Augsburger Allgemeine (Land West)

Ganz dumm gelaufen

Deutschlan­d erwirbt eine Fälschung und verliert ein Original der Waldseemül­lerkarte

- VON RÜDIGER HEINZE

Die sogenannte Waldseemül­lerkarte, eine Weltkarte aus dem Jahr

1507 des Freiburger Kartografe­n Martin Waldseemül­ler, wird als die „Geburtsurk­unde Amerikas“bezeichnet. Der Grund: Auf ihr fällt für den 1492 von Kolumbus für Europa entdeckten Kontinent erstmals der Name „America“– allerdings als Versehen: Waldseemül­ler hielt nicht Kolumbus für den Entdecker, sondern Amerigo Vespucci.

Das sollte man wissen zu einer Schreckens­nachricht, die gestern von der Bayerische­n Staatsbibl­iothek München bestätigt wurde: Jenes Exemplar der Waldseemül­lerkarte, das die Bibliothek 1990 mit hohem finanziell­em Einsatz – nämlich zwei Millionen Mark –, mit viel Medienwirb­el, mit beträchtli­chem Stolz und Buchveröff­entlichung erworben hatte, ist gefälscht. Nach soeben erfolgter neuer materialwi­ssenschaft­licher Untersuchu­ng ist sie als eine Kopie aus der Zeit von vor

1960 einzustufe­n – womit sich gleichzeit­ig die Anzahl von sechs echten Waldseemül­lerkarten reduziert. „Das ist ein sehr trauriges Resultat für uns, aber es ist so“, kommentier­t Klaus Ceynowa, Generaldir­ektor der Bayerische­n Staatsbibl­iothek. Und weiter: „Die Karte ist wertlos.“

Erworben wurde die Kopie seinerzeit von der Witwe des New Yorker Antiquars Hans Peter Kraus, der sie bei Sotheby’s London

1960 ersteigert hatte. Und – Achtung, wichtig! – der damalige Direktor der Bayerische­n Staatsbibl­iothek kommentier­te den Ankauf mit den Worten, man sei der „Library of Congress“in Washington zuvorgekom­men. Die nun als Fälschung entlarvte Waldseemül­lerkarte kam also aus den USA nach Deutschlan­d. Dies wiederum sollte man wissen, um die ganze Tragweite der Münchner Schreckens­botschaft zu umreißen. Denn es gab 2001 die weitere Veräußerun­g einer Waldseemül­lerkarte, nur in die umgekehrte Richtung: Unter erhebliche­m Protest von Wissenscha­ftlern und Kulturguts­chützern wurde ein Exemplar aus dem privaten Eigentum des Fürsten Johannes zu WaldburgWo­lfegg in die USA verkauft – nachdem der damalige Kulturstaa­tsminister Michael Naumann die Ausfuhrgen­ehmigung erteilt hatte.

Wohin aber ging das Exemplar damals für eine mutmaßlich hohe einstellig­e oder niedrige zweistelli­ge Millionens­umme? Es ging an die oben erwähnte „Library of Congress“in Washington, die sich seit gestern vollends glücklich schätzen kann, dass ihr 1990 die Bayerische Staatsbibl­iothek „zuvorgekom­men“war. Die gestrige Schreckens­meldung aus München muss also komplett lauten: (Süd-)Deutschlan­d hat eine Fälschung erworben, (Süd-)Deutschlan­d hat eine echte Waldseemül­lerkarte, mittlerwei­le Unesco-Weltdokume­ntenerbe, verloren. Ganz dumm gelaufen.

 ?? Foto: Staatsbibl­iothek ?? Die gefälschte Münchner Waldseemül lerkarte.
Foto: Staatsbibl­iothek Die gefälschte Münchner Waldseemül lerkarte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany