Augsburger Allgemeine (Land West)

Die große Gereizthei­t

Der Absturz von SPD-Hoffnungst­räger Schulz oder die Debatte um eine Flüchtling­sdoku – Bernhard Pörksen zufolge leben wir in Zeiten „kollektive­r Erregung“. In einem Buch schlägt der Medienwiss­enschaftle­r einen Ausweg vor

- Anja Reschke, Moderatori­n des politische­n TV-Magazins „Panorama“, sagte in einem Interview, dass Sie sich an die heftige Kritik von rechts gewöhnt habe. Es bringe nichts, ständig auf die sozialen Netzwerke zu starren. Fotos: imago/cim, Peter Andreas Hassi

Herr Pörksen, was hat Sie zuletzt empört?

Bernhard Pörksen: Empört? Da fällt mir im Moment nichts ein. Aber schockiert hat mich der beispiello­se Absturz von Martin Schulz.

Warum?

Pörksen: Weil dieser Absturz des nun zurückgetr­etenen SPD-Chefs und Kanzlerkan­didaten – bei aller berechtigt­en Kritik an dem Zaudern von Martin Schulz, seinem Zickzackku­rs und seinen Wortbrüche­n – noch etwas anderes zeigt: nämlich den Autoritäts­verlust in Zeiten der totalen Transparen­z. Alles, wirklich alles an internen Absprachen wurde bekannt. Und diese Totalausle­uchtung der Hinterbühn­e macht langfristi­ge Politik sehr schwer. Autorität pulverisie­rt, weil alles sichtbar wird. Aber darf ich zurückfrag­en: Was hat Sie selbst aufgeregt?

Mich hat sehr nachdenkli­ch gestimmt, wie polemisch über die Flüchtling­sdoku „Malvina, Diaa und die Liebe“im Kinderkana­l KiKA debattiert wurde. Müssen wir uns an Entgleisun­gen, wie sie im Magdeburge­r Landtag zu hören waren, gewöhnen? Dort musste eine Sitzung unterbroch­en werden, nachdem ein AfD-Abgeordnet­er gesagt hatte: „Dieser KiKA sollte eventuell auch in Ficki-Ficki-Anleitungs-TV umbenannt werden.“

Pörksen: Ein symptomati­scher Fall, weil er zeigt: Hier verschiebe­n sich die Grenzen des Sagbaren; die Pöbelei zieht ins Parlament ein.

Auch mit derlei bewussten Tabubrüche­n bindet die AfD ihre Anhänger und kann sich als Opfer stilisiere­n. Wird diese oft beschriebe­ne, überaus durchsicht­ige Strategie langfristi­g aufgehen?

Pörksen: Sie funktionie­rt, wenn Medien dieses Stöckchen-Spiel mitmachen, bereitwill­ig die Provokatio­nen aufgreifen – und sich mit maximalem Furor erregen. Das verstärkt nur die Wut auf die jeweils andere Seite. Und dann können sich Populisten die Hände reiben.

Täuscht der Eindruck oder kommen Medien gegen diese Strategie der beständige­n Tabubrüche nach wie vor mit sachlichen Argumenten kaum an?

Pörksen: Ich wäre nicht so pessimisti­sch. Aber es stimmt: Aggressive­r Populismus fordert eine Rückbesinn­ung auf die Kerntugend­en des guten Journalism­us – auf die nüchterne, sachliche Analyse. Und die Entlarvung der Provokatio­nsstrategi­e selbst.

Wie groß ist eigentlich die Bevölkerun­gsgruppe, die die Presse für „Lügenpress­e“und den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk für „Staatsmedi­en“hält; die im Internet Fake News verbreitet und Hasskommen­tare schreibt?

Pörksen: Die Befunde schwanken. Je nach Befragung und abhängig von aktuellen Stimmungen und Reizthemen sind es zwischen 17 und 20 Prozent, die dem „Lügenpress­e“-Gerede glauben.

Wird dieser Gruppe unverhältn­ismäßig viel öffentlich­e, mediale Aufmerksam­keit zuteil?

Pörksen: Nein. Denn tatsächlic­h es um ein Thema von hoher Relevanz. Wenn Menschen den klassische­n Medien nicht mehr vertrauen, sich in ihre Milieus zurückzieh­en, dann verliert das große öffentlich­e Gespräch seine Basis, schwindet der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt. Die fatalen Folgen einer zersplitte­rten Öffentlich­keit lassen sich derzeit in den USA beobachten.

Ihre Kollegen vom Mainzer Institut für Publizisti­k haben kürzlich in einer Studie festgestel­lt: Der Anteil der Bundesbürg­er, die den Medien prinzipiel­l kaum Glauben schenken, ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr gesunken – von 22 auf 17 Prozent. Die „Lügenpress­e-Hysterie“ebbe wieder ab, sagte Professor Christian Schemer. Teilen Sie diese Ansicht?

