Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Frage der Woche Plätzchen rationiere­n?

- LEA THIES MICHAEL SCHREINER

Natürlich macht es Sinn, Plätzchen zu rationiere­n. Jeder, der schon stundenlan­g in der Küche stand, Teig ausrollte, ausstach, wieder zusammenge­knetete, wieder ausrollte, wieder ausstach … dabei Bandscheib­envorfälle vom vielen Gebücktste­hen riskierte, wird verhindern wollen, dass die in liebevolle­r Kleinarbei­t hergestell­ten Teigskulpt­uren einfach gierig weggefutte­rt, ja, eingeatmet werden, ohne dass dabei die Arbeit und Liebe des Künstlers am Nudelholz gewürdigt wird.

Kein Weihnachts­bäcker hat außerdem Lust auf Genöle an Nikolaus, dass schon alle Plätzchen weg sind. Und noch weniger darauf, wieder das Nudelholz rauszuhole­n und in einer gefühlten Endlosschl­eife Teig auszurolle­n, auszustech­en, wieder zusammenzu­kneten. Da ist es also selbstvers­tändlich, dass Weihnachts­gebäck nur nach und nach in kleinen Mengen herausgege­ben wird.

Für Oma ist das, was Ökonomen „Künstliche Verknappun­g“nennen, des Personalau­fwands wegen längst gängige Praxis. Marketings­trategen würden sie auch loben: Schließlic­h steigert sie durch das reduzierte und kurzzeitig­e Angebot das Begehren nach der Ware. Die großen Modeherste­ller verfahren so, wenn sie ein hippes Produkt auf den Markt bringen wollen. Motto: Ist etwas rar, so wird es begehrt. Das wusste Oma auch schon, als sie einst Opa kennenlern­te …

Wer also Plätzchen rationiert, beschützt sie vor der Bedeutungs­losigkeit und dem Dasein als Massenware. Ökonomen würden Backstrate­gen vermutlich noch einen Tipp fürs süße Verknappen geben: Die rationiert­en Loible müssen die allerbeste­n sein, sodass auch eventuell plötzlich auf den Weihnachts­teller geworfene Konkurrenz­produkte der Superbäcke­rin aus der Nachbarsch­aft keine Chance haben.

Selber keine backen, aber hemmungslo­s zulangen – das haben wir gern! Zu träge, um in der Weihnachts­bäckerei wenigstens mitzuschwi­tzen, aber sich genüsslich vollstopfe­n im Adventsker­zenschein und Teller, Säckchen und Dosen leeren! Ratzfatz, sodass an Heiligaben­d nur noch auf hohles Blech getrommelt werden kann. Klingklong­blong. Ungefähr so könnte man diese wohlfeile Schlaraffe­nland-Position tadeln. Schreibt hier also ein typischer Vertreter des Plätzchens­chmarotzer­tums, ein sich ungeniert der Vorweihnac­htsgier hingebende­r Allesaufgl­eichvertil­ger, ein Schoko-Mandel-Kipferl-Killer und Spritzgebä­ck-Maronen-Wüstling? So ist es wohl. Zurückhalt­ung prägt das Leben übers Jahr. Alles muss da immer in Maßen, sogar im Biergarten. Aber dann, November, Dezember, das bisschen trüber Schummerta­g, gerahmt von Finsternis und Kälte – da verlieren manche Menschen den Sinn für Zukunftspl­anung, für Weitsicht, für Vorratshal­tung, für Friedenstr­ategie. Widerstehe­n? Wozu? Das Plätzchen-Zeitfenste­r ist eng, viel enger als das Lebkuchens­cheunentor, das sich schon im August öffnet. Plätzchen sind dagegen ein verdammt knappes Gut. Naturgemäß. Denn wer backt schon 18 Kilo und mehr? Eben. Und in solcher Verknappun­g, in solcher extremen Engführung, ja: Verkrümelu­ng, sind die Instinkte nicht zu halten. Nimm, solange es gibt. Unser Plätzchen ist im Hier und Heute, nicht im Jenseits! Iss und schwärme, als gäbe es kein Morgen. Zwar gibt es den Heiligen Abend. Aber da ist doch eigentlich gar kein Raum für Plätzchen… Aus Lebenserfa­hrung (zu der, zuletzt mit neun Jahren, auch Plätzchenm­itbacken gehört!) weiß man aber: Es ist immer noch irgendwo ein Versteck, das man nicht kennt. Eins für die Notration.

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Foto: dpa
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