Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Frage der Woche Plätzchen rationieren?
Natürlich macht es Sinn, Plätzchen zu rationieren. Jeder, der schon stundenlang in der Küche stand, Teig ausrollte, ausstach, wieder zusammengeknetete, wieder ausrollte, wieder ausstach … dabei Bandscheibenvorfälle vom vielen Gebücktstehen riskierte, wird verhindern wollen, dass die in liebevoller Kleinarbeit hergestellten Teigskulpturen einfach gierig weggefuttert, ja, eingeatmet werden, ohne dass dabei die Arbeit und Liebe des Künstlers am Nudelholz gewürdigt wird.
Kein Weihnachtsbäcker hat außerdem Lust auf Genöle an Nikolaus, dass schon alle Plätzchen weg sind. Und noch weniger darauf, wieder das Nudelholz rauszuholen und in einer gefühlten Endlosschleife Teig auszurollen, auszustechen, wieder zusammenzukneten. Da ist es also selbstverständlich, dass Weihnachtsgebäck nur nach und nach in kleinen Mengen herausgegeben wird.
Für Oma ist das, was Ökonomen „Künstliche Verknappung“nennen, des Personalaufwands wegen längst gängige Praxis. Marketingstrategen würden sie auch loben: Schließlich steigert sie durch das reduzierte und kurzzeitige Angebot das Begehren nach der Ware. Die großen Modehersteller verfahren so, wenn sie ein hippes Produkt auf den Markt bringen wollen. Motto: Ist etwas rar, so wird es begehrt. Das wusste Oma auch schon, als sie einst Opa kennenlernte …
Wer also Plätzchen rationiert, beschützt sie vor der Bedeutungslosigkeit und dem Dasein als Massenware. Ökonomen würden Backstrategen vermutlich noch einen Tipp fürs süße Verknappen geben: Die rationierten Loible müssen die allerbesten sein, sodass auch eventuell plötzlich auf den Weihnachtsteller geworfene Konkurrenzprodukte der Superbäckerin aus der Nachbarschaft keine Chance haben.
Selber keine backen, aber hemmungslos zulangen – das haben wir gern! Zu träge, um in der Weihnachtsbäckerei wenigstens mitzuschwitzen, aber sich genüsslich vollstopfen im Adventskerzenschein und Teller, Säckchen und Dosen leeren! Ratzfatz, sodass an Heiligabend nur noch auf hohles Blech getrommelt werden kann. Klingklongblong. Ungefähr so könnte man diese wohlfeile Schlaraffenland-Position tadeln. Schreibt hier also ein typischer Vertreter des Plätzchenschmarotzertums, ein sich ungeniert der Vorweihnachtsgier hingebender Allesaufgleichvertilger, ein Schoko-Mandel-Kipferl-Killer und Spritzgebäck-Maronen-Wüstling? So ist es wohl. Zurückhaltung prägt das Leben übers Jahr. Alles muss da immer in Maßen, sogar im Biergarten. Aber dann, November, Dezember, das bisschen trüber Schummertag, gerahmt von Finsternis und Kälte – da verlieren manche Menschen den Sinn für Zukunftsplanung, für Weitsicht, für Vorratshaltung, für Friedenstrategie. Widerstehen? Wozu? Das Plätzchen-Zeitfenster ist eng, viel enger als das Lebkuchenscheunentor, das sich schon im August öffnet. Plätzchen sind dagegen ein verdammt knappes Gut. Naturgemäß. Denn wer backt schon 18 Kilo und mehr? Eben. Und in solcher Verknappung, in solcher extremen Engführung, ja: Verkrümelung, sind die Instinkte nicht zu halten. Nimm, solange es gibt. Unser Plätzchen ist im Hier und Heute, nicht im Jenseits! Iss und schwärme, als gäbe es kein Morgen. Zwar gibt es den Heiligen Abend. Aber da ist doch eigentlich gar kein Raum für Plätzchen… Aus Lebenserfahrung (zu der, zuletzt mit neun Jahren, auch Plätzchenmitbacken gehört!) weiß man aber: Es ist immer noch irgendwo ein Versteck, das man nicht kennt. Eins für die Notration.