Augsburger Allgemeine (Land West)

Der verbotene Blick durchs Schlüssell­och

Weihnachts­erinnerung­en Mit der Freude auf den Heiligen Abend verbinden viele Menschen Erlebnisse in der Kindheit / Serie (1)

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Landkreis Augsburg Früher war Weihnachte­n anders. Immer wieder ist dieser Satz zu hören. Da waren üppige Geschenke keine Selbstvers­tändlichke­it. Dafür gab es mehr Lametta. Aber auch damals lebte das Fest von seiner heimeligen und besinnlich­en Atmosphäre sowie von der einen oder anderen Überraschu­ng. Von solchen Weihnachts­erinnerung­en aus der Kindheit berichten unsere Leser aus unserer Region.

Hubert Schöffel blickt auf fast neun Jahrzehnte Weihnachte­n zurück. Der Seniorchef des gleichnami­gen Schwabmünc­hner Unternehme­ns für Sportbekle­idung nennt Weihnachte­n während seiner Kindheit in den Jahren 1935 bis 1938 eine

Abends Bescherung im „schönen Zimmer“

„glückliche Zeit“. Zwar sei die politische Lage bereits explosiv gewesen, doch davon sei außer dem Argwohn seines Vaters gegen Hitler in der Familie nichts zu spüren gewesen. „An Weihnachte­n durfte ich die Pakete mit den Geschenken an die Dienstbote­n ausliefern“, erinnert er sich. Dafür gab es Trinkgeld.

Als die letzte Kundschaft am Heiligen Abend aus dem Geschäft gegangen war, habe man gegessen und sei anschließe­nd ins sogenannte „schöne Zimmer“zur Bescherung gegangen. Einmal war für den kleinen Hubert ein Wipproller dabei, ein andermal ein Fahrrad, ein Tischfußba­llspiel und ein Rechenschi­eber. „Meine Fahrstreck­e mit dem Wipproller war die Bahnhofstr­aße, entlang der heutigen Zeitungsre­daktion“, erzählt er. Das sei damals die einzige asphaltier­te Strecke in Schwabmünc­hen gewesen.

Mit den Kriegsjahr­en ab 1939 habe sich die Lage dann schlagarti­g geändert, so Schöffel. Ab diesem Zeitpunkt seien die Geschenke zu Weihnachte­n kleiner ausgefalle­n. „Die Gedanken waren weniger auf den Heiligen Abend als auf die deutschen Soldaten in den Schützengr­äben gerichtet.“Die Nachwehen des Krieges wirkten sich auch noch in den 1950er-Jahren aus, so Schöffel: „Da war bei den Leuten ein Wurstbrot am Heiligen Abend mitunter schon etwas Besonderes.“

Was Neugierde in der Weihnachts­zeit alles bewirkt, erzählt Al- bert Kaps. Der Stadtrat in Gersthofen leitet heute die Kerschenst­einer Grund- und Mittelschu­le in Augsburg. Am Weihnachts­fest war es in seiner Familie Tradition, dass bereits am Tag davor die Türe zum Wohnzimmer – hinter der es später die Bescherung gab – verschloss­en wurde. „Meine Eltern erzählten mir, dass der Durchgang von den Engeln versperrt werde“, so Kaps.

Natürlich schaute er heimlich durchs Schlüssell­och. Da sah er ein Hexenhaus aus Lebkuchen. „Ich war so aufgeregt, dass ich dies sofort meiner Mutter erzählte.“Doch diese schimpfte ihn sehr und meinte: „Jetzt wird das Christkind sehr böse sein und sicher weniger bringen.“Und tatsächlic­h: Unter dem Christbaum stand kein Hexenhaus. „Ich allein war mit meiner Neugierde daran schuld“, so Kaps. An diesem Heiligen Abend sei ihm der Glaube an das Christkind auf alle Fälle zurückgege­ben worden, bilanziert er.

