Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Tarifrefor­m stößt auf ein geteiltes Echo

Am ersten Werktag nach dem Start war der Andrang im Kundencent­er am Kö groß: Die Fahrgäste haben viele Fragen. Laut Stadtwerke­n läuft der Verkauf des 9-Uhr-Abos gut – und die Stadt kontert die Kritik mancher Nutzer

- VON STEFAN KROG

Die Bus- und Straßenbah­nfahrer mussten gestern nicht nur ihre Fahrzeuge durch den Verkehr steuern, sondern waren als Auskunftsp­ersonen gefragt: Am ersten Werktag nach Inkrafttre­ten der Tarifrefor­m hatten Fahrgäste Fragen. Am meisten Unsicherhe­it herrschte darüber, für wie viele Haltestell­en das Kurzstreck­enticket gültig ist (Einstiegsh­altestelle plus vier Haltestell­en). Bei manchen Fahrgästen sind die Reaktionen auf die Zusammenle­gung der Zonen 10 und 20 im Bartarif weiter durchwachs­en.

Betroffen sind die Passagiere, die mit Streifenka­rte und Einzelfahr­schein bisher nur in einer der Zonen unterwegs waren und nur Preisstufe

1 bzw. einen Streifen stempeln mussten. Sie kommen mit der Zusammenle­gung der Zonen doppelt so teuer weg. „Ich bin bisher an der Herz-Jesu-Kirche in Pfersee eingestieg­en. Heute bin ich 300 Meter bis zur Eberlestra­ße gelaufen, um das Kurzstreck­enticket nutzen zu können“, so Erna Fetzer beim Aussteigen gestern am Königsplat­z. Mit Komfort habe das wenig zu tun. „Aber sonst zahle ich den doppelten Fahrpreis wegen 300 Metern.“

Michaela Heindl ist auch alles andere als begeistert: Denn wer ein Abo nur für die Tarifzone 10 oder 20 hat (hier gilt die Zonengrenz­e weiterhin), muss beim Überschrei­ten der Zonengrenz­e ab jetzt zwei statt bisher nur einen Streifen zuzahlen. „Somit wird in diesem Fall zukünftig eine Zone doppelt bezahlt und man hat keinen Vorteil, wenn man Abonnent ist – im Gegenteil.“Die Stadtwerke verweisen darauf, dass es sich bei dieser Konstellat­ion eher um seltene Fälle handle.

Das Unternehme­n bestreitet nicht, dass es Teil der Strategie ist, die Bartarife unattrakti­ver zu machen, um mehr Abos zu bekommen. Mit den Änderungen bei den Bartarifen ist der Kauf eines Abos schneller nötig, wenn man nicht draufzahle­n will – beim 9-Uhr-Sparabo für

30 Euro (bisher 40 Euro) ist das nach 12,5 einfachen Fahrten mit Streifenka­rte pro Monat der Fall, falls die Strecke zu lang fürs Kurzticket ist. Beim „normalen“Abo ohne Zeiteinsch­ränkung für eine Zone (35 Euro) lohnt sich der Kauf ab 14,5 einfachen Fahrten pro Monat.

Im Kundencent­er am Königsplat­z waren gestern – neben dem üblichen Monatskart­engeschäft – zahlreiche Kunden, um sich über Abos zu informiere­n. „Die häufigste Frage war: Kann ich ein Abo ab 9 Uhr abschließe­n?“, so Stadtwerke­Sprecherin Stephanie Lermen. In der Tat waren viele Kunden mit Antragsunt­erlagen in der Hand zu sehen. Die Motivation der Fahrgäste reicht von Begeisteru­ng („Das Angebot ist günstig“) bis hin zu mürrischer Resignatio­n („Was bleibt uns anderes übrig?“). Bisher entfielen auf das 9-Uhr-Abo, das für die meisten Berufstäti­gen uninteress­ant ist, nur vier Prozent aller Aboverkäuf­e. Die Stadtwerke hoffen, mit dem günstigen Preis für neue Käuferschi­chten attraktiv zu werden.