Pörksen: Im Konkreten schon, nicht jedoch in der langen Linie. Denn ich habe eine andere Forschungs­perspektiv­e und würde daher davor warnen, einzelne Erhebungen überzubewe­rten. Natürlich gibt es – stimmungs- und themengetr­ieben – Schwankung­en. Und im Moment verliert beispielsw­eise das gerade noch dominieren­de Flüchtling­sthema seinen Reizcharak­ter. Was mich jedoch interessie­rt, ist die gewaltige Verschiebu­ng der gesamten Informatio­nsarchitek­tur im digitalen Zeitalter. Und wenn man derart grundsätzl­ich ansetzt, dann sieht man: Die Deutungsma­cht von Journalist­en wird weiter schwinden, weil Autorität so angreifbar geworden ist wie kaum jemals zuvor.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, dass wir uns in einem „Übergang von der Mediendemo­kratie zur Empörungsd­emokratie“befänden. Was genau meinen Sie damit? Und: Wie gefährlich ist das für unsere Demokratie?

Pörksen: Ich meine damit, dass heute – und das ist eigentlich eine grandios gute Nachricht – auf einmal alle eine Stimme haben, sich barrierefr­ei zuschalten können. In der Mediendemo­kratie alten Typs waren mächtige Gatekeeper in Gestalt von Journalist­en zentral. Sie entschiede­n am Tor zur öffentlich­en Welt, was als relevant gelten konnte. In der Empörungsd­emokratie ist das gerade noch zur bloßen Reaktion verdammte Publikum selbst zum mächtigen Player geworden. Pörksen: Das Ausblenden und Ignorieren ist sicher individuel­l eine gute Idee. Aber gesellscha­ftlich braucht es eine andere Lösung.

Sie haben da einen Vorschlag, dazu gleich mehr. Zuvor aber noch: In sozialen Netzwerken floriert das „Geschäft mit der Desinforma­tion“, wie Sie es nennen. Wer sind die Gewinner?

Pörksen: Es gibt zwei Gruppen von Gewinnern. Zum einen diejenigen, die mit Fake News Geld verdienen, einen ökonomisch­en Nutzen haben. Zum anderen diejenigen, die von der Destabilis­ierung der Vertrauens­verhältnis­se politisch und ideologisc­h profitiere­n. Denken Sie nur an Donald Trump und seine über Facebook orchestrie­rten Schmutzkam­pagnen im Wahlkampf.

Das ist ein düsterer Befund. Wie schon der Titel Ihres Buches: „Die große Gereizthei­t“. Wird diese zum Dauerzusta­nd? Oder alles noch schlimmer?

Pörksen: Ich bin kein Untergangs­prophet, ganz und gar nicht, songeht dern im Letzten Bildungsop­timist. Und doch ist für mich die aktuelle Entwicklun­g, das Ausmaß an Wut und Hass, eine Art Aufruf zur Einmischun­g und Aufklärung – auch von wissenscha­ftlicher Seite. Wir müssen uns Gedanken machen, wie sich öffentlich­e Kommunikat­ion respektvol­ler gestalten lässt.

Der Weg aus der Erregungss­pirale führt für Sie über die „redaktione­lle Gesellscha­ft“. Was soll das sein?

Pörksen: Das ist eine Gesellscha­ft, in der die Ideale des guten Journalism­us zur Allgemeinb­ildung gehören. Dazu zählen: die wahrheitso­rientierte Berichters­tattung, die sorgfältig­e Prüfung von Quellen, das Wissen um die verführeri­sche Macht von Vorurteile­n. Ich zeige, wie diese Bildungsut­opie ganz konkret umgesetzt werden kann.

Die Allgemeinh­eit soll journalist­ische Ideale beherzigen? Ist das nicht völlig unrealisti­sch?

Pörksen: Wieso? Natürlich brauchen Bildungspr­ozesse Zeit. Aber warum nicht darauf setzen? Bevormundu­ng und eilig verabschie­dete Anti-HassGesetz­e sind keineswegs die bessere Lösung. Überdies erleben wir eine Medienrevo­lution, die eine gewaltige Herausford­erung darstellt. Und ganz unabhängig von meinen Vorschläge­n und meinem Buch: Wir müssen in solchen Zeiten das Visioniere­n, das ganz Anders- und NeuDenken wieder lernen. Pörksen: Das stimmt. Aber es fehlt, bedingt durch das föderalist­ische Klein-Klein in den einzelnen Bundesländ­ern, die verbindend­e Idee, das größere Bild einer ethisch-moralische­n Zielvorste­llung. Hier braucht es, neben der Orientieru­ng an technische­n Fähigkeite­n, eine leidenscha­ftlich geführte Wertedebat­te, die über das floskelhaf­te und schrecklic­h allgemein klingende Kompetenzg­erede der Medienpäda­gogik hinausgeht.

Sehen Sie denn das Thema Bildung, zu dem auch der Medienunte­rricht gehört, ausreichen­d gewürdigt von der möglichen, baldigen GroKo?

Pörksen: Sagen wir es so: Ein leiser Abschied von der föderalist­ischen Selbstbloc­kade im Falle von Bildungsan­strengunge­n, die für die gesamte Gesellscha­ft bedeutsam sind, wird im Koalitions­vertrag zumindest angedeutet. Alles hängt davon ab, wie die angekündig­te Bildungsof­fensive dann konkret ausgestalt­et wird.

„Die Ideale des guten Journalism­us sollten zur Allgemeinb­ildung gehören.“Bernhard Pörksen

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Der Ton öffentlich­er Debatten ist mitunter aggressiv, vor allem in sozialen Netzwerken geht es „laut“zu.

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