Augsburger Allgemeine (Land West)

„Die SPD könnte ganz schnell verschwind­en“

Juso-Chef Kevin Kühnert gilt als härtester Gegner der Großen Koalition und kämpft um ein Nein beim SPD-Mitglieder­entscheid. Bei einem Ja warnt er vor einem Untergang der Sozialdemo­kraten wie in anderen Ländern

- Gebot für die Parteibasi­s zumindest für die Zukunft nicht ausgeschlo­ssen. Interview: Galina Bauer

das ist der SPD in Bayern gemessen am Wahlerfolg auch nie gelungen?

Kühnert: Meine These ist nicht, dass sich die SPD prinzipiel­l nur in der Opposition erneuern kann. Aber in der jetzigen Situation halte ich das für die realistisc­here Lösung. Wir blicken zurück auf acht Jahre Große Koalition, die gefühlt für viele noch länger waren. Die Gemeinsamk­eiten, die es durchaus zwischen Union und SPD punktuell gibt, sind abgearbeit­et. Jetzt können sich Union und SPD in wichtigen Fragen nur noch auf Vertagunge­n, Prüfaufträ­ge und Kommission­en einigen.

Welche wichtigen Themen vermissen Sie denn?

Kühnert: Da wäre zum Beispiel die Notwendigk­eit, wie es mit dem Rentensyst­em in Zukunft weitergeht. Viele junge Menschen fragen mich das, weil sie richtigerw­eise nicht wissen, ob ihnen jemand garantiert, dass sie später auch noch von ihrer Rente leben können. Dazu hat die SPD eine klare Position, die Union nicht. Deswegen schweigt sich der Koalitions­vertrag dazu aus. Auch bei Fragen von Digitalisi­erung unserer Arbeitswel­t oder Umwelt und Nachhaltig­keit werden Ziele in zehn bis 20 Jahren beschriebe­n, aber kaum was jetzt passieren soll.

Wie soll eine Runderneue­rung der SPD aussehen? Muss die Partei mit der Agenda 2010 noch mehr brechen?

Kühnert: Der Blick nach vorne ist wichtiger als der Blick zurück. Im Moment fehlen der SPD Alleinstel­lungsmerkm­ale. Was ist denn das Thema, was nur die SPD hat? Das gibt es im Moment nicht. Themen, die auf der Straße liegen, sprechen wir nicht an. Etwa die krasse Ungleichve­rteilung von Vermögen in der Gesellscha­ft – da trauen wir uns nicht, konkrete Forderunge­n zu stellen. Die SPD hat bislang kaum Antworten zur Zukunft der Arbeitsges­ellschaft unter den Bedingunge­n der Digitalisi­erung. Es liegt in unserer DNA, sich dem anzunehmen.

Und was ist mit der Agenda 2010?

Kühnert: Ich glaube nicht, dass sich irgendjema­nd auf die Knie werfen und um Vergebung bitten muss. Aber einfach mal ohne Umschweife einzugeste­hen, dass da auch grundlegen­de Fehler gemacht wurden, was den Rückbau des Sozialstaa­tes und die Deregulier­ung angeht. Das wäre längst angebracht gewesen.

Was halten Sie von der Urwahlford­erung? Andrea Nahles hat das als AnHeißt

Kühnert: Wir Jusos fordern, dass wir uns an Beschlüsse halten und das gilt auch für das Thema Urwahl. Der Parteitag im Dezember hat beschlosse­n, dass das ein Diskussion­spunkt im Erneuerung­sprozess sein soll. Das heißt, es ist noch nicht entschiede­n und ich halte auch nichts davon, das jetzt überstürzt zu tun. Deswegen wird die oder der nächste Parteivors­itzende im April auf dem Parteitag ganz normal von Delegierte­n gewählt.

Und was sagen Sie zur Kandidatur von Andrea Nahles? Finden Sie es gut, dass sich von der Basis Gegenkandi­daten gemeldet haben?

Kühnert: Wir Jusos äußern uns vor dem Ergebnis des Mitglieder­entscheids nicht zu Personalfr­agen.

Sie werden inzwischen selbst in die Rolle eines SPD-Hoffnungst­rägers gedrängt, hoffen Sie vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft einen wichtigen Posten bei der SPD zu besetzen?

„Themen, die auf der Straße liegen, sprechen wir nicht an. Etwa die krasse Ungleich verteilung von Vermögen in der Gesellscha­ft“

Kühnert: Auch das gehört zu den vermeintli­chen Spielregel­n der Politik, die unglaublic­h viele Leute satt haben. Die SPD ist gerade in einer Situation, in der wir darum kämpfen müssen, dass die SPD in Zukunft überhaupt noch wichtige Ämter besetzen kann. Manche halten das für ein Naturgeset­z, dass die Sozialdemo­kraten Kabinettsp­osten und Ministerpo­sten zu vergeben haben. Ein Blick ins europäisch­e Ausland zeigt, das kann ganz schnell vorbei sein.

Haben Sie Angst, dass es mit den Sozialdemo­kraten in Deutschlan­d ähnlich bergab geht wie in anderen Ländern?

Kühnert: Zumindest ist es nicht ausgeschlo­ssen. Es gibt positive und negative Beispiele im Ausland. Großbritan­nien ist ein positives Beispiel, Frankreich und Niederland­e sind negative. Ermutigend für die SPD ist, dass es keinen Automatism­us gibt. Aber es gibt auch keine pauschale Existenz- und Daseinsber­echtigung für eine sozialdemo­kratische Partei. Wenn sie kein Profil mehr hat und kein Alleinstel­lungsmerkm­al, kann sie auch ganz schnell verschwind­en. Das sollten wir uns vor Augen führen.

Werden die Jusos jedes Ergebnis akzeptiere­n? Oder geht der Streit weiter?

Kühnert: Selbstvers­tändlich akzeptiere­n wir das Ergebnis – auch wenn es nicht in unserem Sinne ausgeht. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht auch weiterhin kritisch zu Wort melden. Wir werden uns aber konstrukti­v in der SPD einbringen, und das erwarte ich im Falle eines anderen Ausgangs auch von allen anderen.

OZur Person Kevin Kühnert ist seit No vember Bundesvors­itzender der SPD Jugend. Der 28 jährige Berliner studiert Politikwis­senschafte­n und arbeitet für eine Berliner Landesabge­ordnete.

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