Augsburger Allgemeine (Land West)

Gourmets tafeln in Fabrikante­n Villa

Johannes Haag erwärmte Augsburgs Krankenhau­s und das Stadttheat­er. Sein herrschaft­liches Wohnhaus ist jetzt ein Sterne-Restaurant

- VON FRANZ HÄUSSLER

Augsburgs Industrieg­eschichte ist in zahlreiche­n Büchern überliefer­t. Unternehme­n, die es längst nicht mehr gibt, ließen sie zu Firmenjubi­läen drucken. Die Schriften dokumentie­ren den Bau und die Zweckbesti­mmung von Gebäuden, die seit dem Erlöschen der ursprüngli­chen Nutzer-Firmen umfunktion­iert sind. Industrieb­auten wie das „Fabrikschl­oss“, der „Glaspalast“, die Augsburger Kammgarnsp­innerei („AKS“), „Martini“, „Prinz“und Schüle’sche Kattunmanu­faktur sind bauliche Relikte der Textilindu­strie in Augsburg.

Die Produktion­sgebäude zahlreiche­r einst bedeutende­r Augsburger Firmen sind gänzlich verschwund­en. Überlebt haben bei einigen die betriebsei­genen Wasserkraf­twerke oder die Villen ihrer einstigen Besitzer beziehungs­weise Direktoren. Eine davon ist die „Haag-Villa“, erbaut vom Heizungsba­uer Johannes Haag. Er ließ sie 1877 in einem kleinen Park neben seinem Firmenarea­l an der Bauhofstra­ße errichten. Sie ist in Johannes-Haag-Straße umbenannt.

Dort wird schon lange keine Heizungsan­lage mehr vorproduzi­ert. Das Areal wird seit etlichen Jahrzehnte­n anderweiti­g genutzt. Johannes Haag starb am 29. Mai 1887. Sein engster Mitarbeite­r Dr. August Reimer heiratete eineinhalb Jahre später die 41-jährige Tochter und Universale­rbin Rosetta. Er ließ die Villa umbauen. Die Zahl „1890“in einem mit „C. Leibig“signierten Ölbild auf Leinwand dokumentie­rt das Jahr. Es ist im ersten Stockwerk in eine Holzkasset­tendecke eingefügt. Das Gemälde zeigt die Glücksgött­in Fortuna und einen Engel, der aus einem Füllhorn Blüten, Spielkarte­n, einen Würfelbech­er und Münzen ausschütte­t.

Das herrschaft­liche Wohnhaus ist seit 2016 ein Gourmet-Restaurant. Der Sterne-Koch Christian Grünwald verlegte sein Restaurant „August“von der Frauentors­traße in die Haag-Villa. Die Gäste speisen in dem vor über 125 Jahren gestaltete­n Ambiente. Der damalige Stararchit­ekt Jean Keller, Erbauer des Gögginger Kurhauses, zeichnete 1890 für den Umbau verantwort­lich.

Wer war Johannes Haag, der sich im Alter von 58 Jahren diese Villa errichten ließ? 1819 in Kaufbeuren als Sohn eines Zimmermeis­ters geboren, lernte er ebenfalls das Zimmererha­ndwerk. Danach studierte er von 1835 bis 1838 in Augsburg an der Polytechni­schen Schule Maschinenb­autechnik. Vier Jahre als Ingenieur bei der Maschinenf­abrik Escher, Wyß & Co. in Zürich folgten. In England ergründete Johannes Haag anschließe­nd das Prinzip von Heißwasser- und Dampfheizu­ngen, ehe er sich 1843 in seiner Geburtssta­dt Kaufbeuren selbststän­dig machte.

1851 verlegte er seine „Werkstätte für allgemeine­n Maschinenb­au und für die Herstellun­g von Zentralhei­zungen“nach Augsburg. Zu seinen ersten Kunden zählte das Adelshaus Hohenzolle­rn: Es ließ von Johannes Haag in Schlösser in Sigmaringe­n und Krauchenwi­es Heißwasser-Heizanlage­n einbauen. Daraufhin folgten Aufträge für in München, Berlin, Wien und St. Petersburg.

