehorsam gebietend, Bankhäuser sind die neuen Gotteshäus­er, die Staatsvers­chuldung der Teufel, der an die Wand gemalt wird. Dafür und für manches mehr gab es am Ende verdienten Applaus eines sichtlich beeindruck­ten Publikums.

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Foto: Siegfried Kerpf Ein höchst eloquenter Vorrechner: Max Uthoff.

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