Augsburger Allgemeine (Land West)
Zeit für ein Wunder
Der Abbruch des Trevira-Schlots in Bobingen wäre wohl teurer als die Sanierung. Die Rettung des Industriewahrzeichens hängt also nicht allein vom Geld ab. Vor allem braucht es eine gute Idee für die künftige Nutzung
Bobingen Zeit – das ist es, was Bürgermeister Bernd Müller bislang gewonnen hat, um den alten Schornstein im Industriepark in Bobingen (IWB) vor dem Abbruch zu bewahren. Ursprünglich hätte ihm die Leitung von Trevira schon im Januar den Abbruchantrag überreichen wollen, sagt er. Doch er habe gebeten, abzuwarten. Denn mit der Antragstellung läuft eine Zweimonatsfrist, innerhalb der die Stadt zustimmen oder eine Ablehnung rechtlich fundiert begründen müsste. Ohne Entscheidung gälte das Vorhaben als gebilligt. So ist das mit Bauanträgen. Und um ein Bauprojekt geht es letztlich. Trevira sieht einen dringenden Sanierungsbedarf und eine Sicherungspflicht. Kalkausblühungen zeigen am oberen Rand, dass sich der Mörtel auflöst. Insbesondere innen lösen sich Steine, ergab eine Untersuchung im vergangenen Jahr, sagt Werksleiter Andreas Borchert. Einfach so stehen lassen, funktioniere nicht länger.
Wegen der Nähe zu anderen Werksanlagen lässt sich der Schlot nicht einfach sprengen. Stück für Stück muss er abgetragen werden. Das kostet Zeit und Geld. Mit 250 000 Euro Kosten rechnet die Firmenleitung. Das sei es dem thailändischen Mutterkonzern Indorama Ventures wert, um sich einer Last zu entledigen, teilte Bürgermeister Müller im Bauausschuss des Stadtrates auf Anfrage von Herwig Leiter mit. Borchert betont, dass es jedoch keine Vorentscheidung gebe. Alle langjährig Beschäftigten im Werk würden an dem Schlot hängen: „Einen Abriss will keiner. Aber wir haben eine Verantwortung, und es muss etwas geschehen.“
Immerhin, so spekuliert Herwig Leiter, eine Sanierung würde voraussichtlich 170000 Euro kosten, und die lediglich als niedrigen fünftstelligen Betrag bezifferten Unterhaltskosten wären auch noch einige Zeit zu schultern, um die 250000 Euro anders einzusetzen. Auch Zweiter Bürgermeister Klaus Förster (CSU) will Trevira nicht aus der Verantwortung entlassen. Schließlich könnte sich das Unternehmen Abriss- und Entsorgungskosten sparen. Dieses Geld, so argumentiert er, könne zumindest anteilig in eine Erhaltungsmaßnahme einfließen. Außerdem solle die Stadt prüfen, ob es Fördermöglichkeiten von der Regierung von Schwaben und dem Landesamt für Denkmalpflege für die Sanierung des „für Bobingen derart prägenden industriellen Bauwerks“gibt. Die Anfragen dazu laufen, sagt der Bürgermeister.
Da müsse doch Spielraum sein für Verhandlungen, für einen Kompromiss, für einen Vorschlag mit Winwin-Charakter, der dem Unternehmen und dem Erhalt eines Industriedenkmals gerecht wird, hoffen Stadträte verschiedener Fraktionen.
Die SPD hatte schon im vergangenen Herbst Alarm geschlagen. Ihr Ortsvorsitzender Armin Bergmann hat die Hoffnung nicht aufgegeben. In den vergangenen Wochen seien Vertreter seiner Partei immer wieder auf den Fabrikschornstein angesprochen worden. Bergmann sieht sich dadurch in der Auffassung bestätigt, „dass das Bauwerk in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger ein bedeutendes und daher erhaltenswertes städtisches Wahrzei- chen darstellt“. An der ursprünglichen Haltung, dass die SPD einen aus rein finanziellen Gründen heraus motivierten Abriss des Bauwerks für äußerst bedauernswert erachten würde, habe sich auch zwischenzeitlich nichts geändert. Aus der Sicht des Ortsvereins und der Stadtratsfraktion sollten zunächst alle Möglichkeiten zum Erhalt des Schornsteins als ein Wahrzeichen Bobingens – und des Industrieparks Werk Bobingen – geprüft werden. Dabei sähe er in einem Förderverein, an dem sich zahlreiche weitere Standortfirmen finanziell beteiligen könnten, ein mögliches Instrument.
Diese Idee hat Bürgermeister Bernd Müller zwischenzeitlich auch beim Heimatverein D’Hochsträßler zur Diskussion gestellt. Eine deutliche Mehrheit sprach sich für einen Erhalt des sogenannten TreviraTurms aus. Bürgermeister Bernd Müller hat dazu schon einen Vorschlag: Würde man als Aufschrift „Hoechst“anbringen, wäre man dem geschichtlichen Denkmalgedanken noch näher und hätte eine neutrale Lösung. In diese Richtung, so deutet Werksleiter Andreas Borchert an, laufen auch Sondierungen innerhalb der Branche. Auch er hat die Hoffnung auf eine Sanierung noch nicht aufgegeben.
Doch das große Problem scheint das Geflecht an Bindungen durch den Standortvertrag der im Industriepark angesiedelten Firmen. Damit scheinen ein Zugang oder eine Grenzverlegung des IWB ausgeschlossen. Die Stadt selbst wirkt derzeit als Vermittler und Ratgeber. Dafür hat sie noch einige Wochen Zeit gewonnen – Zeit für ein Wunder.