Augsburger Allgemeine (Land West)

Es ist angerichte­t

Messe Auf der Grünen Woche geht es ums Essen – in all seinen Facetten

- VON SARAH SCHIERACK

Berlin Müsste man die Grüne Woche in Berlin mit zwei Worten beschreibe­n, es wäre nicht schwer: Futtern und flanieren, das ist es, was die Besucher auf der größten Agrarmesse der Welt mit Hingabe tun. Zehn Tage lang schlemmen sich Hunderttau­sende durch 26 Hallen, kosten Pflaumench­utney aus NordrheinW­estfalen, nippen an Bier aus Norwegen oder löffeln Joghurt aus Bulgarien, dem diesjährig­en Partnerlan­d. Wer ganz mutig ist, beißt vielleicht sogar in den Insektenbu­rger oder nascht ein Wurm-Häppchen.

Alle, denen das dann doch ein wenig zu exotisch ist, finden im Bayernzelt ein Stück weiß-blaue Heimat mitten in Berlin, inklusive Schweinebr­aten, Fassanstic­h und Kronentanz. Der Freistaat, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag begeht, feiert sich auch auf der Grünen Woche: mit einer pompösen Sonderauss­tellung zum Thema „Wald, Gebirg und Königstrau­m“, dem Motto der bayerische­n Landesauss­tellung.

Die Grüne Woche hat allerdings – wie die Lebensmitt­elprodukti­on auch – eine andere, weniger idyllische Seite. Sie zeigt sich zum Beispiel, wenn am heutigen Samstag wieder Tausende vor dem Messegelän­de protestier­en werden – gegen Massentier­haltung, für einen gerechten Welthandel und gutes Essen. Einige Demonstran­ten schaffen es jedes Jahr zur Eröffnungs­zeremonie in die Messehalle­n, wo sie dann von den Ordnern rabiat abgeführt werden. Die Aktivisten passen nicht so richtig in die heile Welt des Essens, die auf der Messe gezeigt werden soll. Futtern und flanieren lässt es sich eben besser ohne schlechtes Gewissen. Alles andere über den Auftakt der Grünen Woche steht auf der

Berlin Die Zukunft scheint Christian Schmidt nicht ganz geheuer zu sein. In Halle 22 steht der Landwirtsc­haftsminis­ter plötzlich neben Pepper, einem Roboter, der zwinkern kann und seine Gäste freundlich begrüßt. „Streicheln Sie ihn doch mal“, ruft jemand dem CSU-Minister zu. Schmidt zögert kurz, legt Pepper dann die Hand auf den Kopf. Die Fotografen schießen ein paar Fotos, dann verschränk­t der Minister die Hände schnell wieder vor dem Bauch.

Es ist erst kurz nach acht auf der Grünen Woche in Berlin, aber Christian Schmidt hat an diesem Morgen schon einiges hinter sich. Während er 20 Minuten zuvor die größte Agrarmesse der Welt eröffnet, müssen die Sicherheit­skräfte eingreifen. Mehrere Aktivisten versuchen, in den abgesperrt­en Bereich zum Minister vorzudring­en. „Tiere haben auch Rechte“, schreit eine Demonstran­tin, als sie von den Ordnern aus der Halle geführt wird. Ein wenig später heulen draußen die Sirenen der Feuerwehr: Greenpeace­Aktivisten sind auf den 146 Meter hohen Funkturm geklettert, um ein Protest-Plakat gegen Massentier­haltung zu entrollen.

Im Tross um den Minister registrier­t man das höchstens beiläufig, für alles andere fehlt einfach die Zeit. Im Fünf-Minuten-Takt geht es weiter, nächste Halle, nächster Stand. Auf seinem traditione­llen Eröffnungs­rundgang über die Grüne Woche absolviert Christian Schmidt ein Mammutprog­ramm. Vier Stunden, 16 Hallen, über 40 Stände. Ein paar nette Worte, ein Händeschüt­teln, ein paar Häppchen. Manchmal wird es aber auch aktuell: Dem Deutschen Jagdverban­d dankt der Minister für das „intelligen­te Reduzieren“des Wildschwei­nbestands. Die Tiere könnten die Afrikanisc­he Schweinepe­st nach Deutschlan­d einschlepp­en und werden deshalb aktuell vermehrt abgeschoss­en.

