Augsburger Allgemeine (Land West)
Samba mit Spaßbremse
Wie Rios Bürgermeister seine Stadt gegen sich aufbringt
Rio de Janeiro Die Kriegserklärung kam per Videobotschaft:
„Ich war noch nie beim Karneval. Ich bin evangelikal und er hat nichts mit meiner Welt zu tun“, sagte Marcelo Crivella. Und der ist seit mehr als einem Jahr immerhin Bürgermeister von Rio de Janeiro, der Welthauptstadt des Karnevals. Das wäre in etwa so, als ob sich Münchens Oberbürgermeister dem Oktoberfest oder sein Kölner Kollege dem Rosenmontagszug verweigern würden.
Schon damals fragten sich die Zeitungen unter dem Zuckerhut: Wie soll das zusammengehen, ein Feind des Karnevals und das Samba-Spektakel? Es sollte nicht. Erstmals hat jetzt ein Bürgermeister von Rio die symbolische Übergabe der Stadtschlüssel an König Momo verweigert, mit der das närrische Treiben beginnt. Im „Sambadromo“, der Arena für 70 000 Zuschauer, ließ sich Crivella erst gar nicht blicken.
Und das war nicht die einzige böse Überraschung, die der Bürgermeister für sein karnevalswütiges Volk übrighatte. Denn angesichts der leeren Kassen nach den Olympischen Spielen hat Crivella den Karnevalsorganisationen die Zuschüsse gekürzt. Für die Samba-Schulen, die wie die Schützenoder Karnevalsvereine in Deutschland eine wichtige gesellschaftliche Funktion einnehmen, hat das dramatische Folgen. „Ich habe meinen Job verloren“, klagen Opfer des Sparkurses. Denn der Karneval ist auch eine wichtige Jobmaschine für die kriselnde Stadt: Tourismus, Kostümindustrie, Vereinswesen – alle profitieren von ihm.
Auch Crivella spürt offenbar, dass er vielleicht etwas zu weit gegangen ist. Demnächst will er das „Sambadromo“besuchen – allerdings nicht als tanzender Gast, sondern „um die Infrastruktur zu besichtigen“.