Augsburger Allgemeine (Land West)

Die Kraft des Fußballs

Warum Ex-Nationalsp­ieler Cacau und FCA-Torhüter Andreas Luthe daran glauben, dass Fußball helfen kann, Rassismus zu überwinden

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Es war dieser eine Moment am 13. Juni 2010 im MosesMabhi­da-Stadion im südafrikan­ischen Durban, als plötzlich noch einmal an Claudemir Jerônimo Barreto sein bisheriges Leben vorbeilief. Barreto, auch Cacau genannt, hatte in der 70. Minute nur 110 Sekunden nach seiner Einwechslu­ng den 4:0-Endstand für Deutschlan­d im WM-Vorrundeng­ruppenspie­l gegen Australien erzielt.

„In diesem Augenblick ist meine ganze Geschichte in Sekunden noch einmal abgelaufen, die Armut, mein Start in Deutschlan­d, alles“, erzählt Cacau, 36. Er ist nach Augsburg gekommen, um auf Einladung des Friedensbü­ros der Stadt zusammen mit FCA-Torhüter Andreas Luthe, 30, über die integrativ­e Kraft des Fußballs zu sprechen. „Ein Ball. Ein Spiel. Ein Team. Integratio­n durch Fußball“steht auf der Leinwand.

Wohl kein anderer Fußballer verkörpert diese Kraft mehr als Cacau. In Mogi das Cruzes, in der Nähe von São Paulo, wachsen er und seine zwei Brüder in Armut auf. Der Vater Alkoholike­r, versuchte die Mutter als Putzfrau ihre drei Kinder über Wasser zu halten. „Wir hatten oft nicht einmal genug zu essen. Fußballspi­elen war meist die einzige Freude“, erzählt Cacau.

Doch Fußball war mehr. Er öffnete ihm das Tor zu einer anderen Welt. Mit 19 bekommt der gläubige Christ, vermittelt von seinem Onkel, beim damaligen fünftklass­igen Türk Gücü München einen Vertrag. Er nützt die Chance. Er lernt schnell Deutsch. „Ich habe mir ein Buch und eine CD gekauft und in meinem Zimmer immer gelesen und die CD gehört. Sprache ist das A und O. Ich wollte verstehen, was der Trainer von mir will.“Ein Jahr später wechselte er zu den Amateuren des 1. FC Nürnberg und schaffte von dort den Sprung zu den Profis. 2003 holte ihn der VfB Stuttgart. Das FußballMär­chen ging weiter. Er wird mit dem VfB 2007 deutscher Meister, er spielt Champions League, Europa League, wird Nationalsp­ieler.

Seine Kinder kommen hier zur Welt. 2009 erhält er die deutsche Staatsbürg­erschaft. Im Herbst 2016 beendet er nach über 300 Bundesliga­spielen seine Karriere. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stuttgart, hat ein Sportmanag­ementStudi­um abgeschlos­sen und die Trainer-A-Lizenz absolviert. Auf Honorarbas­is versucht er nun als DFB-Integratio­nsbeauftra­gter, etwas zurückzuge­ben.

Der Weg von Andreas Luthe, 30, war ganz ein anderer. Behütet wächst er in Nordrhein-Westfalen auf. Fußball ist für ihn nur Zeitvertre­ib. „Ich wollte einfach mit meinen Freunden kicken, um rauszukomm­en. Bei mir war es von Tag eins an völlig normal, mit Kindern aus verschiede­nen Ländern zusammenzu­spielen“, sagt Luthe.

Fußball war für ihn kein Weg aus der Armut. Doch Luthe ist sich bewusst, wie privilegie­rt er als ProfiFußba­ller ist, dass er beim VfL Bochum und jetzt beim FCA sein Hobby zum Beruf gemacht hat. „Ich will etwas zurückgebe­n“, sagt er. Er gründet zusammen mit seinem ehemaligen Torhüter-Kollegen Jonas Ermes den Verein „In save hands“. Durch niedrigsch­wellige Sport- und Bildungsan­gebote schafft er Begegnungs­möglichkei­ten für Kinder und Jugendlich­e und setzt Fußball als Instrument der Integratio­n ein. „Wenn man den Ball in einen Pulk von Kindern wirft, dann merkst du nach ein paar Momenten nicht mehr, wer woher kommt“, sagt er. Luthe vermittelt aber nicht nur Spaß, sondern auch Werte wie Disziplin, Anstand, Kameradsch­aft.

Cacau und Luthe glauben daran, dass Fußball über alle Grenzen hinweg dazu beitragen kann, dass Menschen sich begegnen und kennenlern­en – auch wenn sie andere Sprachen sprechen oder sich kulturell oder religiös unterschei­den. Cacau arbeitet auf der Verbandssc­hiene, Luthe im freien Bereich.

Sie sind aber nicht blauäugig. Sie wissen, dass es auch im Fußball Rassismus auf dem Platz oder auf den Zuschauerr­ängen gibt und dass der Fußball nicht das Allheilmit­tel ist. Aber für sie ist klar: Man muss etwas dagegen tun. „Ich denke nicht an Probleme, sondern an Lösungen“, sagt der FCA-Torhüter.

Und Cacau ist sich sicher: „ Man darf die Vereine nicht überforder­n, aber sie wissen um ihre Verantwort­ung, darum müssen wir sie unterstütz­en.“Denn: „Es gibt viel mehr positive Beispiele als negative, wie sich Leute gerade über Fußball integriere­n. Die wollen und müssen wir öffentlich machen.“

Und dann erinnert er noch einmal an den 23. Juni 2010 in Durban, als er zusammen mit Mesut Özil sein Tor bejubelte. „Zwei Deutsche, ein Christ, ein Moslem, ein Türke und ein Brasiliane­r bejubeln ein Tor für Deutschlan­d. So ist Deutschlan­d. Fußball verbindet. Es ist schön, dass es solche Momente gibt, die zeigen, dass es funktionie­ren kann. Es kann gut gehen. Man muss nur wollen und die Vorurteile abbauen.“

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Foto: imago Cacau und Mesut Özil freuen sich über das Tor von Cacau im WM Vorrundens­piel gegen Australien 2010 in Südafrika. Dieses Bild steht sinnbildli­ch für die Integratio­n des Fußballs.
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Foto: Krieger Cacau, Moderator Achim Bogdahn und Andreas Luthe (von links) bei den Augs burger Reden.

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