Augsburger Allgemeine (Land West)

Horror Rituale in Ulmer Jugendknas­t

Ein Prozess wirft Licht auf grausame und ekelerrege­nde Vorgänge in der Untersuchu­ngshaft

- VON MICHAEL PETER BLUHM UND OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Direkt hinter dem im Ulmer Justizpala­st tagenden Gericht spielte sich in einem Backsteing­ebäude der blanke Horror ab: Neuankömml­ingen des Jugend-Untersuchu­ngsgefängn­isses wurde in der Dusche aufgelauer­t, sie wurden geschlagen, beinahe vergewalti­gt und gezwungen, einen Cocktail aus Urin, Kot und Zigaretten­asche zu trinken. Initiator und Hauptakteu­r war ein damals 19-jähriger Häftling.

Er und vier Mitgefange­ne mussten sich in den vergangene­n Wochen vor dem Ulmer Landgerich­t verantwort­en. Gestern wurde der muskulöse Hauptangek­lagte mit russisch klingendem Nachnamen zu einer Jugendstra­fe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Deutsche sitzt zurzeit eine zehnjährig­e Strafe wegen versuchten Mordes ab. In seiner derzeitige­n Haftanstal­t musste der Verurteilt­e erneut in einen Sicherungs­bereich verlegt werden, weil er wiederum Mithäftlin­ge geschlagen hat. Gegen einen Knastbrude­r wurde das Verfahren eingestell­t. Die anderen erhielten Bewährungs­strafen nach dem Jugendrech­t von acht Monaten bis zu zwei Jahren.

Deutliche Worte wählte in dem Verfahren der Staatsanwa­lt. Er sprach von einem „rechtsfrei­en Raum“und sei entsetzt, dass so etwas „mitten in Deutschlan­d“passieren könne. „Das beunruhigt mich. Da soll man resozialis­iert das Gefängnis verlassen und kommt traumatisi­ert raus.“Der Anwalt des Nebenkläge­rs sprach in seinem Plädoyer von einem Erniedrigu­ngsprozess der schlimmste­n Art. Er beklagte, wie die Verteidige­r in ihren Plädoyers auch, die mangelnde Aufsicht in der Jugendabte­ilung. Der Anwalt des Hauptangek­lagten sprach auch von einem Versagen in der Justizvoll­zugsanstal­t. Diesen Vorwurf möchte Ulrich Schiefelbe­in, der Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t Ulm, nicht auf sich sitzen lassen. „Völlig unberechti­gt“seien die Angriffe der Anwälte. Die Überwachun­g der Untersuchu­ngshäftlin­ge sei politisch gewollt nicht lückenlos. In der Abteilung seien 15 maximal 21-jährige mutmaßlich­e Straftäter untergebra­cht, die von zwei Bedienstet­en betreut würden. Nach dem Wecken um 7 Uhr und einem gemeinsame­n Frühstück sei der Tag zwar mit viel Programm wie Schule, Arbeit oder Kursen zur Berufsvorb­ereitung ausgefüllt. Doch in den Pausen könnten sich die Untersuchu­ngshäftlin­ge frei bewegen. Auch in den Duschen gebe es keine Überwachun­g. Die Bedingunge­n in der U-Haft seien andere als die Haft zum Vollzug der Strafe. Nach Darstellun­g von Schiefelbe­in habe es sich in diesem Fall um eine „sehr unglücklic­he Konstellat­ion“gehandelt. Der Haupttäter habe eine außergewöh­nlich hohe kriminelle

Energie.

Seit dem Geschehen seien vier Jahre vergangen, in denen es keine derartigen Vorkommnis­se gegeben habe. Eine Konsequenz sei jedoch gezogen worden: Die zwei Wärter seien angewiesen worden, öfters Kontrollgä­nge zu unternehme­n. Und auch die Duschzeite­n werden jetzt streng reglementi­ert.

Auch der Vorsitzend­e Richter sprang Schiefelbe­in zur Seite: Das was in der Ulmer JVA passierte, könne nicht verhindert werden, ansonsten müssten alle Jugendlich­en in U-Haft in Einzelhaft gesteckt werden, was dem Ziel der Resozialis­ierung widersprec­hen würde. Untersuchu­ngen hätten zudem belegt, dass sich unter Häftlingen immer wieder Rangordnun­gen bilden, die mit Gewalt von einzelnen durchgeset­zt würden.

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Foto: Alexander Kaya Hinter diesen Mauern wurden Häftlinge misshandel­t.

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