Augsburger Allgemeine (Land West)
Der lange Faden der Erinnerung
Die Berliner Textilkünstlerin Rita Zepf gestaltet ihre Bilder mit der Nähmaschine
Womit sich doch nicht alles Bilder erzeugen lassen! Die Textilkünstlerin Rita Zepf nimmt dafür ihre Nähmaschine in Dienst. In völlig freier Linienführung zieht sie mit der Nadel die Nähte auf dem Tuch, als hätte sie einen Stift in der Hand. Dabei belässt es die Berlinerin meistens bei den Konturen, den Körperumrissen der Protagonisten. „Mich interessiert die Haltung. Wir erkennen vertraute Menschen daran oft schon von Weitem, ohne dass wir ihr Gesicht sehen können“, erklärt Zepf. Unter dem Titel „Der lange Faden der Erinnerung“stellt sie im Moritzpunkt, Maximilianstraße 28, aus.
Ihre Erinnerung stützt sich dabei auf alte Familienfotos: Kinderbilder von ihrer Schwester und ihr, von ihren Eltern und Verwandten, von der Kindheit in Russland. Die Unschär- fe in ihren Bildern ist Methode und bietet zugleich weiten Raum für eigene Imagination. Rita Zepf näht mit Industriegarnen, denn „sie glänzen und fallen besonders gut“. Die Künstlerin lässt sie aus ihren Bildern heraushängen und setzt keinen bestimmten Abschluss. Als Trägermaterial verwendet sie alte Damaststoffe, Tischdecken und Bettwäsche mit wunderlichen Webstrukturen.
Oft breiten sich auf dem vergilbten, abgenutzten Stoff Palmblätter und Fischgrätenmuster aus. Auch dies transportiert Vergangenheit in die Gegenwart. Wässrige Farben, sparsam akzentuiert aufgetragen, verleihen den Bildern Tiefe und Atmosphäre. Mitunter verwendet Rita Zepf auch Fragmente von verschwommen ausgedruckten Fotografien – gerade so, als lösten sich die darauf festgehaltenen Erinnerungen wieder ins Nebulöse auf.
In den Moritzpunkt gelangen ihre Bilder über einen Zufall: Michael Grau, der Kulturreferent der Moritzkirche, hatte schon vor 25 Jahren zwei Bilder der Künstlerin gekauft, ohne ihren Namen zu kennen. Beim 5. Textilmarkt des Textilund Industriemuseums vor Weihnachten entdeckte er wieder ihre Bilder – und lernte Rita Zepf kennen. Selten, so sagt sie, stelle sie so weit im Süden aus. Ihr Revier ist neben Berlin die Uckermark, wo die 61-Jährige in einem alten Schulhaus in Oberuckersee ihr Textilwissen weitervermittelt. Nach Russland kam sie, weil ihr Vater als Physiker in einer völlig neu gebauten Wissenschaftsstadt für Atomphysik arbeitete. Rita Zepf studierte in der DDR dann zuerst Landwirtschaft, ehe sie zur freiberuflichen Künstlerin umsattelte – freilich dank ihrer Beschäftigung mit den alten ländlichen Techniken des Stickens und Nähens. Ihr selbst hat die Fertigkeit in der Textilgestaltung eine dreijährige Weiterbildung an der Bezirkskulturakademie Berlin vermittelt. Laufzeit bis 18. Mai im Moritzpunkt, geöffnet Mo. bis Fr. 11 – 18 Uhr, Sa. 11 – 16 Uhr.