Augsburger Allgemeine (Land West)
Immer montags kommt die „Fee“ins Haus
Studentin Anna Reinert übernimmt im Auftrag des BRK kleine Aufgaben im Haushalt von Senioren. Ein Beispiel aus Neusäß zeigt, dass es um viel mehr als um praktische Hilfe geht
Die Studentin Anna Reinert übernimmt im Auftrag des BRK kleine Aufgaben im Haushalt von Senioren.
Neusäß Steppach Die Montage sind für Gerhard Habbecke eine kleine Besonderheit. Dann bekommt der 77-Jährige Unterstützung, Hilfe und vor allem nette Gesellschaft. Meist alle 14 Tage, manchmal sogar jede Woche heißt er dann Anna Reinert willkommen. Die 22-jährige Studentin ist die erste Ehrenamtliche, die sich beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK) für eine Tätigkeit im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen interessierte. Doch sie ist nicht nur Mitglied der ersten Stunde, sondern auch bei insgesamt fünf Klienten fest engagiert.
„Ich wollte keinen stumpfsinnigen Nebenjob machen“, erklärt Anna Reinert. Schnell konnte sie sich mit den Aufgaben beim BRK identifizieren. Diese Einstellung ist der beste Ausgangspunkt für ein ehrenamtliches Engagement, erklärt Jana Thomas, die beim Kreisverband Augsburg-Land für das Angebot der haushaltsnahen Dienstleistung verantwortlich zeichnet. „Wer Interesse an der Arbeit mit Menschen hat, volljährig ist und zwei bis drei Stunden wöchentlich entbehren kann, darf sich gerne melden“, appelliert sie, wohlwissend, dass der Bedarf an Unterstützung hoch, die Ehrenamtlichen jedoch rar sind.
Ins kalte Wasser springen musste Anna Reinert ebenso wenig wie die anderen ehrenamtlich Engagierten. Vor ihrem ersten Einsatz besuchten sie alle eine 40-stündige Schulung, in der sowohl hauswirtschaftliche Themen als auch soziale Inhalte umrissen wurden. Die Ausbildung soll rüsten für den Vor-Ort-Einsatz. In Anspruch nehmen können die haushaltsnahen Dienstleistungen Menschen, die den ersten Pflegegrad haben. Das BRK ist eine anerkannte Einrichtung, die mit der Pflegekasse die Leistung verrechnen kann. Ziel des Angebots soll sein, eine Entlas- tungsleistung anzubieten – für Kranke, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Demenz sowie deren Angehörigen.
Gerhard Habbecke wurde auf Pflegegrad 1 eingestuft. Er lebt in einem kleinen Appartement in der Seniorenresidenz in Neusäß-Steppach. Die BRK-Anlaufstelle im Haus hat er aufgesucht, um sich zu erkundigen, welche Hilfen im Haushalt möglich sind. Ein Treffen zu dritt – mit einer BRK-Vertreterin, Anna Reinert und Gerhard Habbecke – stellte den ersten Kontakt dar. Losgehen kann es, wenn beide auf einer Wellenlänge liegen. Die Aufgaben, die vor Ort zu erledigen sind, machen die beiden heute unter sich aus. „Ich bin kein Feldwebel und auch kein Knurrkopf und habe Frau Reinert nur darum gebeten, meinen Wohnraum so zu pflegen, wie sie es auch zu Hause macht“, erklärt der 77-Jährige. Natürlich freue er sich über eine saubere Wohnung, aber viel wichtiger sei ihm etwas anderes: der gute Kontakt miteinander, die Gespräche.
Genau dieser entscheidende Faktor unterscheidet Anna Reinert auch von einer Haushaltshilfe. „Der Ansatz ist nicht, die Wohnung zu säubern, während der Bewohner abwesend ist“, macht Jana Thomas deutlich. Es geht darum, ein offenes Ohr mitzubringen – „und über alltägliche Geschehnisse, Urlaube und so weiter zu plaudern“, ergänzt Gerhard Habbecke. Manchmal erkundigt er sich auch danach, wie ein Referat an der Universität gelaufen ist. „Wir verstehen uns recht gut“, fasst der 77-Jährige zusammen.
Regelmäßig erfährt er etwas Neues über seine „Fee“, wie er Anna Reinert nennt. So weiß er nun, dass die 22-Jährige Europäische Kulturgeschichte an der Universität studiert – ein Thema, das ihn ohnehin sehr interessiert. Seine Interessen sind breit gesät. Das verrät auch ein Blick in sein Bücherregal, in dem sich Medizinbücher neben Computerbücher reihen. Auch Geschichtsbücher und eine Vielzahl an Kochbüchern stehen dort.
Manchmal jedoch erfährt Gerhard Habbecke bei den Gesprächen auch Details, die er lieber nicht wahrhaben will. So steht Anna Reinert und Gerhard Habbecke ab August eine Trennung bevor. Die 22-Jährige ist für ein halbes Jahr nicht im Auftrag des BRK unterwegs. Sie absolviert ein Auslandssemester. Daran mag der Senior jetzt noch gar nicht denken und hofft darauf, dass der August nur ganz langsam näher rückt.