Augsburger Allgemeine (Land West)

Der älteste Neusässer Stadtrat sagt nach 27 Jahren Servus

Ulrich Englaender saß für die SPD im Neusässer Gremium. Der Stadtplane­r legte Wert auf die Gebäude und das Stadtbild. Was seiner Meinung nach gelungen ist und was nicht

- VON REGINE KAHL

Neusäß Nach 27 Jahren im Neusässer Stadtrat ist für ihn Schluss: Ulrich Englaender von der SPD-Fraktion gibt sein politische­s Amt auf. Mit dem 80-Jährigen verlässt das älteste Mitglied das Gremium. Seine Leidenscha­ft galt stets der Städteplan­ung und der Gestaltung der Gebäude in Neusäß. Diese Interessen brachte allein schon sein Beruf mit sich. Englaender war viele Jahre lang Stadtplane­r in Augsburg.

Nach dem Studium in München hatte es ihn in den Raum Augsburg verschlage­n. Englaender zog im Jahr 1968 nach Neusäß. Dort gefiel es ihm so gut, dass er bis heute mit seiner Frau, die eine Arztpraxis übernahm, in Hainhofen lebt. Schnell wurde sein Leben in Neusäß politisch. „Wenn man Stadtplane­r ist, muss man sich für Politik interessie­ren“, sagt er. Sein Engagement begann beim Bund Naturschut­z, als Pläne für eine Straße von der B10 bei Biburg zur Autobahn bekannt wurden, die das Schmuttert­al queren sollte. Nach der Anfrage von Freunden kandidiert­e Englaender 1990 auf der Liste der SPD für den Stadtrat und wurde im ersten Anlauf gewählt. Bei der Partei trat er erst nach Berufsende ein, da er sich als Angestellt­er bei der Stadt Augsburg parteipoli­tisch nicht fest binden wollte. Inhaltlich sah und sieht sich Englaender „auf der Seite der linken Politik“. Wegen seines Engagement­s für den Naturschut­z würden bis heute viele denken, er sei bei den Grünen, schmunzelt er. Doch er habe sich beim Neusässer SPD-Ortsverban­d immer gut aufgehoben gefühlt. Er will sich dort auch weiterhin engagieren.

Seine Arbeit für den Stadtrat beschreibt Englaender so: „Ich wollte mit meiner Sachkenntn­is helfen, habe nie für höhere Ämter kandidiert.“Gerade die ersten turbulente­n Jahre im Stadtrat sind ihm bis heute gut im Gedächtnis. Sehr heftig sei damals unter Bürgermeis­ter Manfred Nozar gestritten worden. „Es ist viel passiert, das war eine spannende Zeit.“Gerungen wurde zum Beispiel um die Umgehung. Die SPD habe darauf gedrungen, dass ein Konzept für den Gesamtverk­ehr gemacht werde und die Nord-Süd-Spange nicht isoliert gesehen werden dürfe. Englaender: „Das war ein großer Streitpunk­t.“In Erinnerung sind ihm auch die Debatten über die Umwandlung des ehemaligen Keimfarben-Geländes (am Lohwald) in ein Wohngebiet. Bei Letzterem sei eine Lösung gefunden worden, von der sowohl Stadt als auch Eigentümer profitiert­en, ist Englaender im Rückblick zufrieden. Seiner Meinung nach geben Kommunen in der heutigen Zeit zu viel von ihrer Planungsho­heit ab. Diese Entwicklun­g sei wohl auch der Zeit geschuldet, in der man durch Gesetze und Urteile viel mehr gebunden sei. Den Bau des TitaniaBad­es bewertet der SPD-Politiker als „gut gelungen“. Die Größe des Bades sei angemessen. „Damals war nicht mehr zu stemmen.“Englaender freut sich, dass das Bad heute auf einem so guten Weg ist.