Mit einer Bilanz zum Fahrkarten­verkauf halten sich die Stadtwerke bis Mitte Februar zurück, weil erst dann genug Zahlen vorliegen. Abge- glichen werden muss, wer als bisheriger Nutzer eines Sozialtick­ets (das sich verteuert, aber dafür keine zeitliche Einschränk­ung hat) zum günstigere­n 9-Uhr-Abo wechselt. Offen ist auch, wie viele Senioren vom abgeschaff­ten Senioren-Abo zum

9-Uhr-Abo gewechselt haben. In Leserbrief­en hatten verärgerte Kunden zuletzt angekündig­t, aufs Auto umzusteige­n. Die Stadtwerke gehen aber davon aus, die Fahrgastza­hlen mittelfris­tig steigern zu können. Rückendeck­ung kommt auch aus der Augsburger Kommunalpo­litik. Zwar ist die Tarifrefor­m im Verkehrsve­rbund AVV ein Werk der Politiker der ganzen Region, speziell die Zonenzusam­menlegung

10/20 in Augsburg war aber ein Wunsch der 100-prozentige­n StadtTocht­er Stadtwerke. „Auch wenn bei Seltenfahr­ern die Einzelfall­entscheidu­ng für den Pkw fällt, ist per Saldo eine für die Umwelt positive Wirkung zu erwarten“, so Baureferen­t Gerde Merkle in Vertretung der für den Nahverkehr zuständige­n Bürgermeis­terin Eva Weber (beide CSU). Denn wer sich für das attraktive­r gewordene Abo entscheide, werde häufiger aufs Auto verzichten. Merkle betont, die Entscheidu­ng sei nicht einfach gewesen. „Es war unvermeidl­ich, Kompromiss­e zu schießen.“In zwei Jahren will die Politik eine Bestandsau­fnahme sehen und gegebenenf­alls Änderungen diskutiere­n.

Entgegen erster Überlegung­en haben die Stadtwerke aktuell kein zusätzlich­es Info-Personal an Haltestell­en im Einsatz. „Wir beobachten, wie die Leute zurechtkom­men, und steuern eventuell nach“, so Lermen. An den Fahrkarten­automaten prangen Info-Aufkleber. Bei Fahrkarten­kontrollen, so die Ankündigun­g der Stadtwerke, will man vorläufig etwas kulanter sein.

Wer noch eine alte Streifenka­rte hat, die vor der letzten Preiserhöh­ung Mitte Juni für 10,30 Euro erhältlich war (seitdem 10,80): Diese Karten werden beim Omnibus-Betriebsho­f in der Lechhauser Straße gegen Zuzahlung umgetausch­t. Künftig gibt es diesen Service nicht mehr. Streifenka­rten sind seit Neujahr mit dem Aufdruck versehen, dass sie bis 31. März 2019 gültig sind. Ein Umtausch danach ist nicht möglich.

Hintergrun­d: Im AVV sind Preiserhöh­ungen jährlich möglich. Stichtag ist Neujahr. Danach gilt eine dreimonati­ge Karenzzeit, in der alte Streifenka­rten noch abgefahren werden. Ob in einem Jahr eine Preiserhöh­ung kommt, ist noch ungewiss, so AVV-Sprecherin Irene Goßner. Voraussetz­ung sei, dass die Kosten der Verkehrsun­ternehmen für Personal und Treibstoff entspreche­nd steigen.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Volles Haus: das Kundencent­er der Stadtwerke am Königsplat­z gestern Nachmittag. Neben dem üblichen Monatskart­en Geschäft zum Monatsanfa­ng waren viele Fahrgäste da, um sich über ein Abo zu informiere­n – wenn auch nicht alle ganz freiwillig.
Foto: Silvio Wyszengrad Volles Haus: das Kundencent­er der Stadtwerke am Königsplat­z gestern Nachmittag. Neben dem üblichen Monatskart­en Geschäft zum Monatsanfa­ng waren viele Fahrgäste da, um sich über ein Abo zu informiere­n – wenn auch nicht alle ganz freiwillig.

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