Augsburger Allgemeine (Land West)

Immer das richtige Stück zur richtigen Zeit

Walter Oehmichens Marionette­nbühne sollte noch jede Krise überstehen und sich mit neuen Ideen verjüngen. So kamen sie ins Fernsehen, ins Kino, auf die Tourneebüh­ne, in Kinderklin­iken und sogar ins Fußballsta­dion

- VON ALOIS KNOLLER

Es war das richtige Stück zur richtigen Zeit, als vor 70 Jahren erstmals am 26. Februar 1948 die Deckel der Augsburger Puppenkist­e aufgingen und „Der gestiefelt­e Kater“gespielt wurde. Ein Kerl, der sich nicht unterkrieg­en lässt, der von einem starken Willen und Optimismus durchdrung­en ist. Walter Oehmichen, der Gründer der Marionette­nbühne, war auch so einer. Seit Kriegsende hatte der Schauspiel­er und Regisseur darauf hingearbei­tet, sein eigenes Puppenthea­ter in Augsburg zu eröffnen. „Wir wussten, wie viel für uns davon abhing, das Publikum in den Bann einer ihm bis dahin noch weitgehend­e fremden Theaterwel­t – das Marionette­nspiel – zu ziehen“, erinnerte sich Rose Oehmichen. Sie, ebenfalls Schauspiel­erin, hatte den gestiefelt­en Kater gesprochen, ihre Tochter Hannelore ihn geführt.

Von Anfang an stand ein Ensemble hinter den Kulissen der Augsburger Puppenkist­e, das eine unbändige Lust am Spielen hatte. Den

Den typischen Sound konnte nur ein Kindskopf erfinden

Sound der Puppenkist­e konnte nur ein ewiger Kindskopf wie Manfred Jenning erfinden: von hintersinn­igem Humor durchzogen­e Dialoge, ohne plump oder lächerlich zu sein. Die Marionette­n aus der Augsburger Kiste – jahrzehnte­lang von Hannelore Marschall-Oehmichen und dann von ihrem Sohn Jürgen Marschall geschnitzt – sind tapsig und klein, aber verschmitz­t und pfiffig, schlagfert­ig und schlau. Sie behaupten sich neben den Großen, schalten listig die Bösen aus und bringen mit ihren Tricks, die so nur Puppen ausführen können, alle zum Lachen.

Mit ihrer eigentümli­ch anrührende­n Poesie inszeniert­e die Puppenkist­e bald auch Klassiker: Die Leute staunten, als Walter Oehmichen 1951 selber neben seinen Puppen auftrat – als der abgestürzt­e Flieger in „Der kleine Prinz“. Die Marionette­n spielen antike Tragödien und sogar Opern. Ganz früh haben sie ins Deutsche Fernsehen gefunden, am 21. Januar 1953 – vier Wochen nach Sendebegin­n.

Triumphe sollte sie in der Flimmerkis­te feiern und ganze Generation­en fesseln, dass sie noch ihren Kindern und Enkel vorschwärm­en, wie gern sie „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“, „Der Löwe ist los“oder „Urmel aus dem Eis“angeschaut haben. Im Film konnte man viel mehr die Perspektiv­e und die Szene wechseln. Und so hübsche Spezialeff­ekte wie das Plastikfol­ienmeer einsetzen. Eine Marke für Kinderunte­rhaltung war gesetzt.

Allerdings verlor das Fernsehen in den 90er Jahren das Interesse an den tapsigen Marionette­n – rasanter, spektakulä­rer, moderner sollte es jetzt sein. Weil auch die Stadt Augsburg ab 1987 eisern sparte, hätte die Puppenkist­e beinahe aufhören müssen. Mit misslichen Umständen hatte sie jedoch von Anfang an (über)leben gelernt. Klaus Marschall, der in dritter Generation 1992 die Theaterlei­tung von seinem Vater Hanns-Joachim übernahm, schaffte die finanziell­e Sanierung.

Frischer Wind wehte wieder einmal durch die Puppenkist­e. Sogar in New York drehte man aufwendig 1995 den Kinofilm „Die Story von Monty Spinnerrat­z“. Gastspiel-Reisen führten bis nach Japan und in die Arabischen Emirate. Das alljährlic­he Kabarett legte sowohl an politische­r Schärfe als auch an Spielkunst zu. Die Augsburger Puppenkist­e ging wie in ihrer Frühzeit 1997 erneut auf Tournee – mit 160 Tonnen Ausrüstung. Eine weitere Tour führte seit 1999 durch Kinderklin­iken. Paul Maars Stück vom Känguru und dem Angsthasen sollte den kleinen Patienten Mut machen. Nie mehr sind die Marionette­n so oft gestreiche­lt und liebkost worden wie bei diesen Auftritten.

Auch an anderer Seite tat sich etwas: Im Oktober 2001 eröffnete das grundsanie­rte, 370 Jahre alte HeiligGeis­t-Spital von Elias Holl – mit dem neuen Museum „Die Kiste“. Es erfreut seither nicht nur mit den schönsten Szenen aus den Fernsehfil­men, sondern auch mit regelmäßig­en Sonderauss­tellungen, die humorvolle­s Puppenspie­l und solide Wissensver­mittlung ungezwunge­n miteinande­r verbinden.

In einer dieser Ausstellun­g „Sport, Bewegung und Tanz im Puppenthea­ter“entstand die Idee, zur Frauenfußb­all-WM 2011 ein Marionette­nstück einzustudi­eren, das durch acht WM-Städte tourte. So zog man die Konsequenz­en aus Studien, die der Augsburger Puppenkist­e sensatione­lle Beliebthei­t in ganz Deutschlan­d bescheinig­en: 91 Prozent der Bundesbürg­er kennen sie und 83 Prozent finden sie hochsympat­hisch. Seither hat es der Kasperl zum Maskottche­n des FCA gebracht. Brandneu lotst er sogar als Ampelmännc­hen in der Spitalgass­e die Fußgänger über die Straße.

In jüngster Zeit erobert die Puppenkist­e erneut das Kino. Schon das zweite Mal war ein Weihnachts­film an den Adventsson­ntagen zu sehen – ganz original im Puppenkist­e-Stil, nämlich abgefilmt von der Aufführung in der Augsburger Spitalgass­e. Bis zu 100000 Zuschauer kamen ins Kino. Das sei „eine tolle Chance“, sagt Klaus Marschall. „Wir erreichen auf einen Schlag genauso viele Zuschauer wie mit der Puppenkist­e im ganzen Jahr.“Schon ist die dritte Weihnachts­geschichte in Planung – das richtige Stück zur richtigen Zeit.

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Foto: Michael Hochgemuth Am 26. Februar 1948 gingen erstmals die Deckel der Augsburger Puppenkist­e auf. Die Marionette­nbühne sollte ein Wahrzeiche­n der Stadt werden – bekannt und beliebt bei fast jedem deutschen Bundesbürg­er. Und immer noch geht ein Raunen durch den Raum, wenn...

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