Augsburger Allgemeine (Land West)
Dieses Auto ist aus Holz
Häuser, Möbel und Papier – das alles wird aus Holz gemacht. Doch längst lassen sich aus dem Rohstoff auch Kunststoffe und Textilen fertigen
Augsburg Es ist dunkel, windig und kalt. In einem Pavillon vor der Handwerkskammer für Schwaben steht ein finnischer Student. Eingewickelt in Jacke, Mütze und Schal bewacht er einen Kleinwagen. Jeder, der in die Handwerkskammer möchte, muss an dem jungen Finnen und dem Auto vorbei. Und das sind einige Menschen. 160 Gäste sind gekommen – unter ihnen Waldbesitzer, Unternehmensvertreter aus verschiedenen Branchen und Forscher –, um zu erfahren, was sich aus Holz machen lässt. Die Überlegung wirkt komisch. Schließlich weiß jeder: Aus Holz lassen sich Häuser bauen, Fußböden zimmern, Tische, Stühle, Schränke und Schaukelpferde schreinern und Papier herstellen. Doch an diesem Abend erfahren die Zuhörer, dass noch viel mehr möglich ist. So besteht etwa jenes Auto, das der junge Finne bewacht, zum Teil aus Holz.
Er ist Teil einer Projektgruppe des finnischen Papierkonzerns UPM. Die Firma hat ein Werk in Augsburg und bemerkt, dass die Nachfrage nach Papier sinkt. Also haben sich die Finnen überlegt, was sie aus Holz – und mit ihrem Wissen um diesen Werkstoff – noch herstellen könnten. Das kugelige Concept Car lässt die Ergebnisse dieser Experimente greifbar werden.
Insgesamt besteht das Auto zu rund 40 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen. Da wäre zum einen die Karosserie. Sie besteht aus Carbon und einem Kunststoff, der ähnlich aufgebaut ist wie Carbon – aus Fasern, die mit einem Kunstharz gehärtet werden. Nur die Fasern sind nicht aus Kohlenstoff, sondern aus Zellulose. Die zweite Besonderheit: Das Auto fährt mit Diesel, der aus einem Abfallstoff der Zellstoffproduktion gewonnen wird. Im Vergleich zu herkömmlichem Diesel lasse sich der CO2-Ausstoß mit diesem Kraftstoff um 80 Prozent senken, sagt UPM. Dazu kommen die Reifen – sie wurden aus Lignin hergestellt. Der Stoff ist in der Zellwand von Pflanzen enthalten und sorgt dafür, dass sie verholzen. „Früher sagte man: Mit Lignin lässt sich alles machen, nur kein Geld“, scherzt Michael Duetsch, der UPM vertritt und die Idee hinter dem Auto vorstellt.
Den Stoff verwendet auch Helmut Nägele. Der Diplom-Ingenieur gründete vor 20 Jahren die Firma Tecnaro. Sie stellt aus Lignin Granulat her. Das wiederum können sich Firmen kaufen und daraus Hartplastik-Teile gießen. So entstehen dann Locher, Filzstifthüllen, Kaffeebecher oder Urnen. All diese Dinge wirken wie aus herkömmlichem Kunststoff hergestellt, die Besonderheit ist aber: Das Holz, aus dem sie gewonnen werden, wächst nach und sie könnten verrotten. „Wir könnten theoretisch jeden Kunststoff auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen herstellen“, sagt Nägele. „Wir machen es aber nicht, weil Erdöl viel billiger ist.“Wer das Granulat bei seiner Firma einkaufe, zahle etwa das 1,5- bis
3-fache von dem, was das Granulat auf Rohölbasis kostet. Noch lohne sich das nicht. Doch Nägele sagt auch, dass die Nachfrage wächst.
Ähnlich ist es bei den Produkten der Firma Lenzing. Sie sitzt in der gleichnamigen Ortschaft in Österreich, nicht weit von der deutschen Grenze, und stellt Zellulose-Fasern her. Dazu wird Holz erst zerhäckselt und daraus die watteartige Zellulose gewonnen. Aus den Fasern lassen sich Vliesstoffe herstellen oder Fäden, die dann zu Stoffen gewoben werden. Einer dieser Stoffe, die Lenzing herstellt, nennt sich Tencel. Er findet sich in immer mehr Bio-Kleidungsstücken.
An dem Abend in der Handwerkskammer wird auch deutlich, dass es auf dem deutschen Holzmarkt noch Potenzial gäbe, solche Ideen umzusetzen. Denn jährlich wachsen hierzulande etwas mehr als
120 Millionen Kubikmeter Holz – knapp 96 Millionen Kubikmeter davon werden genutzt; der Großteil,
52 Prozent, zur Energiegewinnung. Zu Zellstoff werden dagegen bislang nur etwa acht Prozent des Holzes verarbeitet.