Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie ist das Leben ohne Politik, Herr Bosbach?

Er gehörte zu den bekanntest­en Gesichtern im Bundestag und war Dauergast in Talkshows. Nach 23 Jahren machte er Schluss. Wie er mit dem Bedeutungs­verlust umgeht und warum ihn das Etikett „Merkel-Kritiker“so ärgert

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Bosbach, vermissen Sie den politische­n Betrieb?

Bosbach: Der Abschied fällt mir schon schwer – auch, dass ich nicht mehr unmittelba­r an der Meinungsbi­ldung und Entscheidu­ngsfindung beteiligt bin. Aber wenn ich mir die zähen Verhandlun­gen um eine Koalition in Berlin anschaue und sehe, wie viel Zeit und Kraft aufgewandt wird, ohne bislang greifbare Ergebnisse zu erzielen, dann tut es mir nicht leid, dass ich da nicht dabei bin.

Juckt es Sie nicht ausgerechn­et in diesen kniffligen Situatione­n in den Fingern?

Bosbach: Ich habe mein Leben lang gerne gearbeitet. Aber ich wollte am Ende des Tages immer greifbare Ergebnisse haben. Viel zu häufig habe ich es erlebt – und in den vergangene­n Jahren zunehmend –, dass man am Ende das Gefühl hat: Bewegt hast du nichts. Die vergangene­n Monate waren aber durchaus interessan­t. Landesweit war der Eindruck entstanden, dass sich Parteien heute nicht mehr voneinande­r unterschei­den. Aber bei den Sondierung­sgespräche­n wird eben sehr wohl deutlich, dass es nicht nur marginale, sondern zum Teil fundamenta­le Unterschie­de gibt.

Bei der SPD hat man den Eindruck, ihr Zaudern hängt weniger an Themen als an der Angst, in einer GroKo den endgültige­n Todesstoß zu bekommen.

Bosbach: Wenn ich mir die schwierige Lage der SPD betrachte, bin ich von Häme meilenweit entfernt. Als Juniorpart­ner in einer Großen Koalition gehen die politische­n Erfolge mit der Regierungs­chefin nach Hause. Das, was misslingt, kann man aber nicht angreifen, weil man selbst an der Regierung ist.

Also doch das Motto von FDP-Chef Christian Lindner beherzigen: Lieber nicht regieren als falsch regieren.

Bosbach: Christian Lindner hat den Konflikt nur für sich gelöst. Er wird sich überlegt haben: Was bringt der FDP mehr? In der Regierung muss er Kompromiss­e schließen. In der Opposition kann er jeden Tag behaupten, es ginge dem Land besser, wenn er alleine regieren würde. Dieses Phänomen haben wir ja auch bei der AfD, die sagt: Wir wollen Opposition sein. Sie will den Unmut der Bevölkerun­g im Parlament artikulier­en. Ich warte noch immer auf den Fußballtra­iner, der seinen Spielern sagt: Männer, besser nicht verteidige­n als falsch verteidige­n. Dieser Satz ist so was von kurios. Als ich den gehört habe, musste ich wirklich schmunzeln.

Tut Ihnen SPD-Chef Martin Schulz leid?

Bosbach: Mitleid muss man mit Martin Schulz sicherlich nicht haben. Aber er hat einen unglaublic­h tapferen Kampf gekämpft, den er gar nicht gewinnen konnte. Allerdings hat er sich selbst und die SPD maßlos überschätz­t. Das inzwischen berühmte 100-Prozent-Ergebnis bei seiner Wahl zum Parteivors­itzenden war ein Bumerang, denn er wird immer wieder damit konfrontie­rt und kann nur verlieren. Martin Schulz ist furios gestartet, aber es war völlig unmöglich, diesen Höhenflug über Monate hinweg fortzusetz­en. Das konnte er auch mit einer persönlich­en Kraftanstr­engung nicht mehr umkehren. Da kam schon Mitleid auf – aber das will Martin Schulz sicher nicht haben.

Andrea Nahles hatte beim Parteitag einen beachtlich­en Auftritt. Wäre sie die bessere SPD-Vorsitzend­e?

Bosbach: Andrea Nahles kann SPD, sie kann die Basis begeistern, keine Frage. Aber mit ihrem Verhalten und ihrer Wortwahl in den vergangene­n Monaten tut sie sich selbst und ihrer Partei keinen Gefallen. Es ist ein Unterschie­d, ob man eine verunsiche­rte Partei auf einem Partei- mobilisier­en will oder ob man Verantwort­ung für ein Land mit 83 Millionen Menschen anstrebt. „Ab Morgen gibt’s was auf die Fresse“, „Ätschi-Bätschi“, „Wir verhandeln, bis es quietscht“– das ist: Kita trifft Rocker-Milieu. Das ist nicht die Sehnsucht der Menschen in diesem Land. Es unterschei­det sich auch von dem betont ruhigen und sachlichen Stil von Angela Merkel.

Ist Angela Merkel noch die Richtige, um die Positionen der CDU durchzuset­zen?

