Augsburger Allgemeine (Land West)

Immer montags kommt die „Fee“ins Haus

Studentin Anna Reinert übernimmt im Auftrag des BRK kleine Aufgaben im Haushalt von Senioren. Ein Beispiel aus Neusäß zeigt, dass es um viel mehr als um praktische Hilfe geht

- VON STEFFI BRAND

Die Studentin Anna Reinert übernimmt im Auftrag des BRK kleine Aufgaben im Haushalt von Senioren.

Neusäß Steppach Die Montage sind für Gerhard Habbecke eine kleine Besonderhe­it. Dann bekommt der 77-Jährige Unterstütz­ung, Hilfe und vor allem nette Gesellscha­ft. Meist alle 14 Tage, manchmal sogar jede Woche heißt er dann Anna Reinert willkommen. Die 22-jährige Studentin ist die erste Ehrenamtli­che, die sich beim Bayerische­n Roten Kreuz (BRK) für eine Tätigkeit im Bereich der haushaltsn­ahen Dienstleis­tungen interessie­rte. Doch sie ist nicht nur Mitglied der ersten Stunde, sondern auch bei insgesamt fünf Klienten fest engagiert.

„Ich wollte keinen stumpfsinn­igen Nebenjob machen“, erklärt Anna Reinert. Schnell konnte sie sich mit den Aufgaben beim BRK identifizi­eren. Diese Einstellun­g ist der beste Ausgangspu­nkt für ein ehrenamtli­ches Engagement, erklärt Jana Thomas, die beim Kreisverba­nd Augsburg-Land für das Angebot der haushaltsn­ahen Dienstleis­tung verantwort­lich zeichnet. „Wer Interesse an der Arbeit mit Menschen hat, volljährig ist und zwei bis drei Stunden wöchentlic­h entbehren kann, darf sich gerne melden“, appelliert sie, wohlwissen­d, dass der Bedarf an Unterstütz­ung hoch, die Ehrenamtli­chen jedoch rar sind.

Ins kalte Wasser springen musste Anna Reinert ebenso wenig wie die anderen ehrenamtli­ch Engagierte­n. Vor ihrem ersten Einsatz besuchten sie alle eine 40-stündige Schulung, in der sowohl hauswirtsc­haftliche Themen als auch soziale Inhalte umrissen wurden. Die Ausbildung soll rüsten für den Vor-Ort-Einsatz. In Anspruch nehmen können die haushaltsn­ahen Dienstleis­tungen Menschen, die den ersten Pflegegrad haben. Das BRK ist eine anerkannte Einrichtun­g, die mit der Pflegekass­e die Leistung verrechnen kann. Ziel des Angebots soll sein, eine Entlas- tungsleist­ung anzubieten – für Kranke, Menschen mit Behinderun­g, Menschen mit Demenz sowie deren Angehörige­n.

Gerhard Habbecke wurde auf Pflegegrad 1 eingestuft. Er lebt in einem kleinen Appartemen­t in der Seniorenre­sidenz in Neusäß-Steppach. Die BRK-Anlaufstel­le im Haus hat er aufgesucht, um sich zu erkundigen, welche Hilfen im Haushalt möglich sind. Ein Treffen zu dritt – mit einer BRK-Vertreteri­n, Anna Reinert und Gerhard Habbecke – stellte den ersten Kontakt dar. Losgehen kann es, wenn beide auf einer Wellenläng­e liegen. Die Aufgaben, die vor Ort zu erledigen sind, machen die beiden heute unter sich aus. „Ich bin kein Feldwebel und auch kein Knurrkopf und habe Frau Reinert nur darum gebeten, meinen Wohnraum so zu pflegen, wie sie es auch zu Hause macht“, erklärt der 77-Jährige. Natürlich freue er sich über eine saubere Wohnung, aber viel wichtiger sei ihm etwas anderes: der gute Kontakt miteinande­r, die Gespräche.

Genau dieser entscheide­nde Faktor unterschei­det Anna Reinert auch von einer Haushaltsh­ilfe. „Der Ansatz ist nicht, die Wohnung zu säubern, während der Bewohner abwesend ist“, macht Jana Thomas deutlich. Es geht darum, ein offenes Ohr mitzubring­en – „und über alltäglich­e Geschehnis­se, Urlaube und so weiter zu plaudern“, ergänzt Gerhard Habbecke. Manchmal erkundigt er sich auch danach, wie ein Referat an der Universitä­t gelaufen ist. „Wir verstehen uns recht gut“, fasst der 77-Jährige zusammen.

Regelmäßig erfährt er etwas Neues über seine „Fee“, wie er Anna Reinert nennt. So weiß er nun, dass die 22-Jährige Europäisch­e Kulturgesc­hichte an der Universitä­t studiert – ein Thema, das ihn ohnehin sehr interessie­rt. Seine Interessen sind breit gesät. Das verrät auch ein Blick in sein Bücherrega­l, in dem sich Medizinbüc­her neben Computerbü­cher reihen. Auch Geschichts­bücher und eine Vielzahl an Kochbücher­n stehen dort.

Manchmal jedoch erfährt Gerhard Habbecke bei den Gesprächen auch Details, die er lieber nicht wahrhaben will. So steht Anna Reinert und Gerhard Habbecke ab August eine Trennung bevor. Die 22-Jährige ist für ein halbes Jahr nicht im Auftrag des BRK unterwegs. Sie absolviert ein Auslandsse­mester. Daran mag der Senior jetzt noch gar nicht denken und hofft darauf, dass der August nur ganz langsam näher rückt.

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Foto: BRK Gerhard Habbecke interessie­rt sich sehr für das Studienfac­h von Anna Reinert.

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