Augsburger Allgemeine (Land West)
Die Tarifreform stößt auf ein geteiltes Echo
Am ersten Werktag nach dem Start war der Andrang im Kundencenter am Kö groß: Die Fahrgäste haben viele Fragen. Laut Stadtwerken läuft der Verkauf des 9-Uhr-Abos gut – und die Stadt kontert die Kritik mancher Nutzer
Die Bus- und Straßenbahnfahrer mussten gestern nicht nur ihre Fahrzeuge durch den Verkehr steuern, sondern waren als Auskunftspersonen gefragt: Am ersten Werktag nach Inkrafttreten der Tarifreform hatten Fahrgäste Fragen. Am meisten Unsicherheit herrschte darüber, für wie viele Haltestellen das Kurzstreckenticket gültig ist (Einstiegshaltestelle plus vier Haltestellen). Bei manchen Fahrgästen sind die Reaktionen auf die Zusammenlegung der Zonen 10 und 20 im Bartarif weiter durchwachsen.
Betroffen sind die Passagiere, die mit Streifenkarte und Einzelfahrschein bisher nur in einer der Zonen unterwegs waren und nur Preisstufe
1 bzw. einen Streifen stempeln mussten. Sie kommen mit der Zusammenlegung der Zonen doppelt so teuer weg. „Ich bin bisher an der Herz-Jesu-Kirche in Pfersee eingestiegen. Heute bin ich 300 Meter bis zur Eberlestraße gelaufen, um das Kurzstreckenticket nutzen zu können“, so Erna Fetzer beim Aussteigen gestern am Königsplatz. Mit Komfort habe das wenig zu tun. „Aber sonst zahle ich den doppelten Fahrpreis wegen 300 Metern.“
Michaela Heindl ist auch alles andere als begeistert: Denn wer ein Abo nur für die Tarifzone 10 oder 20 hat (hier gilt die Zonengrenze weiterhin), muss beim Überschreiten der Zonengrenze ab jetzt zwei statt bisher nur einen Streifen zuzahlen. „Somit wird in diesem Fall zukünftig eine Zone doppelt bezahlt und man hat keinen Vorteil, wenn man Abonnent ist – im Gegenteil.“Die Stadtwerke verweisen darauf, dass es sich bei dieser Konstellation eher um seltene Fälle handle.
Das Unternehmen bestreitet nicht, dass es Teil der Strategie ist, die Bartarife unattraktiver zu machen, um mehr Abos zu bekommen. Mit den Änderungen bei den Bartarifen ist der Kauf eines Abos schneller nötig, wenn man nicht draufzahlen will – beim 9-Uhr-Sparabo für
30 Euro (bisher 40 Euro) ist das nach 12,5 einfachen Fahrten mit Streifenkarte pro Monat der Fall, falls die Strecke zu lang fürs Kurzticket ist. Beim „normalen“Abo ohne Zeiteinschränkung für eine Zone (35 Euro) lohnt sich der Kauf ab 14,5 einfachen Fahrten pro Monat.
Im Kundencenter am Königsplatz waren gestern – neben dem üblichen Monatskartengeschäft – zahlreiche Kunden, um sich über Abos zu informieren. „Die häufigste Frage war: Kann ich ein Abo ab 9 Uhr abschließen?“, so StadtwerkeSprecherin Stephanie Lermen. In der Tat waren viele Kunden mit Antragsunterlagen in der Hand zu sehen. Die Motivation der Fahrgäste reicht von Begeisterung („Das Angebot ist günstig“) bis hin zu mürrischer Resignation („Was bleibt uns anderes übrig?“). Bisher entfielen auf das 9-Uhr-Abo, das für die meisten Berufstätigen uninteressant ist, nur vier Prozent aller Aboverkäufe. Die Stadtwerke hoffen, mit dem günstigen Preis für neue Käuferschichten attraktiv zu werden.
Mit einer Bilanz zum Fahrkartenverkauf halten sich die Stadtwerke bis Mitte Februar zurück, weil erst dann genug Zahlen vorliegen. Abge- glichen werden muss, wer als bisheriger Nutzer eines Sozialtickets (das sich verteuert, aber dafür keine zeitliche Einschränkung hat) zum günstigeren 9-Uhr-Abo wechselt. Offen ist auch, wie viele Senioren vom abgeschafften Senioren-Abo zum
9-Uhr-Abo gewechselt haben. In Leserbriefen hatten verärgerte Kunden zuletzt angekündigt, aufs Auto umzusteigen. Die Stadtwerke gehen aber davon aus, die Fahrgastzahlen mittelfristig steigern zu können. Rückendeckung kommt auch aus der Augsburger Kommunalpolitik. Zwar ist die Tarifreform im Verkehrsverbund AVV ein Werk der Politiker der ganzen Region, speziell die Zonenzusammenlegung
10/20 in Augsburg war aber ein Wunsch der 100-prozentigen StadtTochter Stadtwerke. „Auch wenn bei Seltenfahrern die Einzelfallentscheidung für den Pkw fällt, ist per Saldo eine für die Umwelt positive Wirkung zu erwarten“, so Baureferent Gerde Merkle in Vertretung der für den Nahverkehr zuständigen Bürgermeisterin Eva Weber (beide CSU). Denn wer sich für das attraktiver gewordene Abo entscheide, werde häufiger aufs Auto verzichten. Merkle betont, die Entscheidung sei nicht einfach gewesen. „Es war unvermeidlich, Kompromisse zu schießen.“In zwei Jahren will die Politik eine Bestandsaufnahme sehen und gegebenenfalls Änderungen diskutieren.
Entgegen erster Überlegungen haben die Stadtwerke aktuell kein zusätzliches Info-Personal an Haltestellen im Einsatz. „Wir beobachten, wie die Leute zurechtkommen, und steuern eventuell nach“, so Lermen. An den Fahrkartenautomaten prangen Info-Aufkleber. Bei Fahrkartenkontrollen, so die Ankündigung der Stadtwerke, will man vorläufig etwas kulanter sein.
Wer noch eine alte Streifenkarte hat, die vor der letzten Preiserhöhung Mitte Juni für 10,30 Euro erhältlich war (seitdem 10,80): Diese Karten werden beim Omnibus-Betriebshof in der Lechhauser Straße gegen Zuzahlung umgetauscht. Künftig gibt es diesen Service nicht mehr. Streifenkarten sind seit Neujahr mit dem Aufdruck versehen, dass sie bis 31. März 2019 gültig sind. Ein Umtausch danach ist nicht möglich.
Hintergrund: Im AVV sind Preiserhöhungen jährlich möglich. Stichtag ist Neujahr. Danach gilt eine dreimonatige Karenzzeit, in der alte Streifenkarten noch abgefahren werden. Ob in einem Jahr eine Preiserhöhung kommt, ist noch ungewiss, so AVV-Sprecherin Irene Goßner. Voraussetzung sei, dass die Kosten der Verkehrsunternehmen für Personal und Treibstoff entsprechend steigen.