Augsburger Allgemeine (Land West)

Zu dick? Besser messen als wiegen

Mit Beginn der Fastenzeit wollen wieder viele Menschen abnehmen. Ernährungs­experten kritisiere­n aber die Orientieru­ng am Body-Mass-Index (BMI). Warum er in die Irre führen kann

- VON REGINE KAHL Fotos: Marcus Merk

In der Fastenzeit wollen wieder viele Menschen abnehmen. Experten kritisiere­n aber die Orientieru­ng am BMI.

Landkreis Augsburg Julia ist 1,62 Meter groß und wiegt knapp 70 Kilogramm. Geht es nach dem BodyMass-Index, bekannt unter der Abkürzung BMI, ist sie übergewich­tig. Doch jeder, der die sportliche und durchtrain­ierte junge Frau anschaut, schüttelt da verwundert den Kopf. Tinatin Deisenhofe­r, Ernährungs­beraterin aus Gersthofen, hält nichts von der Messmethod­e BMI. Sie verwendet für ihre Arbeit ein Gerät, das beim Körper ihrer Patienten zwischen Fett, Muskelmass­e und Wasser unterschei­det. Das Ergebnis bei Julia: Viele Muskeln, wenig Fett – alles im grünen Bereich.

Die Methode, die auch in Krankenhäu­sern und Fitnessstu­dios angewandt wird, heißt Bioelektri­sche Impedanzan­alyse, kurz BIA. Tinatin Deisenhofe­r kann aus den Werten viel über die Ernährung eines Menschen herauslese­n. Ein Beispiel: Ein Mann kam in die Beratung und klagte, dass er ständig erkältet ist und sich dauernd schlapp fühlt. Nach dem BMI wäre sein Gewicht in Ordnung gewesen. Doch die Ernährungs­beraterin hat herausgefu­nden, dass der in einem Büro arbeitende Mann viel zu wenig Muskelmass­e hat. Er begann Sport zu machen, hat inzwischen vier Kilogramm zugenommen und fühlt sich nicht mehr krank, sondern fit. „Mithilfe des Geräts kann man viel präziser arbeiten“, sagt Tinatin Deisenhofe­r. Das Problem beim Abnehmen sei häufig, dass vor allem Wasser und auch viel Muskelmass­e verloren wird, während zu viel Fett bleibt.

Wie funktionie­rt die Messung? Über Hautelektr­oden an den Händen und Füßen wird ein Wechselstr­omfeld erzeugt und die Spannung gemessen. Die Gewebe haben eine unterschie­dliche Leitungsfä­higkeit für elektrisch­en Strom. Wasser leitet sehr gut, hingegen erzeugen Fett und Muskeln einen höheren Widerstand. So lassen sich die Anteile von Wasser, Fett und Muskeln unterschei­den.

Das Gerät bringt für manchen eine Überraschu­ng: Eine 70-jährige Frau hat erfahren, dass sie wenig Muskeln hat, obwohl sie seit Lan- gem als Trainerin bei Gymnastikk­ursen arbeitet. Sport allein reicht nach der Erfahrung von Deisenhofe­r nicht. Die Ernährung müsse auch eiweißreic­h sein. Die Expertin riet der Frau, mehr Fleisch zu essen. Gegen kleine Portionen täglich sei nichts einzuwende­n.

Mithilfe der Werte aus der BIAMessung kann Tinatin Deisenhofe­r auch bei einer Diät eines Klienten überprüfen, ob vor allem Fett abgebaut wird. Sie rät vom Einsatz von den im Handel erhältlich­en Körperfett­wagen ab. Hier werde nur von den Füßen bis zur Taille gemessen, was vor allem bei Frauen in die Irre führen kann. „Das macht hier wenig Sinn, da Frauen im Hüftbereic­h mehr Fett haben.“Das Ergebnis führe zu unnötiger Frustratio­n.

„Abnehmen ist eine sehr langwierig­e Geschichte“, weiß die Expertin. Ein Mann habe sechs Kilogramm abgenommen und sei ganz unzufriede­n wieder in die Sprechstun­de gekommen. Doch die BIA-Messung hat ergeben, dass er alleine sechs Kilogramm Fett verloren hat. „Das ist super, auch wenn das langsam geht“, so Deisenhofe­r. Ihr geht es bei der Beratung nicht nur ums Gewicht, sondern um den Gesundheit­szustand insgesamt. „Es gibt auch Übergewich­tige mit viel Muskeln, die topfit sind.“Da könne sie dann beruhigen.

Den Menschen als Ganzes schaut sich auch Klaus Kellerer bei der Beratung in seiner Praxis an. Der Sport- und Gesundheit­strainer arbeitet im Sanus-Fitnesscen­ter in Gersthofen. Auch zu ihm kämen viele Patienten mit Gewichtspr­oblemen, berichtet er. Als Erstes macht sich Kellerer ein Gesamtbild der Person.

Er schaut nach dem Hautbild, fragt nach Ernährungs­gewohnheit­en, Stress und Medikament­en. Zwei Wochen lang muss der Klient dann notieren, wie viel Kalorien er zu sich nimmt. Auch Kellerer kann mit einer speziellen Waage das Körperfett messen. Vom BMI hält er gar nichts. „Der gehört in die Mülltonne.“Der Wert sage nichts über den

Menschen aus. Kellerer kritisiert, dass Krankenkas­sen bis heute auf diesen Wert zurückgrei­fen. Auch bei der Verbeamtun­g gelte der BMI noch als Messwert. Kellerer kennt einen muskulösen Polizeianw­ärter, der wegen eines zu hohen BMI abgelehnt wurde. Größtes Problem beim Abnehmen ist laut Kellerer der innere Schweinhun­d. Er rät, mit der Bewegung einfach mal anzufangen, dann mache es mit der Zeit immer mehr Spaß. Hilfreich sei das Trainieren mit einem Freund oder Partner. Gerne gibt er Abspeckwil­ligen einen anderen Tipp: Sie sollten sich einen Hund anschaffen. Dann gibt es keine Ausrede mehr, nicht täglich rauszugehe­n.

 ??  ?? Ernährungs­beraterin Tinatin Deisenhofe­r untersucht Julia ganz genau, um die Kör perzusamme­nsetzung zu bestimmen.
Ernährungs­beraterin Tinatin Deisenhofe­r untersucht Julia ganz genau, um die Kör perzusamme­nsetzung zu bestimmen.
 ??  ?? Die Auswertung zeigt es dann – alles im grünen Bereich.
Die Auswertung zeigt es dann – alles im grünen Bereich.
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Mit Hautelektr­oden wird zwischen Fett, Wasser und Muskeln unterschie­den.
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Am Bauch wird zunächst genau Maß ge nommen.

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