Augsburger Allgemeine (Land West)

„Die GroKo hat keinen Vertrauens­vorschuss“

Interview Der Politikwis­senschaftl­er Lothar Probst erklärt, welche Aufgaben auf CDU/CSU und SPD nun zukommen

- Interview: Philipp Kinne

Die Große Koalition hat sich nach langen Verhandlun­gstagen endlich geeinigt. Ist das Ergebnis ein Aufbruch oder geht es weiter wie bisher? Prof. Dr. Lothar Probst: Das Ergebnis liegt wahrschein­lich dazwischen. Für eine Große Koalition ist es schwer, eine Aufbruchst­immung zu erzeugen. Aber nur weil die Koalition notgedrung­en zustande kam, sollte man das Verhandlun­gsergebnis nicht per se schlechtre­den. In der Sache hat sich die GroKo auf einige Punkte geeinigt, die zum Vorteil vieler Menschen sind. Was meinen Sie konkret?

Probst: Die paritätisc­he Finanzieru­ng der Krankenver­sicherungs­beiträge, zwei Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsba­u, 12 Milliarden für die digitale Infrastruk­tur, Förderung von Ganztagssc­hulen und struktursc­hwachen Regionen – das kann sich durchaus sehen lassen und ist auch im Interesse vieler SPD-Wähler. Reicht das Koalitions­ergebnis der SPD, um ihre Mitglieder beim bevorstehe­nden Mitglieder­entscheid für sich zu gewinnen? Probst: Die SPD-Führung hat nicht den ganz großen Pokal bekommen, den sie sich für den Mitglieder­entscheid ins Schaufenst­er stellen kann. Unterm Strich finden sich aber eine ganze Menge sozialpoli­tischer Forderunge­n im Koalitions­papier wieder. In anderen Punkten, wie der Bürgervers­icherung, ist die SPD bei der Union auf Granit gestoßen. Ob die Einrichtun­g einer Kommission, die eine Angleichun­g der Honorare für privat und gesetzlich Versichert­e prüfen soll, weiterhilf­t, ist ungewiss. Auch beim Thema Familienna­chzug für Flüchtling­e konnte die SPD wenig heraushand­eln. Das wird die Kritiker in der SPD nicht zufriedens­tellen. Wie es aussieht, verliert die Union wichtige Ministerpo­sten. Was bedeutet das für Bundeskanz­lerin Merkel? Probst: Am meisten schmerzt die Union sicherlich die Preisgabe des Finanzmini­steriums. Aber es wird auch dort nicht zu einem Systemwech­sel kommen. Die Union musste der SPD bei der Besetzung der Ministerie­n entgegenko­mmen, das war schon 2013 der Fall. Man sollte das nicht überinterp­retieren, zumal die Kanzlerin immer noch die Richtlinie­nkompetenz hat. Wird sich die Kanzlerin mit der neuen

Koalition in den kommenden vier Jahren halten können?

Probst: Die SPD hat eine Revisionsk­lausel verlangt. Nach zwei Jahren soll das Ergebnis der Regierungs­arbeit überprüft werden. Man könnte das auch als Ausstiegsk­lausel sehen, wenn es gelingt, einen eleganten Ausstieg zu finden. Merkel hat auf jeden Fall ein Interesse daran, dass die Koalition vier Jahre hält, auch als Signal an die Bürgerinne­n und Bürger, die sich eine stabile Regierung wünschen.

Das Vertrauen vieler Bürger in die Politik sinkt. Wird es der Großen Koalition gelingen, diese Vertrauens­krise zu kippen?

Probst: Die GroKo hat keinen Vertrauens­vorschuss. Sie ist aber in der komfortabl­en Situation, 46 Milliarden Euro Steuergeld­er verteilen zu können – mehr als alle anderen Regierunge­n zuvor. Mit diesem Geld muss die Koalition solide arbeiten und das, was sie sich vorgenomme­n hat, auch umsetzen. Außerdem muss sie auf einige neue Gesichter setzen, welche die Themen glaubwürdi­g an die Bürger vermitteln.

Früher war sie die Ausnahme, heute ist die Große Koalition schon fast zur Regel geworden. Was bedeutet das für die Stabilität des Landes?

Probst: Das Problem einer Großen Koalition ist, dass das Opposition­sprinzip geschwächt wird. Außerdem verschwimm­en die ideologisc­hen Differenze­n zwischen den beiden Volksparte­ien. Die SPD ist ohnehin schon entkernt. Der CDU droht ein ähnliches Schicksal. Beide Parteien sind gezwungen, sich auf den kleinsten gemeinsame­n Nenner zu einigen. Dadurch verlieren sie an Profil. Große Koalitione­n sollten daher die Ausnahme bleiben, sonst bekommen wir ähnliche Verhältnis­se wie in Österreich, wo eine Große Koalition zur Dauereinri­chtung wurde. Diese Konstellat­ion stärkt die politische­n Ränder.

Alle Koalitions­parteien haben Zugeständn­isse machen müssen. Wer hat sich dabei am deutlichst­en durchgeset­zt?

Probst: Vor allem die Kanzlerin wollte diese Koalition, weil ihr eigenes Schicksal daran hängt. Darum hat die Union in vielen Punkten nachgegebe­n. Die SPD stand wegen des Parteitage­s und des anstehende­n Mitglieder­entscheids unter enormem Druck. Die ganz großen Trophäen hat aber auch die SPD nicht bekommen.

Prof. Dr. Lothar Probst ist Mitglied des Instituts für Politikwis­senschaft der Uni versität Bremen und Wahlforsch­er.

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