Augsburger Allgemeine (Land West)
„Wir sitzen doch alle im gleichen Boot“
Christof Trepesch, Chef der Augsburger Kunstsammlungen, spricht über die Konkurrenz der Museen, Sorgenkinder, Zukunftswünsche – und einen bisher kaum beachteten Ort aus der Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts
Welche Ausstellungen bieten Sie 2018, womit wollen Sie Besucher in Ihre Häuser locken?
Trepesch: Es gibt mehrere attraktive Großprojekte. Im Zentrum steht die große Ausstellung „Wasser Kunst Augsburg“ab 15. Juni im Maximilianmuseum mit 25 internationalen Museen als Leihgebern. Im Schaezlerpalais zeigen wir ab Juli Druckgrafiken des berühmten Manieristen Hendrik Goltzius (1558 bis 1617), eine Kooperation mit der anhaltinischen Gemäldegalerie Dessau. Und im Anschluss daran kommt eine bedeutende amerikanische Privatsammlung barocker Florentiner Kunst nach Augsburg – hier ist unser Partner das Nationalmuseum in Luxemburg. Diese internationale Vernetzung ist uns sehr wichtig. Im H2 im Glaspalast zeigen wir eine große Retrospektive zum 80. Geburtstag des Malers Max Kaminski mit 120 Gemälden und Grafiken.
Sind Sie zufrieden mit den Besucherzahlen 2017? Wie aussagekräftig ist die Zahl von 312 000, wenn darin auch Leute mitgezählt sind, die nur den Viermetzhof betreten oder in den Garten beim Schaezlerpalais flanieren?
Trepesch: Wir sind sehr zufrieden. Die Zahlen sind stabil auf dem Niveau von 2016. Man muss sehen, dass der Zugang zu Viermetzhof und Garten früher Eintritt kostete. Wir haben ihn abgeschafft, zählen diese museumsnahen Orte aber weiter mit. Hinzu kommen sehr viele Stadtführungen und Menschen, die die Brunnenfiguren im Viermetzhof besichtigen, das Stadtmodell im Foyer usw., das sind alles stadtgeschichtlich interessierte Besucher.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten für die Kunstsammlungen – welche wären das?
Trepesch: Das römische Museum sollte realisiert werden, ein Konzept hierzu hatten wir bekanntlich bereits 2009 mit bundesweit anerkannten Fachleuten erarbeitet. Zweitens: ein neues Zentraldepot. Drittens: mehr personelle und finanzielle Ausstattung für unsere Projekte, auch die digitale Erfassung unserer Bestände.
Wie realistisch sind die Wünsche?
Trepesch: Ich hoffe doch sehr, dass mit Unterstützung durch das Museumsentwicklungskonzept diese Notwendigkeiten erkannt und umgesetzt werden.
Gibt es ein Sorgenkind in der Familie städtischer Museen?
Trepesch: In den letzten zwölf Jahren haben wir fünf Museen und Institutionen neu eröffnet bzw. neu konzipiert. Es sind mit Unterstützung der ehemaligen Referenten und Stadtregierungen über 20 Millionen Euro investiert worden. Aber natürlich bleiben immer Sorgenkinder. Ich nenne das Römische Museum und auch das Brechthaus, das dringend einer Neukonzeption bedarf.
Welche Bedeutung kommt der Kunstvermittlung zu?
Trepesch: Eine sehr zentrale Bedeutung! Unsere Kunst- und Kulturvermittlung hat 2017 über 1000 Veranstaltungen gestemmt, darunter 386 Schulklassenführungen. Ich finde, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben auf allen Ebenen mit dem knappen Budget enorm viel geleistet. Auch unsere Kunstsprechstunde gehört in dieses Konzept der Offenheit und Besucherorientierung.
Museen sind keine statischen Gebilde, sondern sie leben, verändern sich ständig. Insbesondere gilt das wohl für den Auftrag „Sammeln“, der sich in der Bezeichnung Städtische Kunstsammlungen ja auch findet. Wie passt es da dazu, dass Sie mit einem Ankaufsetat von 0 Euro operieren müssen?
