Augsburger Allgemeine (Land West)

Als der RAF Terror nach Augsburg kam

Fahnder erschossen 1972 den militanten Linken Thomas Weisbecker. Die „Baader-Meinhof-Bande“rächte sich

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Augsburg Am 12. Mai 1972 erschütter­t eine gewaltige Detonation die Augsburger Polizeidir­ektion. Durch die Wucht der Explosion wird im Flur der Chefetage die Betondecke durchschla­gen, Fenster und Türen werden eingedrück­t. Die elektrisch­en Wanduhren bleiben um 12.15 Uhr stehen. Drei Minuten später detoniert die zweite Bombe mitten in die Aufregung hinein. Wie durch ein Wunder wird bei dem Attentat niemand getötet. Fünf Beamte kommen mit Verletzung­en durch Splitter davon.

Der Bombenansc­hlag in Augsburg gilt der Polizeifüh­rung. Fast zur selben Zeit detoniert in München vor dem Landeskrim­inalamt eine Autobombe. Die Attentate sind ein Racheakt der „Baader-Meinhof-Bande“, wie die Rote Armee Fraktion (RAF) anfangs nach ihren Gründern genannt wird. Es sind in diesen Tagen des Mai 1972 nicht die einzigen Attentate von Baader-Meinhof. Mit insgesamt sechs Anschlägen versetzt die linksextre­mistische Terrorgrup­pe das Land in

Angst und Schrecken.

Die Attentate fordern vier Todesopfer und mehr als 80 Verletzte.

Vier Tage später bekennt sich ein „Kommando

Thomas Weisbecker“zu den Anschlägen in Augsburg und München. „Die Fahndungsb­ehörden haben zur Kenntnis zu nehmen, dass sie keinen von uns liquidiere­n können, ohne damit rechnen zu müssen, dass wir zurückschl­agen werden“, heißt es in dem Bekennersc­hreiben. Jener Thomas Weisbecker ist gut zwei Monate zuvor in Augsburg von einem Polizisten erschossen worden.

Weisbecker war 23 Jahre alt, Student der Soziologie. Sein Vater Ludwig hatte in Nazi-Deutschlan­d als „Halbjude“und NS-Gegner jahrelange KZ-Haft überlebt, unter anderem in Buchenwald. Der Vater wurde Arzt, der Sohn militanter Linker. Er schloss sich der „Bewegung 2. Juni“an, der Terror-Vereinigun­g, die sich nach dem Todestag von Benno Ohnesorg benannt hatte, der 1967 ebenfalls von einem Polizisten erschossen worden war.

1971 taucht Weisbecker nach mehreren Straftaten unter. Im Dezember 1971 mietet eine junge blonde Frau im Augsburger Georgsvier­tel eine Wohnung. Die Miete für zweieinhal­b Monate zahlt sie bar im Voraus. Bald steht das Appartemen­t im Visier der Terrorfahn­der. 13 Be- amte des Bundeskrim­inalamts beobachten die Terroriste­n-Wohnung wochenlang rund um die Uhr. Am 2. März 1972 verlässt ein junges Paar die Wohnung und steigt in einen weißen Audi mit falschem Kennzeiche­n. Als das Paar sich trennt, glauben die Fahnder, die Beobachtun­g sei aufgefloge­n. Sie greifen zu.

Mitten in der Innenstadt fordern zwei Beamte Weisbecker auf, die Hände hochzunehm­en. Doch der fasst nach einer Neun-Millimeter­Pistole, die er in einem Holster an der Hüfte trägt. Ein Fahnder schießt. Weisbecker bricht tödlich getroffen zusammen. Die Justiz wertet den Schuss später als Notwehr.

In Berlin-Kreuzberg gibt es bis heute das Tommy-Weisbecker­Haus, ein selbstverw­altetes Wohnkollek­tiv. Dort können Jugendlich­e und junge Erwachsene unterkomme­n, die aus welchen Gründen auch immer kein Zuhause haben.

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Der Augsburger Heribert Riehle machte dieses Foto mit dem toten Terroriste­n Thomas Weisbecker.
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