Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie wird die Ausbildung attraktive­r?

Lehrlinge sind die Fachkräfte von morgen, das wissen Unternehme­n. Doch viele Jugendlich­e wollen lieber studieren. Das lässt sich ändern, sagt ein Experte

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Als Präsident der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben müsste Andreas Kopton eigentlich keine Probleme mit dem Thema duale Ausbildung haben. Hat er aber – zumindest ein bisschen. So erzählte Kopton auf dem Neujahrsem­pfang der IHK gestern Abend im Kongress am Park in Augsburg von einer Szene am heimischen Frühstücks­tisch. Seine Tochter sei gerade in der 9. Klasse, genau im richtigen Alter, um eine Lehre anzufangen. Als er ihr das vorschlug, antwortet sie: „Bist du betrunken?“Kopton: „Warum denn nicht?“Tochter: „Weil du mir gesagt hast, dass ich sonst an der Supermarkt­kasse lande.“Und das, so der IHKPräside­nt, sei leider wahr. Gegenüber der Lehre gibt es viele Vorurteile.

„Um das Image der Ausbildung zu verbessern, müssen wir nicht bei den Schülern anfangen, wir müssen bei den Eltern beginnen. Sogar bei mir“, sagt Kopton und erntet Gelächter. Was Kopton, dessen beide anderen Kinder sehr wohl eine Ausbildung gemacht haben, als Beispiel anführt, ist ein Problem, das viele Unternehme­r beschäftig­t. Die Lehre hat ein Imageprobl­em. Dabei sind die Unternehme­n auf Auszubilde­nde angewiesen, sie sind die Fachkräfte von morgen. Zeit also, um einmal Bilanz zu ziehen, was das System der Berufsausb­ildung betrifft. Dafür hatte sich die IHK Professor Friedrich Esser, Präsident des Bonner Bundesinst­ituts für Berufsbild­ung und gelernter Bäcker, als Festredner eingeladen. Seine These: Vor allem Kleinst- und Kleinunter­nehmer tun sich zunehmend schwer, Auszubilde­nde zu finden.

„Viele Großbetrie­be erzählen uns, dass sie nach wie vor mehr Bewerbunge­n bekommen, als sie Lehrstelle­n anbieten“, sagt Esser. Die Kleinen hingegen finden kaum Azubis. Und warum? Weil sich viele Jugendlich­en von einem höheren Abschluss, also einem Studium, bessere Karrierech­ancen erhoffen, so der Professor. Und weil sie bei Großbetrie­ben davon ausgehen, dass diese in der Ausbildung den neusten Stand der Technik anbieten, bessere Aufstiegsc­hancen ermögliche­n und mehr Gehalt bezahlen.

„Deshalb müssen sich die kleinen Unternehme­n vernetzen, sie müssen sich zusammentu­n und sie müssen auf übergeordn­ete Institutio­nen wie die IHKs zurückgrei­fen, damit sie eine Chance haben gegen Großbetrie­be und Hochschule­n.“Denn die Kleinen, so Esser, sind das Rückgrat der Wirtschaft.

Allerdings warnt Esser auch davor, die Schuld für die sinkende Zahl der Lehrlinge vorschnell in einem Akademisie­rungswahn zu suchen. „Wenn ich als Bäcker jeden Tag meine Auslage mit meiner Ware bestücke und die Kunden laufen alle zu meinem Konkurrent­en, dann kann ich sagen: Die sind alle wahnsinnig. Aber das wird nichts ändern“, sagt er. Stattdesse­n müsse man nach eigenen Fehlern suchen und sie beheben.

„Die Digitalisi­erung ist die Chance, die Ausbildung wieder attraktiv zu machen“, schlägt Esser vor. Weil sie Berufsbild­er ändere und Jugendlich­en das biete, was sie suchten. Dass die Zahl der Lehrlinge vergangene­s Jahr wieder leicht gestiegen sei – im Bereich der IHK Schwaben sogar um 2,6 Prozent –, sei ein Hoffnungss­chimmer, aber kein Zeichen für eine Trendwende. Denn ein Imagewande­l brauche Zeit. Mindestens 15 Jahre, schätzt Esser.

 ?? Foto: Fred Schöllhorn ?? Professor Friedrich Esser ist gelernter Bäcker und Fachmann für Bildung. Er hat eine Idee, wie man die Lehre wieder beliebter machen kann.
Foto: Fred Schöllhorn Professor Friedrich Esser ist gelernter Bäcker und Fachmann für Bildung. Er hat eine Idee, wie man die Lehre wieder beliebter machen kann.

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