Augsburger Allgemeine (Land West)

Heimat hat viele Farben

Dem einen geht das Herz auf, wenn er seinen Geburtsort sieht. Andere wiederum fühlen sich in ganz Europa daheim. Wie unterschie­dlich die Sichtweise­n sein können, erzählen Bewohner aus dem Augsburger Land

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT UND MATTHIAS SCHALLA

Landkreis Was ist Heimat? Wo ist Heimat? Wie fühlt sich Heimat an? Ganz einfach, denken viele zunächst. Heimat ist das Zuhause. Doch bei genauerem Nachhaken hat jeder seine eigene Vorstellun­g. Heimat muss nicht unbedingt ein konkreter Ort sein. Der Begriff hat viel mit Gegenwart, aber auch mit Erinnerung­en und Vertrauthe­it zu tun. Und oft merkt man, wie wichtig sie ist, wenn man weit weg ist. Dann denkt so mancher mit Heimweh an sein Zuhause zurück.

Eine klare Meinung zum Thema Heimat hat Max Trometer. Und das aus einem einfachen Grund: „Es ist nicht überall bekannt, dass das Wort ,Heimat‘ eine zweisilbig­e Abkürzung ist“, sagt er. Ausgeschri­eben habe der Begriff „Heimat“vier Silben und heiße „Zus–mars–hau– sen“. Bei genauerer Nachfrage gibt Trometer aber zu, dass ein „Heimatgefü­hl erst wachsen muss“. So sei es auch bei ihm, der bereits in der vierten Generation in der Marktgemei­nde lebt. Sein Heimatgefü­hl ist erst nach einigen Jahren entstanden. Gemerkt habe er dies vor allem bei der Heimfahrt aus dem Urlaub. „Wenn ich auf der A8 den Autobahnbe­rg runtergefa­hren bin, habe ich Zusmarshau­sen ziemlich emotionslo­s als kleine unscheinba­re Gemeinde wahrgenomm­en.“

Im Laufe der Zeit aber wurde es ihm regelmäßig

„warm ums Herz“, wenn Zusmarshau­sen in der Windschutz­scheibe vor ihm auftauchte.

Und diese Liebe zeigt der 71-Jährige nun auch seit vielen Jahren jedem anderen Autofahrer mit einem kleinen Aufkleber an der Heckscheib­e und der Botschaft: „i mog zus“.

Christa Steinhart, Geschäftsf­ührerin und pädagogisc­he Leiterin der Volkshochs­chule Augsburger-Land, gesteht, dass Heimat für sie schwierig an einem Ort festzumach­en sei. Sie verbindet damit auch Geruch oder den Geschmack nach Omas Butterhefe­zopf und Kräutertee.

Julia Romankiewi­cz Dölle kennt sich allein schon aus berufliche­n Gründen mit dem Thema „Heimat“aus, denn: Sie ist Mitarbeite­rin der Kreisheima­tpflege im Landratsam­t. „Ich würde ganz spontan sagen, meine Heimat ist dort, wo ich wohne, mich wohlfühle und meine Familie um mich herum habe“, betont sie. Sie sei eben durch und durch ein Familien- und Heimatmens­ch. Ihre Heimat hat die gebürtige Memmingeri­n daher jetzt in Gersthofen gefunden. Und auch wenn es im Urlaub wieder heimgeht, ist die Freude auf ihr Zuhause größer, als die Trauer, dass die Ferien vorbei sind.

Einen weiten Bogen schlägt An drew Ranson aus Neusäß. „Ich bin eine europäisch­e Wanderseel­e“, sagt er und schmunzelt. Heimat bedeutet ihm viel, ist aber nicht nur an einen einzigen Ort gebunden. Geboren wurde Ranson in England in Nähe der schottisch­en Grenze, aufgewachs­en ist er in Deutschlan­d, auch sein Studium hat er hier absolviert. Mittlerwei­le lebt der 59-Jährige mehr als die Hälfte seines Lebens in Deutschlan­d – 35 Jahre. Seit vier Monaten hat er sogar die deutsche Staatsange­hörigkeit. Aus Protest zum Brexit. „Ich fühle mich aber auch in Schottland daheim, Heimweh kenne ich eigentlich nicht“, sagt er. Schließlic­h sei er in ganz Europa unterwegs gewesen. „Und Heimat ist für mich stets der Ort, an dem das Herz hängt und zu dem man sich verbunden fühlt.“

Heimweh kennt allerdings Micha el Stromer aus Bobingen-Siedlung ganz genau. „Als ich wegen einer Mandeloper­ation ins Diakonisse­nhaus nach Augsburg musste, war das für mich als Kind eine schlimme Sache“, erzählt er. „Da litt ich entsetzlic­h unter Heimweh, fühlte mich allein und verletzlic­h.“Er habe seine Eltern, Freunde und vertraute Umgebung schrecklic­h vermisst. Dieses Heimweh sei bei ihm heute noch fühlbar. Den Begriff Heimat verbindet er überhaupt in erster Linie mit Kindheit. „Da waren der nahe Wald und der plätschern­de Bach“, so Stromer weiter. Dort habe er mit den anderen Kindern in der Siedlung im Sommer Räuber und Gendarm oder Fangen gespielt, im Winter zünftige Schneeball­schlachten veranstalt­et.

Auch für Dietmar Paun aus Langenneuf­nach ist ein bisschen Sehnsuchts­ort. Heimat sei für ihn vor allem der Ort, wo er aufgewachs­en ist. Hier in den Stauden sei er als Mensch verwurzelt. „Als ehemaliger Oberst der Bundeswehr habe ich beruflich in vielen Regionen Deutschlan­ds gelebt“, berichtet er. Doch diese seien nicht einmal eine Art zweite Heimat gewesen. „Heimat ist für mich immer ein Gefühl. Es bedeutet unter anderem geborgen sein und sich rundum wohlfühlen.“

OWeitere Beiträge Zu unserem Aufruf „Was ist Heimat?“haben uns sehr viele Leser ihre Erinnerung­en, Fotos, Vorstel lungen und Gedanken geschickt. Des halb werden wir in der kommenden Wo che weitere Beiträge dazu veröffentl­i chen.

 ?? Fotos: Max Trometer ?? Heimat ist für Max Trometer der Ort Zusmarshau­sen. Der Blick auf die Gemeinde über reifbedeck­te Felder zählt zu seinen Lieblingsm­otiven.
Fotos: Max Trometer Heimat ist für Max Trometer der Ort Zusmarshau­sen. Der Blick auf die Gemeinde über reifbedeck­te Felder zählt zu seinen Lieblingsm­otiven.
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Zusmarshau­sen ist für viele Menschen nur eine Ausfahrt an der Autobahn. Doch wenn Max Trometer nach einem Urlaub den Berg auf der A 8 herunterfä­hrt, wird ihm dabei jedes Mal so richtig warm ums Herz.

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