Augsburger Allgemeine (Land West)
Wie die AfD in die Pflicht genommen wird
In drei Bundestagsausschüssen stellen die Rechtspopulisten den Vorsitzenden. Vorab gibt es für ihre Vertreter symbolisch die Gelbe Karte. Ab jetzt müssen sie über die Einhaltung demokratischer Spielregeln wachen
Vorschusslorbeeren sehen anders aus. Nur mit den Stimmen seiner eigenen Partei sowie der FDP wurde der umstrittene bayerische AfD-Abgeordnete Peter Boehringer zum Vorsitzenden des ebenso wichtigen wie mächtigen Haushaltsausschusses des Bundestags gewählt, CDU, CSU, SPD und Grüne enthielten sich, die Linke votierte gegen ihn. Mit ähnlich schlechten Ergebnissen wurden auch seine AfD-Kollegen Stephan Brandner und Sebastian Münzenmaier an die Spitze des Rechts- bzw. des Tourismusausschusses gewählt. Diese symbolische Gelbe Karte war unübersehbar.
Die AfD mag triumphieren, weil sie ihre drei Kandidaten trotz massiver Bedenken und offener Kritik der anderen Bundestagsparteien an deren Äußerungen in der Vergangenheit durchgebracht hat. Doch es ist ein Sieg mit schalem Beigeschmack. Allein die Tatsache, dass sich die drei Kandidaten einer Abstimmung stellen und eine er- Zahl von Enthaltungen und Gegenstimmen hinnehmen mussten, ist ein Novum – normalerweise werden die Personalvorschläge ohne Widerrede akzeptiert. Erst recht stehen die drei Chefs ab jetzt unter genauer Beobachtung, ob sie bereit sind, so zu agieren, wie es sich für diese hervorgehobene Position gehört: nicht parteipolitisch, sondern neutral und überparteilich. Als Parlamentarier gehören sie selbstverständlich weiterhin der AfD an, als Ausschussvorsitzende aber repräsentieren sie nach außen den Bundestag und damit das Land in seiner ganzen Breite und Vielfalt. Ist ihnen das auch bewusst?
Die etablierten Parteien haben sich klug verhalten, indem sie nicht über das Stöckchen gesprungen sind, das ihnen die AfD hingehalten hat. Eine Ablehnung ihrer Kandidaten hätte die Rechtspopulisten in ihrer selbst gesuchten und öffentlich inszenierten Opferrolle bestätigt und ihnen neue Munition in ihrem Kampf gegen das von ihnen verachtete System und dessen Repräsentanten gegeben. Indem CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke aber einerseits ihren Protest gegen die Positionen der AfD-Kandidaten klar zum Ausdruck brachten, sie andererseits aber auch nicht verhinderten, drehten sie den Spieß um: Sie nahmen die AfD in die Pflicht.
Nun muss sie Teil des Systems werden, sich an die Regeln halten und sogar über die Einhaltung der demokratischen Spielregeln wahebliche chen. Peter Boehringer, Stephan Brandner und Sebastian Münzenmaier werden ohnehin rasch merken, dass ein Ausschussvorsitz nicht dazu taugt, um sich parteipolitisch zu profilieren, erst recht nicht in einer Partei, die vorzugsweise die lauten und schrillen Töne pflegt, nur Schwarz oder Weiß kennt und den Kompromiss als Zeichen von Schwäche ablehnt. Der Bundestag ist ein Arbeitsparlament – und die Arbeit findet in den Ausschüssen hinter verschlossenen Türen statt. Die Vorsitzenden berufen die Sitzungen ein und leiten sie, sie sind für den ordnungsgemäßen Ablauf zuständig und vertreten das Gremium nach außen. Ansonsten aber haben sie nur eine Stimme. Sollte es zur Großen Koalition kommen, haben Union und SPD auch in allen Ausschüssen eine Mehrheit. Opposition bleibt Opposition.
Der Marsch durch die Institutionen, den die 68er einst ausriefen, hat bekanntlich die 68er mehr verändert als die Institutionen. Nun blasen die Rechtsnationalen zum Sturm auf das System. Doch Lautstärke allein ersetzt kein politisches Handeln. Hetze und Hass mögen in den sozialen Netzwerken auf „Likes“stoßen, im Parlament hingegen diskreditieren sie ihre Urheber. Seriöses Arbeiten ist nun mal das Gegenteil von Lärmen und Schreien. Die AfD wollte unbedingt die Ausschussvorsitze. Nun hat sie sie. Und damit auch die Pflicht, verantwortlich damit umzugehen. Der graue Alltag beginnt.