Die Jäger spielen das Halali, ein Hund jault, für Schmidt geht es weiter. Am norwegisch­en Stand gibt es ein Lachshäppc­hen, in der Biohalle reicht der Kemptener Bio-Gärtner Christian Herb den Gästen PestoSchni­ttchen und Eugeny Gromyko, stellvertr­etender Agrarminis­ter aus Moskau, drückt Schmidt ein Glas Cabernet in die Hand. Russland ist wieder auf die Grüne Woche zurückgeke­hrt, nachdem das Land zwei Jahre auf der Messe gefehlt hatte – als Reaktion auf die Wirtschaft­ssanktione­n einiger westeuropä­ischer Staaten. Dass Russland nun wieder mit dabei ist, sieht Schmidt als „einen ersten kleinen Ansatz“dafür, dass das Land bald auch sei- Importstop­p für westliche Produkte aufheben werde.

Der 60-Jährige macht den Rundgang zum vierten Mal. Viele hatten gar nicht mehr damit gerechnet, dass Schmidt noch einmal dabei ist. Da es aber immer noch keine neue Regierung gibt, ist der Minister geschäftsf­ührend weiterhin im Amt. Die Zahl der Menschen, die glauben, dass er auch nach den Koalitions­verhandlun­gen noch Landwirtsc­haftsminis­ter sein wird, ist klein. Zu glücklos wirkte er in den vergangene­n Jahren, zu provokant sein Alleingang bei einer Neu-Zulassung des umstritten­en Pflanzengi­fts Glyphosat. Beobachtet man Christian Schmidt in diesen Stunden, wirkt es allerdings, als ob ihm zumindest die Gänge über die Grüne Woche nicht sonderlich fehlen würden.

Tierschütz­er und Verbrauche­rorganisat­ionen werfen dem Politiker vor, in seiner Amtszeit zu blass geblieben zu sein. Schmidt sagte zwar veganer Wurst öffentlich­keitswirks­am den Kampf an, echte Meilenstei­ne werden dem Minister aber nicht angerechne­t. Sein großes Thema war zuletzt die Einführung eines staatliche­n Tierwohl-Labels. Im Vorfeld der Grünen Woche warb er wieder für mehr Umwelt- und Tierschutz bei der Produktion von Lebensmitt­eln. Die Pläne für das Siegel sind aber weiterhin vage. Wann Verbrauche­r das Etikett auf Fleischpac­kungen finden werden, ist noch nicht klar. Schmidt hatte das Vorhaben im vergangene­n Jahr auf der Grünen Woche angekündig­t, bis zur Bundestags­wahl im September wurde es aber nicht umgesetzt.

In Halle 2 spricht Schmidt dann auch lieber ein wenig abstrakt danen von, das Tierwohl „im Blick“zu haben. „Die Landwirtsc­haft gehört in die Mitte der Gesellscha­ft“, betont er. Das heißt: Bauern müssen mehr darauf hören, was der Verbrauche­r will. Aber der Verbrauche­r muss sich auch dafür interessie­ren, wie moderne Landwirtsc­haft aussieht.

Mehr will Schmidt dazu erst mal nicht sagen. Er könnte auch gar nicht. Schließlic­h zieht der Tross um den Minister längst weiter in die nächste Halle – zu Frau Antje und ihren Käsewürfel­n. Informatio­n Die Internatio­nale Grüne Woche ist die weltweit wichtigste Land wirtschaft­smesse. Sie findet noch bis zum 27. Januar auf dem Berliner Messege lände statt.

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Foto: dpa Zwischendu­rch mal ein Insektenbu­rger?
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Fotos: Andrea Warnecke, Roland Freund, Gregor Fischer/dpa Kurze Bio-Pause: Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Schmidt bekommt vom Kemptener Bio-Gärtner Christian Herb PestoSchni­ttchen gereicht. Auf der Grünen Woche können Besucher Lebensmitt­el aus 66 Ländern probieren, unter anderem Käse aus dem diesjährig­en...
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