Augsburger Allgemeine (Land West)
Messerstecherei nach Streit um einen Grill
Ein Asylbewerber rammte in Schwabmünchen einem Afghanen ein großes Messer in den Rücken. Die schwierigste Frage für das Schöffengericht: Reicht eine Bewährungsstrafe aus?
Schwabmünchen Der 27-jährige Asylbewerber aus Afghanistan steht vor seiner Unterkunft in Schwabmünchen. In seiner rechten Hand hält er ein großes Messer, Klingenlänge 20 Zentimeter. Er fuchtelt damit hin und her. Ihm gegenüber steht ein gleichaltriger Landsmann, mit dem er zuvor eine handfeste Auseinandersetzung hatte. Andere Bewohner der Flüchtlingsunterkunft versuchen den Angreifer, aufzuhalten. Der bedrohte Mann dreht sich weg, will weglaufen. Plötzlich spürt er einen Stich. Das Messer bohrt sich in seinen Rücken im Bereich der linken Schulter. Es bleibt zunächst stecken, dann zieht es der Angeklagte wieder heraus und geht zurück in die Unterkunft. Dort verletzt er sich mit dem Messer absichtlich an seiner eigenen linken Hand – und behauptet später, dass er selbst angegriffen worden sei.
Das alles geschah im Mai des vergangenen Jahres in Schwabmünchen. Der angeklagte Asylbewerber sitzt während der gestrigen Verlesung der Anklage vor dem Augsburger Schöffengericht leicht nach vorn gebeugt, den Blick starr auf den Boden gerichtet. Sein Verteidiger Andreas Thomalla gibt eine Erklärung für den 27-Jährigen ab. Darin gesteht er die Vorwürfe: Er habe die Kontrolle an jenem Nachmittag 2017 verloren. Warum er das Messer holte und dann damit zustieß, das könne sich der Afghane nicht mehr erklären.
Auf eine plausible Erklärung für die Attacke wartet auch das Opfer vergeblich. Der Asylbewerber war mit dem Angeklagten einst befreundet. Er erinnert sich noch genau, wie alles begann: Er ging in die Unterkunft, um seinen Grill wieder zu holen, den er einem Bekannten mehrere Wochen zuvor auslieh. Dann soll sich der Angeklagte eingemischt haben. Dieser soll dem verheirateten Zeugen unterstellt haben, ein Verhältnis mit einer anderen Frau zu haben. Es fielen Beleidigungen, auch eine Rauferei zwischen den beiden soll es gegeben haben. Der Angeklagte sei dann in die Küche gelaufen und habe das Messer mitgenommen. Vor der Unterkunft sei es zu der blutigen Attacke gekommen. Auch Monate nach der Tat verspüre er noch immer Schmerzen in seiner Schulter.
Bei der Verhandlung gibt eine in der Flüchtlingsarbeit engagierte Zeugin an, dass sich der angeklagte Asylbewerber nicht das erste Mal auffällig verhalten habe. Es gab „mehrere Vorfälle mit Gewaltsteigerung“, so die Zeugin: „Er wurde schnell handgreiflich.“Auch gegen Familienmitglieder. Andere Bewohner hätten deshalb Angst, mit ihm alleine in einem Raum zu sein. In den Monaten nach dem Vorfall habe sich der 27-Jährige allerdings deutlich gebessert. Er gehe in Therapie und ist seitdem deutlich ruhiger geworden. Seit September sitzt der bisher nicht vorbestrafte Angeklagte in Untersuchungshaft in der JVA Gablingen.
Und dahin soll es nach Meinung von Staatsanwalt Andreas Tonn auch wieder zurückgehen. Er plädiert auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, da die Attacke in seinen Augen „hinterlistig“und „massiv gefährlich“war. Tonn hebt das sehr hohe Gewaltpotenzial des Asylbewerbers hervor, der zudem seine Spuren verwischen wollte, indem er sich selbst verletzte. Als der Angeklagte die geforderte Strafe hört, sackt er immer weiter in sich zusammen, Tränen laufen ihm übers Gesicht, er blickt – wie die gesamte Verhandlung über – auf den Boden. Sein Verteidiger Andreas Thomalla hebt die positive Sozialprognose und die Reue seines Mandanten hervor. Er hält eine Bewährungsstrafe von zwei Jahren für angemessen.
Das Schöffengericht unter Vorsitz von Susanne Scheiwiller sieht das in vielen Punkten ähnlich. Doch trotz der „durchaus günstigen Sozialprognose“habe Staatsanwalt Tonn das Gericht überzeugt und verurteilt den Angeklagten zu einer zweijährigen Haftstrafe; der Haftbefehl bleibt aufrechterhalten. Es sei ein massiver und völlig grundloser Angriff von hinten gewesen, sagt Scheiwiller. Eine Bewährungsstrafe würde nach Meinung des Gerichts in der Bevölkerung Unverständnis auslösen.
Andere Bewohner haben Angst vor dem Angeklagten