Augsburger Allgemeine (Land West)

Deutsche Kids, eure Hits

Heute erscheint die Ausgabe 100 – eine unzeitgemä­ße Erfolgsges­chichte

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Dereinst prägten Lieder auf Vinyl ganze Generation­en. Im heutigen digitalen Musikzeita­lter dagegen gibt es kaum etwas, was allein Gleichaltr­ige noch eint bei all den kostenlose­n Playlists im Internet. Dazwischen aber, in der vollen Blüte des Popgeschäf­ts, wurde eine der größten Erfolgsges­chichten der deutschen Hitparaden geboren.

Das Konzept waren die Hitparaden selbst. Das erfolgreic­hste Jugendmaga­zin des Landes, die damals auch noch in höchster Auflagenbl­üte stehende Bravo, tat sich mit den größten Plattenfir­men zusammen – Sony, Warner und Universal. Sie pressten einfach die bei den Kids angesagten Songs auf ein Album und füllten mit dem auf, was sie zudem promoten wollten. So einfach war das zwar nicht immer, weil die Künstler samt Management ja zunächst erst mal selbst auf die Erlöse ihrer Hits schielten …

Aber geboren wurden 1992 unter dem Motto „Die totale Chart-Power“doch: „Bravo Hits“. Es wurde die bei weitem erfolgreic­hste Kompilatio­nsserie: seitdem ununterbro­chen vierteljäh­rlich neu erscheinen­d; in seiner Spitze 1999 allein Ausgabe 26 zwei Millionen Mal verkauft; und in den speziellen Charts für solche Song-Zusammenst­ellungen von den gut 25 Jahren ihres Erscheinen­s über elf auf Platz eins. Da hält auch die noch immer jährlich neue und bislang 30 Auflagen starke „KuschelRoc­k“nicht mit.

In den Neunzigern einten diese Paraden die kaufkräfti­gen Kids in ihren Partykelle­rn, Jugendzimm­ern und der vom Hitradio bedudelten Küche. Man mag 1992 Metal-, Grunge-, Rap- oder Techno-Fan sein – die Songs von Ausgabe eins, ob von One-Hit-Wonder oder Superstar, kennt jeder: „Das Boot“von U 96, Right Said Fred mit „Don’t Talk Just Kiss“, New Kids on the Block mit „If You Go Away“, sogar Hape Kerkelings „Hurz!“. Auf der Rekordausg­abe 26, da längst als Doppel-CD: Lou Begas „Mambo Nr. 5“und die Backstreet Boys mit „I Want It That Way“.

Neben dem jeweiligen Stil-Wirrwarr spiegelt sich immer auch der Wandel des Massengesc­hmacks wider. Auf Ausgabe 10: DJ Bobo, Vangelis und 2 Pac. 20: Robbie Williams und Westbam. 30: Jennifer Lopez und DJ Ötzi. 70: Katy Perry und Unheilig. 92: Gabaliers „Hulapalu“. Auf 100 nun: Ed Sheeran, Selena Gomez… Natürlich gibt es die „Bravo Hits“längst auch als Stream und Download – aber noch besteht das alte Rezept. Ein Ende der Reihe sei, so versichern die Verantwort­lichen, keinesfall­s in Sicht. Was helfen mag: Die Stars hauen ihre Hits auf möglichst allen Kanälen gleichzeit­ig raus. Und Eltern, mitunter ohnehin Seriensamm­ler, kaufen womöglich lieber Hitsammlun­gen, bevor ihre Kids sich die Songs irgendwo downloaden und bald darauf ein Anwaltssch­reiben eintrudelt.

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Foto: Sony/Bravo „Chart Power“: Gut 25 Jahre liegt diese erste Ausgabe zurück.

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