Augsburger Allgemeine (Land West)

In der SPD rückt Martin Schulz in die zweite Reihe

Ausgerechn­et in der CDU-Zentrale stellen sich die Sozialdemo­kraten neu auf. Ein Bild sagt mehr als viele Worte

- Georg Ismar und Christiane Jacke, dpa

Berlin Allein das Bild spricht schon Bände. Nach der mit der Union durchverha­ndelten Nacht und dem weißen Rauch für einen Vertrag über eine Große Koalition veröffentl­icht die SPD-Spitze um 10.37 Uhr ein Selfie-Bild. Aufgenomme­n von Generalsek­retär Lars Klingbeil. Neben ihm vorne Vize Olaf Scholz und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles. Im Hintergrun­d, hinter Nahles, fast versteckt: SPD-Chef Martin Schulz. „Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht“, schreiben sie dazu.

Was da noch keiner draußen weiß: Das ist die neue Hackordnun­g der Partei. Kein Jahr nachdem Schulz wie ein Messias mit 100 Prozent zum neuen SPD-Vorsitzend­en gewählt worden war und der „Schulz-Zug“ihn in das Kanzleramt bringen sollte, ist Schulz in die zweite Reihe gerückt.

Es ist die Tragik dieses 7. Februars 2018: An dem Tag, an dem die SPD der Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sehr viel abgetrotzt hat, ist Parteichef Schulz endgültig der große Verlierer. Neben seinem Vorgänger Sigmar Gabriel. Zwar soll Schulz, der frühere Präsident des Europaparl­aments, Gabriel als Außenminis­ter beerben – obwohl letzterer derzeit der beliebtest­e Politiker in Deutschlan­d ist. Aber Schulz, 62, wird den Parteivors­itz abgeben, und als Vizekanzle­r ist nicht er, sondern Hamburgs Regierungs­chef Olaf Scholz, 59, eingeplant, der auch neuer Bundesfina­nzminister werden soll.

Das steht alles unter Vorbehalt. Denn nun hat die Basis das Wort: Rund 463 000 Mitglieder werden bis Anfang März über den Koalitions­vertrag abstimmen. Die Rochade mit Andrea Nahles, 47, als der designiert­en ersten Vorsitzend­en in der 155-jährigen SPD-Geschichte, dürfte auch erfolgt sein, um irgendwie das Mitglieder­votum zu überstehen. Sie hatte mit klarer Kante und schlüssige­n Argumenten für den Gang in die ungeliebte GroKo beim Parteitag in Bonn jüngst an der Basis an Zustimmung gewonnen.

Die Führungsfr­age bei der SPD scheint geklärt. Kanzlerin Merkel schätzt Nahles wie Scholz als profession­elle Politiker. Aber wird die Basis alles mittragen? Oder wird nun noch mehr das Anti-GroKo-Lager profitiere­n? Nahles muss auch den Erneuerung­sprozess der SPD steuern und eine Idee entwickeln, wofür die Partei steht, wohin sie will. Sie muss die Fraktion im Bundestag steuern, zusammenha­lten und die GroKo verteidige­n, während gerade der Parteinach­wuchs sich nach einem Linksruck und klarer Kante sehnt. Ein schwierige­r Spagat.

Die Nacht beim politische­n Gegner im Konrad-Adenauer-Haus war eine seltsame. Insgesamt 24 Stunden verbrachte­n die Sozialdemo­kraten hier. Es drang wenig nach draußen, immer wieder zogen sich Nahles, Scholz, Schulz und Co. zu eigenen Beratungen zurück. Sie trotzten Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer sechs Ministerie­n ab – mit dem Wahlergebn­is von 20,5 Prozent ist es fast eine Sensation, dabei unter anderem die Schlüsselr­essorts Finanzen, Außen und Arbeit/Soziales bekommen zu haben. Aber Angela Merkel braucht halt irgendwann mal eine stabile Regierung.

Dass Schulz auch an den eigenen taktischen Fehlern und Volten gescheiter­t ist, zeigte der Schlussakk­ord in dem Drama. So hatte er die Ministerna­men und seine eigenen Pläne erst nach dem Mitglieder­entscheid bekannt geben wollen. Das ging krachend schief. Das Schweigege­lübde der Verhandler hielt keine vierzig Minuten.

Die SPD kann gnadenlos sein, wenn es darum geht, in Ungnade gefallene Vorsitzend­e aufs Abstellgle­is zu schieben, unvergesse­n der Sturz von Kurt Beck 2008 am Schwielows­ee. Diesmal sollte es nicht wie ein Sturz aussehen, noch dazu in der CDU-Zentrale. Dann aber sickerte

Es sollte nicht wie ein Sturz des Parteichef­s aussehen

durch, dass Scholz nach Berlin wechseln soll, wenn die Große Koalition kommt. Kurz danach wurde klar: Schulz will tatsächlic­h Außenminis­ter werden. Da stellte sich die Frage: Scholz, einer der profiliert­esten SPD-Politiker, der mit Nahles eng kooperiert, wird sich im Kabinett Schulz kaum unterordne­n. Später sickerte durch: Schulz gibt den Vorsitz ab, Nahles soll ihn beerben. Wie freiwillig das geschah: unklar. Das Bild, aufgenomme­n im Adenauer-Haus, spiegelte die neue Zeit schon wider.

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Foto: dpa Die neue Hackordnun­g der SPD auf einem Selfie von Generalsek­retär Lars Klingbeil (rechts)? In der Mitte Andrea Nahles und Olaf Scholz, links daneben die Ministerpr­ä sidentinne­n Manuela Schwesig und Malu Dreyer (dahinter). Martin Schulz ist kaum noch zu...

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