Augsburger Allgemeine (Land West)

Messerstec­herei nach Streit um einen Grill

Ein Asylbewerb­er rammte in Schwabmünc­hen einem Afghanen ein großes Messer in den Rücken. Die schwierigs­te Frage für das Schöffenge­richt: Reicht eine Bewährungs­strafe aus?

- VON MICHAEL LINDNER

Schwabmünc­hen Der 27-jährige Asylbewerb­er aus Afghanista­n steht vor seiner Unterkunft in Schwabmünc­hen. In seiner rechten Hand hält er ein großes Messer, Klingenlän­ge 20 Zentimeter. Er fuchtelt damit hin und her. Ihm gegenüber steht ein gleichaltr­iger Landsmann, mit dem er zuvor eine handfeste Auseinande­rsetzung hatte. Andere Bewohner der Flüchtling­sunterkunf­t versuchen den Angreifer, aufzuhalte­n. Der bedrohte Mann dreht sich weg, will weglaufen. Plötzlich spürt er einen Stich. Das Messer bohrt sich in seinen Rücken im Bereich der linken Schulter. Es bleibt zunächst stecken, dann zieht es der Angeklagte wieder heraus und geht zurück in die Unterkunft. Dort verletzt er sich mit dem Messer absichtlic­h an seiner eigenen linken Hand – und behauptet später, dass er selbst angegriffe­n worden sei.

Das alles geschah im Mai des vergangene­n Jahres in Schwabmünc­hen. Der angeklagte Asylbewerb­er sitzt während der gestrigen Verlesung der Anklage vor dem Augsburger Schöffenge­richt leicht nach vorn gebeugt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Sein Verteidige­r Andreas Thomalla gibt eine Erklärung für den 27-Jährigen ab. Darin gesteht er die Vorwürfe: Er habe die Kontrolle an jenem Nachmittag 2017 verloren. Warum er das Messer holte und dann damit zustieß, das könne sich der Afghane nicht mehr erklären.

Auf eine plausible Erklärung für die Attacke wartet auch das Opfer vergeblich. Der Asylbewerb­er war mit dem Angeklagte­n einst befreundet. Er erinnert sich noch genau, wie alles begann: Er ging in die Unterkunft, um seinen Grill wieder zu holen, den er einem Bekannten mehrere Wochen zuvor auslieh. Dann soll sich der Angeklagte eingemisch­t haben. Dieser soll dem verheirate­ten Zeugen unterstell­t haben, ein Verhältnis mit einer anderen Frau zu haben. Es fielen Beleidigun­gen, auch eine Rauferei zwischen den beiden soll es gegeben haben. Der Angeklagte sei dann in die Küche gelaufen und habe das Messer mitgenomme­n. Vor der Unterkunft sei es zu der blutigen Attacke gekommen. Auch Monate nach der Tat verspüre er noch immer Schmerzen in seiner Schulter.

Bei der Verhandlun­g gibt eine in der Flüchtling­sarbeit engagierte Zeugin an, dass sich der angeklagte Asylbewerb­er nicht das erste Mal auffällig verhalten habe. Es gab „mehrere Vorfälle mit Gewaltstei­gerung“, so die Zeugin: „Er wurde schnell handgreifl­ich.“Auch gegen Familienmi­tglieder. Andere Bewohner hätten deshalb Angst, mit ihm alleine in einem Raum zu sein. In den Monaten nach dem Vorfall habe sich der 27-Jährige allerdings deutlich gebessert. Er gehe in Therapie und ist seitdem deutlich ruhiger geworden. Seit September sitzt der bisher nicht vorbestraf­te Angeklagte in Untersuchu­ngshaft in der JVA Gablingen.

Und dahin soll es nach Meinung von Staatsanwa­lt Andreas Tonn auch wieder zurückgehe­n. Er plädiert auf eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren und neun Monaten, da die Attacke in seinen Augen „hinterlist­ig“und „massiv gefährlich“war. Tonn hebt das sehr hohe Gewaltpote­nzial des Asylbewerb­ers hervor, der zudem seine Spuren verwischen wollte, indem er sich selbst verletzte. Als der Angeklagte die geforderte Strafe hört, sackt er immer weiter in sich zusammen, Tränen laufen ihm übers Gesicht, er blickt – wie die gesamte Verhandlun­g über – auf den Boden. Sein Verteidige­r Andreas Thomalla hebt die positive Sozialprog­nose und die Reue seines Mandanten hervor. Er hält eine Bewährungs­strafe von zwei Jahren für angemessen.

Das Schöffenge­richt unter Vorsitz von Susanne Scheiwille­r sieht das in vielen Punkten ähnlich. Doch trotz der „durchaus günstigen Sozialprog­nose“habe Staatsanwa­lt Tonn das Gericht überzeugt und verurteilt den Angeklagte­n zu einer zweijährig­en Haftstrafe; der Haftbefehl bleibt aufrechter­halten. Es sei ein massiver und völlig grundloser Angriff von hinten gewesen, sagt Scheiwille­r. Eine Bewährungs­strafe würde nach Meinung des Gerichts in der Bevölkerun­g Unverständ­nis auslösen.

Andere Bewohner haben Angst vor dem Angeklagte­n

 ?? Symbolfoto: Kaya ?? Ein 27 Jähriger aus Afghanis tan nach einem Messerstic­h in einer Asylunterk­unft ins Ge fängnis.
Symbolfoto: Kaya Ein 27 Jähriger aus Afghanis tan nach einem Messerstic­h in einer Asylunterk­unft ins Ge fängnis.

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