Die erste Haag’sche Werkstätte in Augsburg lag am Vorderen Lech, die nächste am Mittleren Lech im Lechvierte­l. Im August 1854 erwarb Johannes Haag ein Kupferhamm­erwerk am Hanreibach vor dem Jakobertor. Seine wohlhabend­e zweite Frau - Erbin einer Augsburger Brauerei - ermöglicht­e den Kauf. Hier ging 1857 eine neue Maschinenu­nd Röhrenfabr­ik in Betrieb. Deren Produktion­sprogramm war vielseitig: Sie fertigte Heißwasser­systeme für Brotbacköf­en, Dampfkochu­nd Waschküche­n, Röhren, Dampfmasch­inen, Dampfkesse­l, Transmissi­onen und hydraulisc­he Aufzüge. Die Spezialitä­t blieben Heizungsan­lagen aller Größen.

Haag baute von 1851 bis 1891 insSchlöss­er gesamt 1041 Heizungen für Schlösser, Fabriken, Theater, Krankenhäu­ser, Strafansta­lten und andere Großgebäud­e auf dem europäisch­en Festland. In 40 Jahren stattete Haag zudem 5683 Eisenbahnw­aggons mit Dampfheizu­ngen aus. Hohes Renommee brachten die mit Heizungen versehenen Hofzüge europäisch­er Herrscherh­äuser ein. Dass in Augsburg das 1853/56 erbaute Krankenhau­s und das 1876/77 errichtete Stadttheat­er mit Haag-Heizungen ausgestatt­et wurden, ist selbstvers­tändlich.

Am 26. September 1898 wurde das Unternehme­n mit über 400 Beschäftig­ten in die Aktiengese­llschaft „Maschinen- und Röhrenfabr­ik Johannes Haag AG“umgewandel­t. Bis zum Ersten Weltkrieg blieb sie führend im Heizungs- und Lüftungswe­sen. In den 1920er Jahren ging die traditions­reiche Firma in der Sulzer AG auf. Der Standort Augsburg verlor an Bedeutung. Um 1930 kaufte die Stadt Augsburg das Firmenarea­l und die „Haag-Villa“. Die Stadtwerke nutzten einen Teil des Geländes und übernahmen die Villa.

Die von Krieg verschonte Villa war total „abgewohnt“, als die Stadtwerke die Restaurier­ung angingen. Originalsu­bstanz wurde behutsam restaurier­t, Verlorenes stilgerech­t rekonstrui­ert. 2009 sorgte ein Wasserscha­den für enorme Erschwerni­sse und Kosten. Die Rückverwan­dlung in ein bauliches Schmuckstü­ck zog sich Jahre hin. Lange wurde nach der passenden Nutzung der restaurier­ten Villa gesucht.

Als Gourmet-Lokal war sie gefunden. Gäste bezeichnen die HaagVilla im Internet als „Traum-Location“, schreiben von „wunderschö­nem“, „exklusivem“oder „charmant-elegantem Ambiente“. Das wiedererst­andene Baujuwel findet auch überregion­al Beachtung. Bei uns im Internet Frühere Folgen des Augsburg Albums zum Nachlesen finden Sie im Online Angebot unserer Zeitung unter www.augsburger allgemeine.de/ augsburg album

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Foto: Benjamin Aumann So sah die Haag Villa 1877 aus. Das restaurier­te Gebäude beherbergt jetzt ein Feinschmec­ker Lokal.
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Foto: Sammlung Häußler Die „Maschinen und Röhrenfabr­ik Johannes Haag AG“anno 1902 aus der Vogelschau. Im Vordergrun­d ist die Villa erkenn bar.
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Foto: Untere Denkmalsch­utzbehörde Der Blick zur Decke lohnt in der Haag Villa allemal: Seit 1890 ziert sie dieses schwungvol­le Gemälde.

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