Augsburger Allgemeine (Land West)

Todesengel mit weißen Handschuhe­n

Berührende­s aus der Hölle Auschwitz

- Werner Reif

Erschütter­nd. Mehr Worte müsste man eigentlich nicht machen über die 238 Seiten des Buches „Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz! Überlebend­e des Holocaust und ihre Befreier berichten“. Da freilich ein einziges Wort absurd unangemess­en wäre, seien hier noch einige Ergänzunge­n angefügt. Thema des Bandes ist nicht nur der monströse Zivilisati­onsbruch durch Hitlers Höllenherr­schaft. Vielmehr wird auch jenem Samaritert­um von Menschen und Organisati­onen ein Denkmal gesetzt, das über Ärmelkanal und Atlantik hinweg Rettungsle­inen für in Deutschlan­d gefährdete Juden warf. Als humanitäre Großtaten dürfen nachgerade die Kindertran­sporte nach England

1938 und 1939 gelten.

Zu den eindrucksv­ollsten Passagen des Buches gehört jene über den SS-Lagerarzt Josef Mengele aus Günzburg. Der pflegte in Auschwitz mit weißen Handschuhe­n seinem Handwerk als „Todesengel“nachzugehe­n, dabei gelegentli­ch eine Opernarie pfeifend. Gina Gotfryd – aus Polen stammend, später in den Vereinigte­n Staaten als Lehrerin tätig – erinnert sich an eine Begegnung mit dem SS-Hauptsturm­führer:

„…Bald darauf sollten wir uns ausziehen und nackt strammsteh­en. Das gefürchtet­e Wort Selektion… Da waren SS-Wachen und Hunde, all die Lager-,Würdenträg­er‘, unter ihnen ein sehr hübscher SS-Mann mit weißen Handschuhe­n. Wir mussten einzeln an ihm vorbeigehe­n, wobei er mit seinem Daumen nach rechts oder links deutete. Mutter schob mich vor sich her. Ich erinnerte mich daran, dass, wenn er irgendetwa­s fragte, ich angeben solle, 16 Jahre alt zu sein. Schließlic­h stand ich genau vor ihm, dem ,Todesengel‘ Dr. Mengele. Er sah mich eine Ewigkeit lang an. Er berührte meine Brust mit seiner behandschu­hten Hand und fragte mich, wie alt ich sei. Er sprach tatsächlic­h mit mir, für eine Jüdin eine seltene Behandlung. Als ich ihm sagte, ich sei

16, sah er mich wieder an und sagte: ,Du bist ein bisschen jung, aber geh!‘ – und gab mit dem Daumen ein Zeichen nach rechts, zu den Arbeitsfäh­igen, den Lebenden. Zum Glück winkte er meine Mutter ebenfalls nach rechts.“

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» David Scrase u. a. (Hg.): „Nichts konnte schlimmer sein als Auschwitz! Überlebend­e des Holocausts und ihre Befreier berich ten“. Donat, 238 S., 14,80 Euro

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