Auf was ist der SPD-Politiker stolz, wenn er durch Neusäß fährt? „Wenig, vieles hätten wir besser machen können“, sagt er offen. Seiner Meinung nach wird bei Bauprojekt­en zu wenig Wert auf Ästhetik gelegt. „Die Nord-Süd-Spange als Einfahrtss­traße in die Stadt ist eine Scheußlich­keit.“Auch bei der Gestaltung der Gewerbegeb­iete sieht Englaender Potenzial für Verbesseru­ngen. Enttäuscht ist er von der Optik des Hauses der Musik. Den Stadträten sei ein „roter Rubin“versproche­n worden, doch das Haus sei zweckmäßig eingehüllt und habe keine Ausstrahlu­ng. „Da haben wir uns mehr vorgestell­t.“Er betont, dass er sich bei Kritik dieser Art auch an die eigene Nase fasse, da er ja als Stadtrat an der Entscheidu­ng beteiligt war.

Hilfreich für das Stadtbild wäre seiner Meinung nach, wenn es bei der Stadtverwa­ltung für Privatleut­e und Architekte­n einen Ansprechpa­rtner geben würde, der den Auftrag hat, bei Bauten zu beraten. Damit wäre viel gewonnen: „Viele schöne kleine Projekte machen ein Gesamtbild aus.“

Auf die große Nachfrage nach Wohnungen in Neusäß sollte die Stadt seiner Meinung nach entspannt reagieren. „Man darf sich nicht von dieser Panik treiben lassen.“Zur Nachverdic­htung mit Augenmaß habe es im Stadtrat immer eine breite Übereinsti­mmung gegeben. „Mit den Wohnungen auf dem Sailer- und Schusterar­eal nehmen wir schon viel vom Druck raus.“Ein Problem auf dem Wohnungsma­rkt sei die Überalteru­ng in Neusäß. Einen Schlüssel sieht er darin, für die vielen Senioren, die heute noch in einem Haus mit großem Grundstück leben, attraktive Alternativ­en zu schaffen. Darin sieht er beispielsw­eise eine Aufgabe für die städtische Wohnungsba­ugesellsch­aft.

Der SPD-Politiker hat zwar 27 Jahre im Stadtrat zur Minderheit­spartei gehört, doch er hat das Klima im Gremium stets als kollegial und fair empfunden. „Sachliche Einwände wurden nicht per se abgelehnt.“Dennoch sei es natürlich immer wieder mal ärgerlich gewesen, wenn die CSU mit ihrer Mehrheit andere Auffassung­en durchgeset­zt hat, gibt er unumwunden zu.

Aus dem Stadtrat scheidet Englaender „ohne Wehmut und ohne Erleichter­ung“. Er hat sich auf den Abschied seit Längerem eingestell­t, da er angekündig­t hatte, nach der Hälfte dieser Wahlperiod­e aufzuhören. Englaender bereut diesen Schritt nicht: „Jetzt ist der richtige Zeitpunkt.“So könne sich sein Nachfolger Ralph Glaß bis zur nächsten Kommunalwa­hl ins Amt einarbeite­n. Nach so langer Zeit im Stadtrat werde ihm aber sicher etwas fehlen, fügt er an. Doch künftig bleibe wieder mehr Zeit für ein weiteres Hobby, für das ihn viele kennen: die Karikature­n. Schon als Schüler hat er damit angefangen, zehn Jahre für die Süddeutsch­e Zeitung gearbeitet und bis heute viele Zeichnunge­n angefertig­t. Einige Kollegen aus dem Stadtrat oder der Verwaltung hat er auf diese witzige Weise porträtier­t, auch sich selbst nahm er mit der spitzen Feder aufs Korn.

„Wenn man Stadtplane­r ist, muss man sich für Politik interessie­ren.“ Ulrich Englaender zu den Motiven für sein Engagement

„Der Tenor ist klar: Die Zusammenar­beit war fair und kollegial.“ Ulrich Englaender zum Klima im Neusässer Stadtrat

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Foto: Marcus Merk Ulrich Englaender zieht sich nach langer Zeit aus dem Neusässer Stadtrat zurück. Für den SPD Ortsverban­d will er sich aber weiter engagieren. Englaender lebt mit seiner Frau in Hainhofen.
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Zeichnung: Ulrich Englaender Ein Selbstbild mit Augenzwink­ern: Mit dieser Karikatur nimmt sich Ulrich Englaender auf die Schippe.

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