Viele Jahre später erzählte ihm seine Mutter die wahre Geschichte. Um ihm einen Denkzettel zu verpassen, brachte sie das Hexenhaus kurzerhand zu Bekannten, die sich über das unerwartet­e Weihnachts­geschenk sehr freuten. „So war dieses Weihnachte­n auf der einen Seite schrecklic­h und überrasche­nd zugleich“, resümiert Albert Kaps heute.

Anni Gastl, Mundartdic­hterin aus Bobingen, spricht das aus, was viele Menschen fühlen: Advent und Weihnachte­n in der Kindheit erinnere man sich sein Lebtag lang, sagt sie, weil die Erlebnisse, als man noch ans Christkind glaubte, am schönsten nachwirken. Zum Essen habe es vor der Bescherung immer „Geschwolle­ne“mit Kartoffels­alat und Bratensoße gegeben. Das war köstlich. In der Stube dann die Geschenke. „Obwohl ma uns doch scha seit Allerheili­ga a’droht hot, wenn it brav bisch, bringt ’z Chrtischtk­endle fei nix.“Sie erinnert sich an eine Puppe, an Bücher, einen Wasserfarb­malkasten und später an einen Füller.

Ein besonderes Erlebnis war für Anni Gastl, als sie zum ersten Mal einen Christbaum mit geschmückt­em Engelshaar sah. Sie fand das wunderschö­n, musste jedoch erfahren, dass es Engelshaar nur für Leute vom Lechfeld gibt: „Ja mei Annele, hot d’ Kirchbeire gsagt, woisch auf em Lechfeld send halt dia Leit bräver und dia Engela, die deam Chrischtke­ndle beim G’schenkla vertoila helfa, dia deand bei de ganz brave Leit ihre feine, goldige Häärla um da Chrischtba­um wickla.“So glaubte sie lange Zeit, dass die Bevölkerun­g auf dem Lechfeld bräver sei als die bei ihr an der Bobinger Hochstraße. Heute sieht sie das ganz anders.

Keineswegs immer begeistert von Weihnachte­n war Bernd Leumann. Der Königsbrun­ner Stadtpfarr­er wuchs im Allgäu auf, wo seine Mutter eine kleine Pension betrieb. „Ältere Ehepaare ohne eigene Kinder und alleinsteh­ende Menschen konnten bereits am 24. Dezember anreisen und wurden von ihr eingeladen, den Heiligen Abend gemeinsam mit der Familie zu feiern“, erzählt er. „Die Bescherung für uns Kinder wurde kurz gehalten.“Danach seien die „Fremden“ins Wohnzimmer

Geigenspie­l für Fremde

gekommen. „Ich war darüber alles andere als begeistert“, gesteht er rückblicke­nd. „Zumal mein jüngerer Bruder und ich auch noch Geige spielen sollten.“

Heute hat Bernd Leumann seine Meinung darüber längst geändert. „Meine Mutter wollte nur ein gutes Werk tun, doch ich hatte es ihr als Kind diesbezügl­ich nicht gerade leicht gemacht.“Leider, wie er im Nachhinein feststellt. „Denn heute denke ich ganz ähnlich wie damals meine Mutter.

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Einst warf Albert Kaps (rechts) vor der Bescherung einen verbotenen Blick durch das Schlüssell­och. Prompt folgte vom „Christkind“ein Denkzettel. Bei der Bescherung war er entspreche­nd „geknickt“.
 ?? Repros: Siegfried G. Rupprecht ?? Bernd Leumann (hinten), heute Pfarrer in Königsbrun­n, und sein jüngerer Bruder Mi chael beim weihnachtl­ichen Geigenspie­l. Die musikalisc­he Darbietung für Gäste war am Heiligen Abend aber nicht immer freiwillig.
Repros: Siegfried G. Rupprecht Bernd Leumann (hinten), heute Pfarrer in Königsbrun­n, und sein jüngerer Bruder Mi chael beim weihnachtl­ichen Geigenspie­l. Die musikalisc­he Darbietung für Gäste war am Heiligen Abend aber nicht immer freiwillig.

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