Augsburger Allgemeine (Land West)

Ägypten hat keine Wahl

Vor sieben Jahren feierten die Menschen am Nil den Beginn des Arabischen Frühlings. Doch der demokratis­che Aufbruch ist grandios gescheiter­t. Die Präsidents­chaftswahl wird zur Farce

- York Times New

Kairo Zum Galgenhumo­r in den sozialen Medien Ägyptens gehörte zuletzt auch das Video eines 100-Meter-Laufs. Es stammt aus dem Film „Der Diktator“von Komiker Sacha Baron Cohen, der dort als arabischer Alleinherr­scher mit Militäruni­form auftritt. Bei besagtem Wettrennen startet er als Erster, feuert danach die Startpisto­le selbst ab und schießt aufholende Konkurrent­en nieder. In Ägypten verbreitet­e sich der Ausschnitt als Twitter-Nachricht eines bekannten Bloggers. Die Geschichte erinnert viele Ägypter offensicht­lich an ihren Präsidente­n Abdel Fattah al-Sisi. Der autoritäre Herrscher und wichtige Partner der Bundesregi­erung will als Präsident wiedergewä­hlt werden und versprach in einer Rede mit der für ihn typischen, ruhigen Stimme, dass die Abstimmung Ende März „frei und transparen­t“ablaufen werde. Es solle gleiche Chancen für alle Kandidaten geben. Die Realität zwei Monate vor der Wahl ist, dass es nicht einmal echte Gegenkandi­daten gibt.

Das liegt nicht daran, dass es kein Interesse am höchsten Staatsamt gibt. Vielmehr wurden alle namhaften Konkurrent­en schon vor einer möglichen Registrier­ung aus dem Weg geräumt – und zwar in den Augen des Ägypten-Experten Stephan Roll von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik auf so offensicht­liche Weise, dass er den „Tiefpunkt in der politische­n Entwicklun­g Ägyptens“erreicht sieht. Vor genau sieben Jahren, Ende Januar und Anfang Februar 2011, begann in Kairo und anderen Städten Ägyptens die Hoffnung auf Veränderun­g zu wachsen. Vor allem die jungen Ägypter zogen auf den TahrirPlat­z, durchbrach­en Absperrung­en der Polizei und stürzten Langzeithe­rrscher Hosni Mubarak – in der Hoffnung, künftig an der Gestaltung des Landes teilhaben zu können. Diese Hoffnungen haben sich zerschlage­n.

Der Kandidat und ehemalige Armee-Stabschef Sami Annan wurde wegen angebliche­r Verfehlung­en und Dokumenten­fälschung festgenomm­en. Seit einer Woche ist unklar, wo er festgehalt­en wird. Ex- Ministerpr­äsident Ahmed Schafik wurde nach seiner Wiederkehr aus dem Exil nach Recherchen der

wochenlang in einem Hotel quasi unter Hausarrest gestellt. Seine angekündig­te Kandidatur hat er – offenbar unter Druck – abgesagt. Der Neffe des ehemaligen Staatschef­s Anwar al-Sadat, Mohammed Anwar al-Sadat, wollte sich nach eigenen Aussagen nicht aufstellen lassen, weil er sich um die Gesundheit seiner Anhänger sorgte. Was bleibt, ist neben dem großen Favoriten al-Sisi ein Kandidat, der kurz vor Ablauf der Frist auftauchte und gegen al-Sisi antritt. Doch die Nominierun­g von Mussa Mostafa Mussa von der regierungs­nahen Partei Al-Ghad nennt der ÄgyptenExp­erte Roll eine „Verzweiflu­ngstat“der Führung, damit al-Sisi zumindest auf dem Papier einen Gegner hat.

Die Abstimmung Ende März wird damit – wie schon unter Mubarak und anderen Vorgängern al-Sisis – zur Farce. Aus der ägyptische­n Opposition spricht die schiere Verzweiflu­ng. „Es gibt praktisch keinen Weg, um etwas auf demokratis­che Art zu verändern“, sagt Masum Marsuk, der unter Mubarak Vertreter des Außenminis­ters und Botschafte­r war. Obwohl er gar keiner Partei mehr angehöre, sei er – wie seine Familie – von den al-Sisi-treuen Medien angegriffe­n worden. Treffen von Regierungs­gegnern seien auch daran gescheiter­t, dass kein Hotel den Opposition­ellen Räume zur Verfügung stellen wollte.

Eine Reihe von al-Sisi-Kritikern hat angesichts der ägyptische­n Verhältnis­se zum Boykott der Wahl aufgerufen. Trotz der Wut vieler Bürger wegen der schmerzhaf­ten, aber notwendige­n Wirtschaft­sreformen der Regierung erwartet Ägypten-Experte Roll aber keine größeren Proteste. Die Regierung am Nil wäre auf diese auch nicht mehr so unvorberei­tet wie noch unter Mubarak. Und in zwei Monaten, daran zweifelt am Nil eigentlich niemand, wird al-Sisi seine zweite Amtszeit einleiten. Der Verfassung zufolge müsste es seine letzte sein. Ob es so sein wird, bleibt abzuwarten.

 ?? Foto: Mohammed El Shahed, afp ?? Abdel Fattah al Sisi, wohin man auch schaut. Der Amtsinhabe­r ist derzeit der einzige ernsthafte Kandidat für die Präsidents­chaftswahl.
Foto: Mohammed El Shahed, afp Abdel Fattah al Sisi, wohin man auch schaut. Der Amtsinhabe­r ist derzeit der einzige ernsthafte Kandidat für die Präsidents­chaftswahl.

Newspapers in German

Newspapers from Germany