Augsburger Allgemeine (Land West)

Polizei verstärkt Kampf gegen falsche Polizisten

Weil sich Betrüger am Telefon immer öfter als Polizeibea­mte ausgeben, leidet das Vertrauen in die echte Polizei. In Augsburg folgen jetzt Ermittler für Organisier­te Kriminalit­ät den Spuren der Telefon-Mafia

- VON JÖRG HEINZLE

Die Täter dachten, sie hätten das nächste Opfer an der Angel. Ende November klingelte bei Anton Lotter, 80, in Stadtberge­n das Telefon. Ein Anrufer gab sich als Polizist aus und behauptete, Kriminelle wollten Lotters Bankkonto leer räumen. Er solle sein Geld abheben und daheim aufbewahre­n. Ein Beamter komme dann vorbei und bringe das Vermögen in Sicherheit. Anton Lotter, ein in der Region bekannter Immobilien­unternehme­r, ließ sich nur zum Schein darauf ein. Er informiert­e die echte Polizei. Kurz darauf gelang es, zwei Männer festzunehm­en, die das Geld bei ihm abholen wollten.

Für die Polizei war das ein wichtiger Erfolg. Einer der Männer, ein

25-jähriger Arbeitslos­er mit türkischer Staatsbürg­erschaft, kam in Untersuchu­ngshaft. Bisher gelingt es in solchen Fällen nur selten, die Täter festzunehm­en. Noch schwierige­r ist es für die Polizei, an die Hintermänn­er ranzukomme­n. Sie sitzen nach Erkenntnis­sen der Ermittler überwiegen­d in der Türkei. Ebenso wie die Anrufer, die dort oft in profession­ell organisier­ten Büros – sogenannte­n Callcenter­n – arbeiten. Die betrügeris­chen Anrufe gibt es seit Jahren. Vor ein paar Jahren noch gaben sich die Kriminelle­n meist als Verwandte aus, die Geld benötigen.

Inzwischen aber nutzen die Täter meist eine andere Legende – und zwar die des angebliche­n Polizeibea­mten. Für die echte Polizei sei das ein „massives Problem“sagt Thomas Rieger vom Augsburger Polizeiprä­sidium. Man spüre einen Vertrauens­verlust. Es gebe inzwischen Fälle, in denen es den Beamten nur noch schwer gelinge, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie richtige Polizisten sind. Rund

500 Fälle von Telefonbet­rug hat das Polizeiprä­sidium im vorigen Jahr gezählt. Ermittler sprechen davon, dass sich die Anrufer in rund 50 Prozent dieser Fälle als Polizisten tarnten. Die Polizei hat deshalb ihren Kampf gegen die Betrüger verstärkt. In Augsburg gibt es jetzt eine eigene Ermittlung­sgruppe. Ihr gehören Beamte an, die auf Ermittlung­en im Bereich der Organisier­ten Kriminalit­ät – polizeiint­ern als OK bezeichnet – spezialisi­ert sind. Thomas Rieger sagt: „Es ist eindeutig, dass hinter dieser Form des Betrugs eine organisier­te Struktur steht.“Zudem hätten die OK-Ermittler auch bessere technische Möglichkei­ten als eine normale Polizeiins­pektion.

Hauptkommi­ssar Peter M. ist einer dieser Ermittler. Seinen richtigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Er befürchtet, dass die Kriminelle­n sonst ausgerechn­et auch seinen Namen für ihre Taten nutzen. Die Täter arbeiten gewieft und mit Blick für die Details. Sie täuschen mithilfe von Computerpr­ogrammen vor, dass sie wirklich von einem Polizei-Telefon aus anrufen. Das Telefon des Opfers zeigt oft eine Rufnummer der Polizei an. Entweder die 110 oder sogar die Nummer eines örtlichen Polizeirev­iers. Sie nutzen dabei mitunter auch die Namen von Beamten, die wirklich auf diesem Revier arbeiten.

Die Täter suchen in Telefonver­zeichnisse­n gezielt nach Namen, die bei älteren Menschen häufig sind. Die telefonier­en sie ab. Peter M. erzählt: „Vorige Woche wurden sechs Frauen angerufen, die alle Edeltraud heißen.“Der Ermittler kennt Fälle, in denen ältere Menschen durch wiederholt­e Anrufe die ganze Nacht über am Telefon gehalten wurden. Am anderen Morgen wurden sie dann zur Bank geschickt, holten dort ihr Geld und übergaben es dem angebliche­n Beamten. Teils arbeiten mehrere „Telefonist­en“an einem Opfer. Mal ruft ein Polizist an, dann wieder ein vermeintli­cher Staatsanwa­lt. Es gibt Opfer, die so um all ihr Erspartes gebracht werden. Peter M. kennt traumatisi­erte Betroffene, die danach „ihr Vertrauen in die Welt verloren haben“.

Die Ermittler gehen davon aus, dass mit den Daten von TelefonOpf­ern auch gehandelt wird. Wer einmal auf die Betrüger reingefall­en ist, erhält meist weitere Anrufe. Manchmal sogar erst nach einem oder zwei Jahren Pause. Die Masche ist perfide. Einem Betroffene­n des Polizisten-Tricks wird dann zum Beispiel vorgegauke­lt, dass er einen Anruf von einer Opferschut­zorganisat­ion erhält. Man verspricht ihm eine Entschädig­ung – gegen eine Gebühr, die natürlich erst einmal vorab bezahlt werden muss.

Im Bereich des Augsburger Polizeiprä­sidiums ist den Betrügern im vorigen Jahr in 65 Fällen gelungen, so an das Geld der Opfer zu kommen. So kassierten sie rund eine halbe Million Euro ein. Das sind im Durchschni­tt fast 7700 Euro pro Tat. Die Zahlen zeigen, warum es sich für die Geldabhole­r lohnt, auch mal durch halb Deutschlan­d zu einem Opfer zu fahren. Der in Stadtberge­n festgenomm­ene 25-Jährige war aus Nordrhein-Westfallen zu Anton Lotter gekommen. Das meiste Geld dürfte in die Türkei abfließen. Die Täter in den Callcenter­n haben meist längere Zeit in Deutschlan­d gelebt, sind dort oft auch gebogen und aufgewachs­en. Viele, so die Erkenntnis­se der Augsburger Ermittler, hatten schon in Deutschlan­d Ärger mit Polizei und Justiz bekommen und sind vermutlich auch deshalb in die Türkei umgesiedel­t. Inzwischen wissen die Augsburger Ermittler die Namen von zahlreiche­n Beteiligte­n. Das ist ein wichtiger Fortschrit­t. Auch wenn sie bislang nicht viel gegen die Callcenter tun können, weil die Zusammenar­beit mit den türkischen Behörden schwierig ist. Immer öfter erfahren die Beamten durch ihre Ermittlung­en auch, welche Opfer es als Nächstes treffen soll. So können sie bundesweit Betroffene vorwarnen. 2017 habe man so 120 Fälle von Telefonbet­rug stoppen können, sagt Peter M. Fast 900 000 Euro seien so nicht in die Hände der Telefon-Mafia gelangt.

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Foto: Arno Burgi, dpa Telefon Betrüger haben es meist auf ältere Menschen abgesehen. Geht ein Opfer darauf ein, wird es in der Regel immer wieder angerufen. Die Anrufe kommen meist aus pro fessionell organisier­ten Callcenter­n in der Türkei.
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Thomas Rieger

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