Trepesch: Das ist ein eklatanter Widerspruch. In der Tat müssen wir ausschließlich mit Fremdmitteln agieren. Wir freuen uns hier aber sehr über die Unterstützung der „Freunde der Kunstsammlungen“wie auch von Stiftungen und Privatleuten. Sonst könnten wir unseren Sammlungs-Auftrag nicht erfüllen.
Es gibt Stimmen, die Strahlkraft und Attraktivität der städtischen Museen und ihrer Ausstellungen vermissen. Wie sehen Sie das?
Trepesch: Ganz im Gegenteil. Wir haben mit unseren Ausstellungen eine enorme Publikumsresonanz und haben gerade besonders viele internationale Kooperationen mit anderen Museen. Wir exportieren Ausstellungen und sind ein verlässlicher Partner im internationalen Museumsgeschehen. Das geht nicht, wenn man nicht attraktiv ist. Wir
leihen viel aus, was hier vor Ort vielleicht nicht immer so wahrgenommen wird.
Stehen Ihre Häuser nicht ein wenig im Windschatten des staatlichen Textilmuseums?
Trepesch: Wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Die Museen in Augsburg ergänzen sich ganz ausgezeichnet. Für den Besucher ist es doch zunächst egal, ob der Träger eines Museums die Stadt, das Land, die Kirche oder sonst wer ist. Für mich hat kollegiales Miteinander höchste Priorität.
Gibt es gleichwohl einen Bereich, den Sie in Augsburg als museal noch verwaist ansehen?
Trepesch: Augsburg fehlt die Präsentation seiner Geschichte im 20. Jahrhundert. Die Weltkriege, die Zeit des Wiederaufbaus und das Wirtschaftswunder – das sind Themen, die in einer Großstadt dargestellt werden sollten. Hinzu kommt, dass der einzige noch authentisch erhaltene Ort aus der Zeit des Dritten Reichs, das Offizierskasino im Sheridan, schon seit Jahren verfällt. Das wäre ein geeigneter Ort, um die NSZeit kritisch darzustellen und aufzuarbeiten. Hier hat Augsburg einiges aufzuholen.
Zum Beispiel?
Trepesch: Denken Sie an die tief in Kriegs- und Rüstungsindustrie verstrickte Luftfahrtgeschichte. Das Gebäude, in dem das originale Planungsbüro von Messerschmidt untergebracht war, gehört der Stadt. Es befindet sich an der Haunstetter Straße und steht leer. Hier wäre ein Nutzungskonzept mit historischem Ansatz vonnöten, meine ich.
Ein Museumsentwicklungsplan soll den Weg Ihrer Häuser in die Zukunft skizzieren. Wie stehen Sie dazu? Ist das eine Bevormundung?
Trepesch: Grundsätzlich haben wir auch eigene Entwicklungsvorstellungen, wo und wie unsere Tätigkeit verbessert werden kann. Insofern hoffe ich, dass wir gemeinsam unsere Ideen tragfähig in die Gremien transportieren können.
Stichwort Zukunft: Die digitale Erfassung und Zugänglichmachung von Sammlungsbeständen ist heute unumgänglich und wird erwartet. Wo steht Augsburg beim Thema Online-Inventarisierung?
Trepesch: Ganz am Anfang. Wir haben bisher in zehn Jahren mangels Personal erst etwa 14000 Objekte digital erfasst und bearbeitet. Bei geschätzten rund 100 000 Objekten insgesamt lässt sich ausrechnen, wie lange wir bei aktuell zwei befristeten Teilzeitstellen dafür noch brauchen… Hier besteht großer Nachholbedarf.
Die zeitgenössische Kunst hat es nach meinem Eindruck nicht ganz leicht beim Augsburger Publikum? Wie sehen Sie das?
Trepesch: Die hat es insgesamt auch in anderen Städten schwer, schwerer als die „alte“Kunst. Wir haben mit der Galerie im Höhmannhaus ein Standbein im Zentrum, das gut wahrgenommen wird. Das H2 im Glaspalast ist eine wunderbare Halle, die auch tolle Großprojekte ermöglicht, wie ja die Klee-Ausstellung bewiesen hat. Mit entsprechenden Mitteln wäre hier auch mehr herauszuholen. Die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist sicher noch zu optimieren.