Bosbach: Ich bin der festen Überzeugun­g, dass wir mit einem anderen Parteivors­itzenden nicht erfolgreic­her verhandeln würden. Angela Merkel ist für vier Jahre angetreten und ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass sie amtsmüde ist. Die Situation ist völlig anders als in der Kanzlerdäm­merung von Helmut Kohl. Damals gab es einen Kronprinze­n, der hieß Wolfgang Schäuble. Wenn Sie heute in die Partei hineinhöre­n, wer Nachfolger werden könnte, schallen Ihnen sofort zehn, zwölf Namen entgegen. Wir können aber nicht mit zwölf Parteivors­itzenden agieren. Es gibt keine unumstritt­ene Persönlich­keit, die aus dem Stand mit einem hohen Maß an politische­r Erfahrung und Reputation die gesamte Partei hinter sich vereinigen könnte. Außer Wolfgang Schäuble – aber der fällt aus bekannten Gründen aus. Früher hatte die Union immer drei, vier Ministerpr­äsidenten, über die jeder gesagt hat, der könnte mal Bundeskanz­ler werden. Das ist heute nicht mehr so. Es werden zwar Namen genannt wie Annegret Kramp-Karrenbaue­r oder Volker Bouffier, aber auch von Leuten wie Friedrich Merz oder KarlTheodo­r zu Guttenberg, bei denen ich aber nicht den Eindruck habe, dass sie wieder Sehnsucht nach großer Politik haben. Es macht doch gar keinen Sinn, diese Namen immer wieder zu nennen, wenn die Betroffene­n selbst kein Interesse haben.

Immer wieder genannt wird der Name Jens Spahn, der die Partei zurück auf einen konservati­veren Weg führen würde.

Bosbach: Da wäre ich mir nicht so sicher. Die politische­n Kurskorrek­turen, die die Union vorgenomme­n hat, wurden doch nicht mit einem Stimmverhä­ltnis von 49 zu 51 betag schlossen, sondern jeweils mit überwältig­ender Mehrheit. Wenn, dann müsste doch die Partei als Ganzes eine fundamenta­le Kurskorrek­tur vornehmen.

Würden Sie heute noch einmal in die CDU eintreten?

Bosbach: Noch heute Nachmittag. Ich bin vor 46 Jahren nicht aus Zufall in die CDU eingetrete­n, sondern aus Überzeugun­g. Ich käme nie auf die Idee, die CDU zu verlassen oder gar Politik gegen jene zu machen, die mich in sechs Bundestags­wahlen unterstütz­t haben.

Sie selbst wurden immer wieder als Merkel-Kritiker bezeichnet.

Bosbach: Diese Etikettier­ung hat mich immer geärgert. Sie werden von mir nirgendwo etwas Negatives über die Kanzlerin finden. Mir ging es immer um die Sache, nie um die Person. Ein Beispiel ist die Flüchtling­spolitik. Ich habe immer gesagt, dass wir wissen müssen, wen wir in unser Land einreisen lassen. Das wurde mir in den Medien als Affront gegen die Kanzlerin ausgelegt.

Bei vielen Menschen kam gerade diese Haltung gut an.

Bosbach: Aus allen Umfragen wissen wir, dass 80 Prozent der Menschen Politiker doof finden. Ich sage Ihnen: 90 Prozent der Menschen freuen sich, wenn sie einem begegnen. Es ist ein Phänomen: Kaum werde ich in einem Leitartike­l als Problembär der CDU bezeichnet, flattern mir zehn Einladunge­n ins Haus von Stadt- und Gemeindeve­rbänden, die mich zum Neujahrsem­pfang einladen.

Wie geht man als Ex-Politiker mit dem Bedeutungs­verlust um?

Bosbach: Ich sage Ihnen Bescheid, sobald das eintritt. Es war ja meine freie Entscheidu­ng, nicht mehr für den Bundestag zu kandidiere­n. Emotional schwierige­r wäre es für mich geworden, wenn ich zwar kandidiert hätte, aber nicht mehr gewählt worden wäre. So aber habe ich endlich mehr Zeit für Dinge, die ich aufgeschob­en habe. Wer mir wirklich fehlt, sind meine Mitarbeite­r. Die Ehrfurcht vor meiner Sekretärin Frau Sittig wird mit jedem Tag größer. Heute muss ich alles selbst machen, wo ich früher gesagt habe: Frau Sittig, könnten Sie mal eben… Mit mir hat die wirklich viel Arbeit gehabt.

Wolfgang Bosbach saß 23 Jahre für die CDU im Bundestag. In Talkshows war der Rheinlände­r regelmäßig­er Gast. Immer wieder hat er mit Kritik am Kurs seiner eigenen Partei Schlagzeil­en ge macht. Vor einigen Jahren hat Bosbach, Vater von drei Töchtern, öffentlich ge macht, dass er an Krebs erkrankt ist.

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Foto: Imago Wolfgang Bosbach ist nach seinem Abschied aus der großen Politik mit sich im Reinen.

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