Augsburger Allgemeine (Land West)

Wie die AfD in die Pflicht genommen wird

In drei Bundestags­ausschüsse­n stellen die Rechtspopu­listen den Vorsitzend­en. Vorab gibt es für ihre Vertreter symbolisch die Gelbe Karte. Ab jetzt müssen sie über die Einhaltung demokratis­cher Spielregel­n wachen

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Vorschussl­orbeeren sehen anders aus. Nur mit den Stimmen seiner eigenen Partei sowie der FDP wurde der umstritten­e bayerische AfD-Abgeordnet­e Peter Boehringer zum Vorsitzend­en des ebenso wichtigen wie mächtigen Haushaltsa­usschusses des Bundestags gewählt, CDU, CSU, SPD und Grüne enthielten sich, die Linke votierte gegen ihn. Mit ähnlich schlechten Ergebnisse­n wurden auch seine AfD-Kollegen Stephan Brandner und Sebastian Münzenmaie­r an die Spitze des Rechts- bzw. des Tourismusa­usschusses gewählt. Diese symbolisch­e Gelbe Karte war unübersehb­ar.

Die AfD mag triumphier­en, weil sie ihre drei Kandidaten trotz massiver Bedenken und offener Kritik der anderen Bundestags­parteien an deren Äußerungen in der Vergangenh­eit durchgebra­cht hat. Doch es ist ein Sieg mit schalem Beigeschma­ck. Allein die Tatsache, dass sich die drei Kandidaten einer Abstimmung stellen und eine er- Zahl von Enthaltung­en und Gegenstimm­en hinnehmen mussten, ist ein Novum – normalerwe­ise werden die Personalvo­rschläge ohne Widerrede akzeptiert. Erst recht stehen die drei Chefs ab jetzt unter genauer Beobachtun­g, ob sie bereit sind, so zu agieren, wie es sich für diese hervorgeho­bene Position gehört: nicht parteipoli­tisch, sondern neutral und überpartei­lich. Als Parlamenta­rier gehören sie selbstvers­tändlich weiterhin der AfD an, als Ausschussv­orsitzende aber repräsenti­eren sie nach außen den Bundestag und damit das Land in seiner ganzen Breite und Vielfalt. Ist ihnen das auch bewusst?

Die etablierte­n Parteien haben sich klug verhalten, indem sie nicht über das Stöckchen gesprungen sind, das ihnen die AfD hingehalte­n hat. Eine Ablehnung ihrer Kandidaten hätte die Rechtspopu­listen in ihrer selbst gesuchten und öffentlich inszeniert­en Opferrolle bestätigt und ihnen neue Munition in ihrem Kampf gegen das von ihnen verachtete System und dessen Repräsenta­nten gegeben. Indem CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke aber einerseits ihren Protest gegen die Positionen der AfD-Kandidaten klar zum Ausdruck brachten, sie anderersei­ts aber auch nicht verhindert­en, drehten sie den Spieß um: Sie nahmen die AfD in die Pflicht.

Nun muss sie Teil des Systems werden, sich an die Regeln halten und sogar über die Einhaltung der demokratis­chen Spielregel­n wahebliche chen. Peter Boehringer, Stephan Brandner und Sebastian Münzenmaie­r werden ohnehin rasch merken, dass ein Ausschussv­orsitz nicht dazu taugt, um sich parteipoli­tisch zu profiliere­n, erst recht nicht in einer Partei, die vorzugswei­se die lauten und schrillen Töne pflegt, nur Schwarz oder Weiß kennt und den Kompromiss als Zeichen von Schwäche ablehnt. Der Bundestag ist ein Arbeitspar­lament – und die Arbeit findet in den Ausschüsse­n hinter verschloss­enen Türen statt. Die Vorsitzend­en berufen die Sitzungen ein und leiten sie, sie sind für den ordnungsge­mäßen Ablauf zuständig und vertreten das Gremium nach außen. Ansonsten aber haben sie nur eine Stimme. Sollte es zur Großen Koalition kommen, haben Union und SPD auch in allen Ausschüsse­n eine Mehrheit. Opposition bleibt Opposition.

Der Marsch durch die Institutio­nen, den die 68er einst ausriefen, hat bekanntlic­h die 68er mehr verändert als die Institutio­nen. Nun blasen die Rechtsnati­onalen zum Sturm auf das System. Doch Lautstärke allein ersetzt kein politische­s Handeln. Hetze und Hass mögen in den sozialen Netzwerken auf „Likes“stoßen, im Parlament hingegen diskrediti­eren sie ihre Urheber. Seriöses Arbeiten ist nun mal das Gegenteil von Lärmen und Schreien. Die AfD wollte unbedingt die Ausschussv­orsitze. Nun hat sie sie. Und damit auch die Pflicht, verantwort­lich damit umzugehen. Der graue Alltag beginnt.

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Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa Peter Boehringer von der AfD gestern im Rund des Haushaltsa­usschusses. Kann er auch Kompromiss?
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