Augsburger Allgemeine (Land West)

Reinhard Marx plaudert mit Thomas Gottschalk

Wie kann Bayern gerechter werden? Nach jahrelange­r Arbeit legt eine Enquete-Kommission Empfehlung­en für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse vor. Warum ein Experte die Staatsregi­erung rügt

- VON ULI BACHMEIER

München Geht es gerecht zu zwischen Stadt und Land in Bayern? Was kann getan werden, um das Verfassung­sziel „gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse“zu erreichen? Mehr als drei Jahre lang hat sich im Landtag eine Enquete-Kommission mit diesen Fragen befasst. Gestern legte sie einen 152 Seiten starken Abschlussb­ericht vor. Das wichtigste Ergebnis: CSU, SPD, Freie Wähler und Grüne sind sich weitgehend einig, dass es „kein Bayern der zwei Geschwindi­gkeiten“geben soll. Deshalb müsse mehr für die ländlichen Räume getan werden.

Wo es zwischen den Regionen Bayerns hakt, ist seit langem bekannt: Vielerorts außerhalb der Metropolen fehlt es an Ärzten und Pflegedien­sten, an digitaler Infrastruk­tur, an hochwertig­en Arbeitsplä­tzen, an Bahn- und Busverbind­ungen im Nahverkehr sowie an Kulturund Bildungsan­geboten. Ortskerne verlieren an Attraktivi­tät. Immobilien stehen leer und verlieren an Wert. Umgekehrt platzen die Ballungsze­ntren und insbesonde­re die Landeshaup­tstadt München aus allen Nähten. Es herrscht eklatanter Wohnungsma­ngel. Auf den Autobahnen und großen Einfallstr­aßen sind regelmäßig­e lange Staus zum geworden, weil hunderttau­sende Arbeitnehm­er pendeln müssen, um zu ihrem Arbeitspla­tz zu kommen.

Die 26-köpfige Enquete-Kommission unter Leitung des CSU-Abgeordnet­en Berthold Rüth (Vorsitzend­er) und des SPD-Abgeordnet­en Christoph Rabenstein (Stellvertr­eter) hat nun eine Bestandsau­fnahme mit insgesamt 120 Handlungse­mpfehlunge­n vorgelegt, um für mehr Ausgleich zu sorgen. Dazu gehören unter anderem die Förderung der digitalen Bildung an allen Schularten, die Entlastung pflegender Familienan­gehöriger durch Stärkung der Versorgung­sstrukture­n in der Pflege, ein bayernweit einheitlic­hes Tarifsyste­m im öffentlich­en Nahverkehr sowie der flächendec­kende Glasfasera­usbau und ein flächendec­kendes Mobilfunkn­etz im 5G-Standard. Außerdem empfiehlt die Kommission, die Städte und Gemeinden finanziell besser auszustatt­en. Der Anteil der Kommunen am Steuerverb­und soll deshalb schrittwei­se angehoben werden.

Die Kommission, der auch elf Experten aus Wissenscha­ft und Staatsverw­altung angehörten, habe mit dem Bericht „ein Konzept der räumlichen Gerechtigk­eit entwickelt“, sagte Rüth. Kern dieses Konzepts sei, dass der Staat die Grundverso­rgung, die Infrastruk­tur und die Finanzmitt­el zur Verfügung stellen soll und die Kommunen sich um die konkrete Ausgestalt­ung kümmern sollen.

Die Sprecher aller vier FraktioDau­erärgernis nen hoben gestern hervor, dass trotz aller parteipoli­tischen Differenze­n in vielen Fragen Einigkeit bestanden habe. Erst in der Plenardeba­tte am Nachmittag wurden auch Unterschie­de deutlich. Während Rüth hervorhob, was die Staatsregi­erung in der Vergangenh­eit für den ländlichen Raum bereits geleistet habe, hielt Rabenstein der CSU vor, dass sie Bayern viel zu lange als „Bayern AG betrachtet“und die Politik ausschließ­lich dem wirtschaft­lichen Wachstum in den Ballungsze­ntren untergeord­net habe.

Joachim Hanisch (Freie Wähler) betonte, dass der Bericht „keine Worthülse“bleiben dürfe, sondern „mit Leben erfüllt“werden müsse. Markus Ganserer (Grüne) forderte, die Bedürfniss­e des Einzelnen zum Maßstab politische­n Handelns zu machen: „Niemand sollte wegen seiner sozialen und räumlichen Herkunft benachteil­igt werden.“

Professor Holger Magel, Präsident der Bayerische­n Akademie für den ländlichen Raum, hofft auf ein grundsätzl­iches Umdenken in der Politik. Bisher habe die Staatsregi­erung etwa bei Behördenve­rlagerung nur gekleckert statt geklotzt. 2500 Arbeitsplä­tze aus München hinauszuve­rlagern, sei noch viel zu wenig. Magel: „Wir schaffen diesen Klick im Hirn nicht.“

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Foto: Lennart Preiss/photothek.net, Imago Der Öffentlich­e Nahverkehr ist in Bayern nicht gleichmäßi­g auf die Metropolen und den ländlichen Raum verteilt.

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